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Der Ehevertrag von Franz Joseph und Sisi von 1854. Die Ehe war nur bedingt glücklich.

Foto: APA/OESTERREICHISCHES STAATSARCHIV, ABT. HAUS UND STAATSARCHIV

Die katholische Ehe ist bis heute ein Sakrament, dessen Gültigkeit nur mit dem Tod eines der Ehepartner erlischt. Doch bereits vor der Einführung der Zivilehe in Österreich im Jahr 1938 existierten Möglichkeiten, unliebsame Verbindungen zu beenden: Ehefrauen wie Ehemänner, die nicht länger mit ihrem Partner leben wollten, konnten beim Kirchengericht ihrer Diözese um eine "Trennung von Tisch und Bett" ansuchen. Akzeptierte das Konsistorium ihre Argumente als Trennungsgrund, erhielten sie - meist zeitlich befristet - die Erlaubnis, getrennt zu wohnen. Die Ehe blieb allerdings weiterhin aufrecht, außerehelicher Sex blieb verboten.

Das vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützte Projekt "Ehen vor Gericht" am Institut für Geschichte der Universität Wien setzt sich noch bis 2014 mit diesem kaum untersuchten Thema auseinander. Im Fokus stehen Trennungen in der Zeit vom Ende des 16. Jahrhunderts, wo die Quellenüberlieferung dichter wird, bis in die 1860er-Jahre hinein. Die Quellen aus der Zeit danach wurden großteils beim Justizpalastbrand von 1927 zerstört.

Die Studie erfasst das Erzherzogtum Österreich unter der Enns, das ungefähr dem heutigen Wien und Niederösterreich entsprach. "Die Wahl dieser Region ist einerseits quellentechnisch bedingt, andererseits können wir damit städtische und ländliche Regionen miteinander vergleichen", sagt Projektmitarbeiter Georg Tschannett.

Momentan arbeitet das Team an der Erhebung, Digitalisierung und Transkription der Eheverfahren. Die Quellensituation ist anspruchsvoll: Aus tausende Seiten umfassenden Konsistorialprotokollen der Kirchengerichte müssen die Trennungsfälle einzeln herausgesucht werden. Die Akten der weltlichen Ehegerichte, die seit dem Josephinischen Ehepatent von 1783 zuständig waren, sind zwar für Wien relativ gut zugänglich, jedoch nicht so für die Dörfer und Märkte, wo die Trennungen nicht gesondert von anderen Zivilprozessen archiviert wurden.

Die Eckdaten jedes Verfahrens werden in eine eigens entwickelte Datenbank gefüllt, die das Herzstück des Projekts bildet. Nach vier Monaten existieren bereits 1200 Datensätze, letztlich werden es zehntausende Einträge sein. Im der letzten Projektphase soll eine mikrohistorische Analyse ausgewählter Fälle erfolgen. Ziel ist es, die gewonnen Informationen online zugänglich zu machen.

Gewalt, Impotenz, Ehebruch

Die vorgebrachten Trennungsgründe sind vielfältig, wie Projektleiterin Andrea Griesebner erzählt: "Anfangs haben wir gedacht, dass die klagenden Ehepartner, um eine Trennung zu erreichen, die im jeweiligen Eherecht genannten Gründe in den Mittelpunkt stellen werden. Dann liest man die Erzählungen, und es kommt wirklich alles vor." Mittlerweile verfügt die Datenbank zur Abbildung der Argumente über neun übergeordnete Kategorien und etwa 80 Feinkategorien.

Die Klagen reichen von schweren physischen Misshandlungen, Morddrohungen und Impotenz über Verschwendung, einen liederlichen Lebenswandel und Schmähung der katholischen Religion bis hin zu Suiziddrohungen, mangelnder Fürsorge und Geschlechtskrankheiten. Die klagenden Eheleute stammten aus allen sozialen Schichten, von der Tagelöhnerin über den Schustermeister bis zur Gräfin.

"Wir wissen nicht, ob die vorgebrachten Gründe wahr sind", räumt Griesebner ein. "Wir wissen aber, dass das Konsistorium in aller Regel nur lebensbedrohende physische Gewalt und Ehebruch als Grund für eine unbegrenzte Trennung von Tisch und Bett anerkannte. Ansonsten durften die Paare für ein oder zwei Jahre getrennt voneinander leben."

Das Projektteam ist überzeugt, dass die untersuchten Verfahren Ansatzpunkte für viele Forschungsbereiche darstellen können, etwa für Frauen- und Geschlechtergeschichte, Alltagsgeschichte, Sozialgeschichte, Wirtschaftsgeschichte oder auch Körper- und Sexualitätsgeschichte. "Sexualität ist beispielsweise einer der wesentlichen Bereiche, der vor Gericht verhandelt wird", sagt Griesebner. Nicht zuletzt geht es um die Ausgangsfrage selbst: Ist die Trennung von Tisch und Bett ein häufig vorkommendes Verfahren? Griesebner: "Dass Menschen heiraten und feststellen, dass es doch nicht funktioniert, ist keine auf die Gegenwart begrenzte Erfahrung. Geändert haben sich allerdings die Optionen, die Menschen zur Verfügung stehen, um Entscheidungen zu revidieren." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. Februar 2012)