München/Frankfurt/Berlin /Zürich/London/Paris - Dass der internationale Friedens-Fahrplan für den Nahen Osten nur eine Woche nach dem Akaba-Gipfel so gut wie gescheitert ist, kommentieren am Donnerstag zahlreiche Tageszeitungen. "Süddeutsche Zeitung":

"Wie der amerikanische Präsident Bush mit Feinden umgeht, die nicht parieren wollen, das weiß man mittlerweile. (...) Dieses Image hat sich Bush in zwei Kriegen erarbeitet. Nun aber wird es durch einen Anlauf zum Frieden auf die Probe gestellt - ausgerechnet Israels Regierungschef Ariel Sharon also hat dem Präsidenten indirekt eine Breitseite verpasst (...). Bush hat sich nicht lange geziert und den israelischen Angriff auf den Hamas-Führer Rantisi angemessen angeprangert. Deutliche Warnungen waren das, doch offenbar nicht deutlich genug. Für den Friedensprozess ist das ein sehr schlechtes Zeichen (...). Doch auch für Bush persönlich ist Sharons Offensive ein herber Schlag, schließlich steht mittlerweile im nahöstlichen Ringen auch sein Ruf auf dem Spiel. Wenn er diesen Ruf retten will, muss er beweisen, dass er auch vor den Freunden nicht kapituliert."

"FTD - Financial Times Deutschland":

"Für Bush steht viel auf dem Spiel: Er hatte seine bisherige Politik der Zurückhaltung aufgegeben und erstmals sein politisches Gewicht in die Waagschale geworfen. Er hat sein Prestige als Außenpolitiker an einen Erfolg der 'Roadmap' und eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts geknüpft. Die neuen Anschläge und die darauf folgende Vergeltung gefährden diese Ziele. Denn, wie es aussieht, werden weder Hamas noch andere militante Gruppen in eine Waffenruhe einwilligen. Zudem war Bush das politische Risiko eingegangen, Druck auf Israel auszuüben. So kritisierte er Israel am Dienstag ungewöhnlich scharf für das Attentat auf den Hamas-Führer Rantisi. In seiner Partei und bei vielen republikanischen Kernwählern trifft dieser Kurs Bushs auf Widerstand. Ob Bush seinen härteren Kurs gegenüber Sharon nach dem Anschlag in Jerusalem noch durchhalten kann, ist offen."

"Handelsblatt": "Es war eine eindeutige Demonstration: Wenn es der neuen palästinensischen Regierung nicht gelingt, den Terror zu beenden, dann werden Israels Streitkräfte diese Arbeit übernehmen. Das war Sharons Credo vor dem Akaba-Gipfel. Und daran hat sich nichts geändert. Insofern war der Versuch, den prominenten Hamas-Aktivisten Rantisi zu 'liquidieren', nur konsequent. Nun ist die Frage, ob eine solche Strategie zum Ziel führen kann, nach zweieinhalb Jahren Intifada längst beantwortet: Nein. Folglich stellen sich andere Fragen. Glaubt der Premier tatsächlich, dass Mahmud Abbas überhaupt eine Chance hat, Dschihad, Hamas oder Al-Aksa-Brigaden dazu zu bewegen, der Gewalt abzuschwören, solange deren Protagonisten im Fadenkreuz der Israelis stehen? Auch diese Antwortet lautet: Nein. Der gestrige Suizidanschlag auf einen Bus in Jerusalem liefert den makabren Beweis. Also: Warum durchkreuzt Sharon die gute Absicht, die dem palästinensischen Ministerpräsidenten unterstellt werden darf? Warum provoziert er Racheakte? Er weiß doch, dass Abbas mit dem Rücken zur Wand steht..." "The New York Times":

"Den schlimmsten politischen Schaden verursacht Israels Ministerpräsident Sharon, dessen reflexartige militärische Antwort auf den Terror die Autorität des gemäßigten palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas zu untergraben droht. (...) Israelische Truppen in Marsch zu setzen, als ob sich nichts geändert hätte, beschädigt ohne Grund die Glaubwürdigkeit von Abbas und den gesamten Friedens-Fahrplan von Präsident Bush. Wenn es Sharon jetzt noch nicht klar ist, dass niemals allein militärischer Druck Israel sicher vor Selbstmordattentätern macht, dann muss das Weiße Haus alles tun, um ihm das verständlich zu machen."

"Daily Mirror":

"Israels rücksichtsloser Angriff auf einen Hamas-Führer musste zwangsläufig zu einem Vergeltungsschlag führen. Gestern ist es geschehen. 16 unschuldige Israelis haben mit ihrem Leben bezahlt. Und natürlich starben noch mehr, als Israel zurückschlug. Bush machte einen niedergeschlagenen Eindruck. Er hatte gehofft, den Nahen Osten wieder auf Friedenskurs gebracht zu haben. Jetzt muss er entscheiden, ob er seinen Friedensplan aufgibt oder den nahe liegenden alternativen Schritt tut und darauf besteht, dass die israelische Führung so geändert wird, dass sie den Frieden bringt, den er und der Rest der Welt wollen."

"Le Figaro":

"Alle in Camp David ausgearbeiteten Kompromisse sind gescheitert. Die in Oslo, Taba oder Wye Plantation unterzeichneten Vereinbarungen haben sich als wertloses Papier erwiesen. Heute liegt alles darnieder. Israels Regierungschef Ariel Sharon wird beschuldigt, mit dem Feuer gespielt zu haben. Gemäßigte Palästinenser sind destabilisiert. Was Bush angeht, so muss er feststellen, dass er seinen Joker in dieser undurchsichtigen und verlogenen Poker-Partie verloren hat, die der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern immer war. Denn ohne den so genannten Nahost-Fahrplan ist das so mächtige Amerika nicht mehr als ein gefesselter Gulliver."

"Liberation":

"Bush muss den israelischen Regierungschef jetzt zwingen, sich trotz absehbarer neuer Attacken zurückzuhalten. Und er muss Druck auf die arabischen Länder ausüben, damit diese ihr ganzes politisches Gewicht zu Gunsten der Regierung von Mahmud Abbas und gegen die bewaffneten Gruppen einsetzen. Wenn Bush das noch retten will, was das Ergebnis seiner versuchten Friedensstiftung sein könnte, dann muss er nun über die üblichen Verurteilungen und Zurechtweisungen hinausgehen. Und er darf nicht zögern, die massiven Druckmittel anzuwenden, über die er verfügt."

"Il Messaggero":

"Nach der neuen Eskalation des Terrors liegt es an Bush, den nächsten Zug zu machen. Die Verurteilungen und Ausdrücke des 'Entsetzens' reichen nicht mehr aus. Auch angesichts der Emotionen, die die jüngsten Ereignisse in Amerika hervorgerufen haben, ist es die Pflicht des Präsidenten der USA, neue und mutigere Initiativen zu ergreifen, um den beiden Streitparteien wieder klar zu machen, dass die Amerikaner den Friedensprozess anführen wollen."

"de Volkskrant": "Bush muss über die Entwicklung besorgt sein. Er hat wenig Zeit, beide Seiten aus der Sackgasse heraus zu holen, in die sie durch die zweite Intifada in 32 Monaten geraten sind. Er kann nicht daheim mit seinem Wahlkampf beginnen, wenn er mit dem Nahen Osten die Hände voll hat. Seine Wähler würden nicht verstehen, warum er sich mit dieser Region befasst und nicht mit den USA. (...) In Akaba konnte Sharon es sich nicht erlauben, einem amerikanischen Präsidenten, der auch noch als pro-israelisch gilt, mit einem 'Nein' zu begegnen. Aber mit der versuchten 'Liquidation' Rantisis zeigte er, dass er auf Kollisionskurs liegt. Die Reaktion war grausam und vorhersehbar. Jetzt ist die Frage, was Bush zu tun wagt, wenn Sharon weiter auf Kollisionskurs bleibt. Es wird nicht ausreichen, beide Seiten erneut aufzufordern, sich an den Plan zu halten..." "The Independent" (London):

"Den Israelis wird es mit Vergeltungsschlägen nicht gelingen, die Terroristen zu unterdrücken und die nationale Sicherheit zu gewährleisten. Das konnte nie gelingen und wird nie gelingen. Die israelische Regierung mag das Gefühl haben, dass sie unter den gegenwärtigen Umständen keine Wahl hat - und doch wird sie so nichts ausrichten können. Rachsüchtige Unterdrückung mag dazu führen, dass sich einige Israelis besser fühlen, aber sie hat selten die gewünschte Wirkung. Und so scheint der Teufelskreis der Gewalt weiterzugehen. Doch was die Sache jetzt ändert, ist die Rolle, die die Vereinigten Staaten im Friedensprozess spielen - und das persönliche Engagement von Präsident Bush. Er muss die ganzen beträchtlichen politischen und finanziellen Druckmittel nutzen, mit denen die USA die israelische Politik beeinflussen können, um Sharon auf dem Pfad des Friedens zu halten. Eine solche Politik mag Sharon nicht gerade populär machen, doch - wie Bush sagen würde: Nun ist die Zeit für Mut und Moral."

"Algemeen Dagblad" (Den Haag):

"Der in Akaba vorgestellte Fahrplan zum Frieden führt zuerst zu Gewalt und Terror (...) Der Fahrplan wirkt wie eine Sackgasse. Ob es wirklich eine ist, hängt vom Vorkämpfer für den Plan ab, US-Präsident Bush. Mit gemäßigter Kritik reagierte er auf die israelische Aktion gegen den Hamas-Funktionär Rantisi, und mit heftigen Worten verurteilte er (am Mittwoch) den palästinensischen Terrorangriff. Das ist nicht genug. (...) Unter der Aufsicht von Bush schlossen Israelis und Palästinenser in Akaba einen Pakt der guten Absichten. Gute Absichten können aber auch den schnellen Weg zur Hölle bereiten. Dieser Weg führt dann über Hamas."

"Neue Zürcher Zeitung":

"Das Weisse Haus hat trotz der klaren Absicht, eine deutliche Botschaft an die Regierung Sharon zu schicken, darauf verzichtet, die Israelis zu einem Aufgeben der Politik zielgerichteter Tötungen von Personen zu veranlassen, die als Terroristen bezeichnet werden. In europäischen und arabischen diplomatischen Kreisen wurde die Ansicht vertreten, dass die Entwicklung eine Herausforderung für Bush darstelle und den Druck auf ihn erhöhe, sich stärker einzuschalten, um direkte Gespräche zwischen Sharon und Abbas voranzubringen."

"Der Tagesspiegel": "Mahmud Abbas ist ein Regierungschef auf Abruf. Zumindest dann, wenn Ariel Scharon seine bisherige Politik fortsetzt. Diese dient angeblich der Stärkung der Roadmap, hat sie aber in Wirklichkeit torpediert und praktisch zu ihrer Aussetzung geführt hat. Der missglückte Tötungsversuch des Hamas-Führers Rantisi hat die Stellung der radikal-islamistischen Gruppe unter den Paläsinensern gefestigt". (APA/AFP/dpa)