Man stelle sich vor: Der österreichische Nationalrat verabschiedet ein Gesetz, das das Postwesen erneuern soll. Laut Gesetz werden sämtliche Briefkästen mit Kartenlesegeräten ausgestattet. Bevor man einen Brief abschicken kann, muss man sich via eCard identifizieren und den Empfänger eingeben. Danach werden diese Daten mit einem Zeitstempel versehen und in einer Datenbank gespeichert. Weil diese technischen Spielereien natürlich auch ein wenig kosten, wird nebenbei das Briefporto noch verdoppelt.

In etwas über einem Monat ist es soweit: Obwohl niemand mit Bestimmtheit sagen kann, was nun der sicherheitstechnische Unterschied zwischen einem Brief und einer E-Mail oder eines SMS ist, wird hier eine strikte gesetzliche Trennung eingeführt: Digitale Kommunikationsdaten werden ab dem 1. April für sechs Monate gespeichert. Auf Vorrat.

Auf Begründungssuche

Fragt man einzelne Abgeordnete, die dieses Gesetz mitverabschiedet haben, so gibt es meistens gar keine Antwort - man ist offensichtlich schwer damit beschäftigt, neue, noch-weitergehende Gesetze zu entwerfen. Bekommt man eine Antwort, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Terrorismusbekämpfung und Kinderpornographie.

Natürlich lassen sich weder gemeingefährliche Terroristen noch Pädophile durch die Vorratsdatenspeicherung aufhalten - die Daten werden ja nicht live untersucht, sondern nur abgespeichert - damit man im Bedarfsfall ermitteln kann, auf welchen schmuddeligen Seiten sich derjenige herumgetrieben hat. Außerdem kann jede Person innerhalb von Minuten sämtliche Bemühungen um speicherbare Daten zunichte machen: Telefoniert wird dann eben nur noch über Wertkartenhandys, E-Mails werden nur noch im Webbrowser über einen ausländischen Server geschrieben und zum Surfen werden verschiedene Anonymisierungsdienste eingesetzt.

Kosten und Nutzen

Die Daten, so sieht es das Gesetz vor, werden beim jeweiligen Service-Provider gespeichert. Man darf drei Mal raten, wer für die Kosten aufkommen wird. Bei sämtlichen Telefon-, E-Mail- und Browserverbindungen kommen da innerhalb von sechs Monate einige Daten zusammen. Diese Daten müssen natürlich auch mehrfach gesichert werden, da sie im Bedarfsfall ja dringend benötigt werden.
Dazu kommt noch die technische Herausforderung, dass sämtliche Verbindungsdaten mehr oder weniger ohne Latenzzeiten gesichert werden müssen: Wer will schon jedesmal eine halbe Sekunde warten, bis der Vorratsdatenserver die jeweiligen Daten gespeichert hat, oder bis dann das SMS endlich abgeschickt ist? Eine technische Herausforderung, die in der Umsetzung wohl einiges kosten wird - im laufenden Betrieb dann aber noch viel mehr.

Rein ermittlungstechnisch sind diese Daten natürlich nicht einmal die Festplatten wert, auf denen sie gespeichert sind. Es finden sich sicher Tausende links-liberale Mitbürger, die schon mehrmals auf alpen-donau.info gesurft haben, vermutlich verursachen sie dort sogar mehr Traffic als die Rechtsradikalen.

Fazit: Die kleine Frage "warum?" bleibt.

Geht man davon aus, dass an den entscheidenden Stellen in den Parteien europaweit durchaus Menschen sitzen, die die technische Nutzlosigkeit verstehen können, dann stellt sich nachwievor die Frage, warum dieses Bollwerk gegen die Privatsphäre eingeführt werden soll.

Im besten Fall wird auf diese Leute einfach nicht gehört. Im schlimmsten Fall ist die Einführung der Vorratsdatenspeicherung nur ein europaweiter Test, wie weit die Regierungen in die Privatsphäre eingreifen können, ohne dass das Volk aufbegehrt. (Lukas Linemayr, derStandard.at, 22.2.2012)