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Assad-Anhänger (oben, mit Staatsfahne) und Regimegegner (unten, mit Revolutionsflagge) bei einer rivalisierenden Kundgebung in Beirut.

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Lieber "den Teufel, den man kennt", unterstützen, als ihn mit dem sunnitisch-islamistischen Beelzebub austreiben?

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Thomas Schmidinger: Eine Militärintervention wäre verheerend.

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Mittlerweile scheint es nur mehr eine Frage der Zeit zu sein, bis das arabisch-nationalistische Baath-Regime, das seit dem Putsch von Hafiz al-Assad 1971 von Familienclans aus der heterodoxen schiitischen Minderheit der Nusairier (Alawiten) geprägt ist, kollabieren wird. Die mangelnde Kompromissbereitschaft und Reformfähigkeit des Regimes, aber auch das Fehlen einer organisierten zivilen Opposition mit kampffähigen Gewerkschaften sowie die politische und militärische Unterstützung der Türkei, Saudi-Arabiens, Qatars und der USA für die Freie Syrische Armee, haben zu einer Militarisierung des Konflikts geführt, die einen Neustart erschweren wird.

Derzeit wird die Opposition noch von ihrem gemeinsamen Gegner zusammengehalten. Im Gegensatz zu Libyen gibt es allerdings nicht einmal pro forma eine einheitliche politische Vertretung der Opposition. Der Syrische Nationalrat ist im Wesentlichen eine Exilveranstaltung und seine Mitglieder gestehen hinter vorgehaltener Hand längst ein, dass sie keinerlei Kontrolle über die sogenannte Freie Syrische Armee unter Riyad Al-Asad haben. Und unter vier Augen beschweren sich zivile Oppositionsführer, dass sie bei der finanziellen und militärische Unterstützung für Al-Asads Truppen durch westliche Geheimdienste übergangen werden.

Rivalisierende Milizen

Zudem ist diese Armee bereits jetzt in rivalisierende Milizen gespalten, die nach dem Sturz Assads aufeinander losgehen könnten. Salafitische Gruppen, die in der Vergangenheit in Syrien kaum eine Rolle spielten, gewinnen in den letzten Wochen mit der Forderung nach Militärinterventionen und dank der aktiven Unterstützung aus den konservativen sunnitischen Golfmonarchien an Anhängern. Hatten westliche Medien die Behauptungen des Regimes, wonach Al-Kaida für einige der blutigsten Anschläge verantwortlich wäre, noch für absurd gehalten, gehen mittlerweile auch westliche Geheimdienste davon aus, dass Al-Kaida in den syrischen Bürgerkrieg involviert ist. Syrien könnte damit ein Szenario drohen, wie es der Irak nach 2004 erlebt hatte.

Für die Sicherheit der religiösen Minderheiten, insbesondere der Nusairier (Alawiten) gibt es keine Garantien. Die Angst vor einem Rachefeldzug sunnitischer Milizen sitzt so tief, dass sich in den letzten Tagen sogar Glaubensbrüder aus der angrenzenden türkischen Provinz Hatay (Antakiya) zusammenfanden um in der Türkei für Assad auf die Straße zu gehen. Aber auch viele syrische Christen bevorzugen "den Teufel, den sie kennen", gegenüber einer möglichen sunnitisch-islamistischen Machtübernahme. Bei den großen armenischen und assyrischen Gemeinden spielen dabei auch historische Traumata eine wichtige Rolle. Fast eine Million Assyrer und knappe 200.000 Armenier sind Nachkommen jener Christen, die den Genozid der Jungtürken von 1915 überlebten und nach dem ersten Weltkrieg im französischen Mandatsgebiet Syrien Zuflucht fanden. Die Einmischung der türkischen AKP-Regierung aufseiten der syrischen Opposition und die engen Beziehungen der sunnitisch-religiösen türkischen Regierungspartei zur syrischen Muslimbruderschaft wecken bei diesen christlichen Minderheiten historische Ängste.

Gespalten zeigt sich auch die kurdische Minderheit. Über Jahre hinweg waren die syrischen Kurden die Speerspitze des Widerstands gegen das arabisch-nationalistische Baath-Regime. Nun finden sich zwar die meisten der kurdischen Parteien auf der Seite der Opposition wieder. Mit der PKK-Schwesterpartei PYD (Partiya Yekitiya Demokrat, Demokratische Unionspartei) stellte sich allerdings ein nicht unwesentlicher Akteur gegen die Opposition. Manche andere kurdische Parteien werfen der PYD sogar vor, offen mit dem Baath-Regime zu kollaborieren.

Neben der Frage des zukünftigen Verhältnisses von Religion und Staat und damit der religiösen Minderheiten, bildet denn auch die Kurdenfrage die zweite zentrale Fragestellung für eine zukünftige politische Ordnung in Syrien. Zwar können sich die meisten arabischen Oppositionskräfte mittlerweile zu einem sehr schwammigen allgemeinen Bekenntnis zur Gleichberechtigung und zu kulturellen Rechten für die Kurden durchringen, zugleich betonen arabische Oppositionsgruppen, dass es keine politische Autonomie nach irakischem Vorbild geben werde. Die kurdische "Zukunftsbewegung", deren Gründer Mischal at-Tammu im Herbst vermutlich vom Regime ermordet wurde, stellte sich trotzdem hinter die Protestbewegung, wie auch zahlreiche kurdische Intellektuelle und Künstler. Sie hoffen, durch ihre Beteiligung am Sturz des Regimes bei einer Neuordnung Syriens möglichst viele Rechte für die kurdische Minderheit herausschlagen zu können.

Selbst dieser oberflächliche Blick auf die Situation in Syrien zeigt, dass es nicht mit einem Sturz des Regimes getan ist und selbst einer Niederlage Assads nicht notwendigerweise Menschenrechte und Demokratie folgen werden, sondern möglicherweise Racheakte an religiösen Minderheiten und ein langjähriger konfessionalisierter Bürgerkrieg, der derzeit auch durch den saudisch-iranischen Regionalkonflikt angeheizt wird.

Menetekel Libyen

Eine Militärintervention könnte in dieser Situation möglicherweise noch mehr Öl ins Feuer gießen und schließlich geht es der internationalen Gemeinschaft in Syrien einmal mehr nicht nur um Menschenrechte und Demokratie, sondern vor allem um das Abstecken zukünftiger Einflusssphären. Dass Russland und China bislang einer entsprechenden US-Resolution ihre Zustimmung verweigern, hat wesentlich mit der Mandatsüberschreitung der Nato in Libyen zu tun. Dort wurde die US-Resolution 1973 schließlich zum Sturz Gaddafis missbraucht. Von Demokratie und Menschenrechten ist auch im neuen Libyen wenig zu sehen.

Im Falle Syriens gibt es keine Indizien, dass ein Bürgerkrieg zu weniger Blutvergießen und einem stabileren und demokratischeren Ergebnis führen könnte als in Libyen. Insofern wäre eine gemeinsame diplomatische Mission, die von den USA, der EU, Russland und China getragen würde und die das Ziel der Einstellung der Kämpfe und der Ermöglichung eines Übergangs zu freien Wahlen unter internationaler Beobachtung hätte, wohl das erfolgversprechendere Szenario als eine humanitär begründete Militärintervention. (Thomas Schmidinger, DER STANDARD-Printausgabe, 22.02.2012)