Wien - Es sind die prosaartigen Rechtfertigungen der Ratingagenturen, die Dorain Credé stören. "In diesen Stellungnahmen wird viel erklärt, aber nicht, wie die Agenturen zu ihrem Schluss kommen", sagt Credé zum STANDARD. Das und die Frage, wie etwas, das heute noch top ist, morgen schon flop sein kann, haben den Schweizer Mathematiker mit österreichischen Wurzeln dazu veranlasst, seine eigene Rating-Plattform ins Leben zu rufen..
Mit Wikirating stellt Credé die Macht von Standard & Poor's, Moody's und Fitch infrage und setzt auf die kollektive Intelligenz der Online-Community. Eine Bewertung zu einem Land oder einem Unternehmen kann auf Wikirating jeder abgeben. Die einzige Vorgabe ist, dass man sich auf der Rating-Plattform registriert.
Derzeit stehen den Benutzern zwei Rating-Verfahren zur Verfügung: Beim " Polling" vergibt der User einfach eine Note für die Kreditwürdigkeit, die von AAA bis D(efault) reicht. Jeder Nutzer kann für jedes Land oder Unternehmen nur eine Stimme abgeben - diese aber jederzeit verändern.
Die zweite Methode ist der "Sovereign Wikirating Index". Dabei werden ökonomische Daten wie Schuldenquote, Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit etc. in die Bewertung einbezogen. "Die Formel dafür steht auf der Homepage, jeder kann sich die Daten herunterladen, wir legen unsere Methode offen, arbeiten daher völlig transparent", sagt Credé.
Auffällig ist für den IT-Expterten, dass die Internet-Community einige Industrieländer deutlich schlechter einstuft als das die großen Agenturen tun. Österreich bekommt von den Wikirating-Usern beispielsweise nur ein A-, ebenso Deutschland. Frankreich rangiert unter BBB+, die USA liegen bei BB-. Die Divergenz zu den Bewertungen der großen drei Agenturen erklärt Credé mit der Innensicht der User. " Menschen, die soziale Einschnitte in einem Land erleben, gehen bei der Bewertung ihres Landes strenger vor. Zudem zeigt sich, dass der Patriotismus beim Abstimmverhalten nicht immer vorhanden ist."
Bewertet werden können derzeit alle Uno-Länder samt wirtschaftlicher Sonderzonen wie beispielsweise Macau. Auf der Unternehmensebene stehen die 200 größten Firmen (gemessen am Umsatz) bereit.
Die Rating-Methoden sollen künftig weiterentwickelt werden. Auch Dienstleistungen, wie etwa Länderreports, würde Wikiratings gerne publizieren. Dafür braucht es aber noch den finanziellen Background, den Credé mit einer Stiftungslösung umsetzen möchte, die - wie bei Wikipedia - aus Spenden gespeist wird. Damit bliebe man auch finanziell unabhängig - im Gegensatz zu den großen Agenturen, die letztlich von jenen Ländern und Unternehmen bezahlt werden, über die sie ihren Daumen heben oder senken. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.2.2012)