Grünewald: "Das Versprechen sozial ausgewogener Stipendien ist völlig unglaubwürdig."

Foto: derStandard.at/Pumberger

Wenn Kurt Grünewald, Wissenschaftssprecher der Grünen, vor die Wahl gestellt würde, entweder Studiengebühren oder ein Drittel weniger Studierende zu akzeptieren, würde er sich für Ersteres entscheiden: "Es gibt größere Katastrophen als Studiengebühren, zum Beispiel den extrem restriktiven Zugang zum Studium." Gleichzeitig fordert er ausgewogene Stipendien, die deutlich höher als im derzeitigen Beihilfensystem sind. 

Warum Wissenschaftsminister Töchterle in seinen Augen manchmal stur ist und weshalb er befürchtet, dass die Mediziner der Zukunft aussehen "wie ein Rudel klonierter Dalmatiner-Babys", sagt er im Interview mit derStandard.at.

****

derStandard.at: Sie sind von Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle in einem STANDARD-Interview scharf kritisiert worden. Er hat gesagt, er sei von den Grünen "maßlos enttäuscht", und hat Ihre "reflexartige, unreflektierte und manchmal polemische bis böswillige Reaktion" kritisiert. Wieso enttäuschen Sie den Minister?

Grünewald: Das muss sein, ich bin nicht als sein Pressesprecher angestellt. In meinen Presseaussendungen sind sicher ein paar Dinge drinnen, die nicht sehr lieb sind; aber das muss ein Minister aushalten. Dass ein Minister einen Abgeordneten rügt und Benimmnoten verteilt, hat es aber noch nie gegeben. Töchterle wirft seinen Gegnern immer vor, sie seien stur und hätten ideologische Scheuklappen. Er ist aber auch stur. Und zwar verdammt stur. Er sagt dem Parlament: Seine Argumente sind einfach richtig, und jeder, der Verstand hat, müsse ihm zustimmen. Er stempelt damit alle, die nicht seiner Meinung sind, als Vollkoffer ab. Das ist auch keine Freundlichkeit. 

derStandard.at: Sie kennen den Minister schon lange, noch aus Ihrer Zeit in Innsbruck. Waren die Ansprüche an Töchterle, der ja selbst einmal bei den Grünen war, vielleicht besonders hoch?

Grünewald: Ich habe früher gute Gespräche mit ihm geführt. Töchterle hat sich aber sehr verändert. Er ist eher ein Grüner aus dem Alpenvereinsbereich; für Natur und gegen zu viele Skilifte. Aber bildungspolitisch gesehen ist er kein Grüner. Er sagt, die Ganztagsschule sei Gleichmacherei, und fordert keine schlechte Uni für alle, sondern eine gute Uni für mehr. Für mehr ist aber kein Geld da. 

Es gibt eine Studie über die Studienplatzfinanzierung: Es kommt heraus, dass mit dem Geld, das jetzt zur Verfügung gestellt wird, nur zwei Drittel der jetzigen Studierenden aufgenommen werden könnten. Forschung, Lehre und Wissenschaft sollen Schwerpunktprogramm der Regierung sein, und dann ist das Ergebnis, dass es ein Drittel weniger Studierende geben wird. Obwohl wir international gesehen hier Nachzügler sind. Es ist ein bildungspolitischer Bankrott, wenn ein Drittel der Studierenden vor verschlossenen Toren stehen soll. 

derStandard.at: Einige Unis, zum Beispiel die Universität Wien, haben aus finanziellen Nöten bereits angekündigt, ab Herbst wieder Studiengebühren einheben zu wollen. Das Gesetz läuft ja eigentlich aus. Was sagen Sie zu dieser Reaktion der Unis?

Grünewald: Töchterle schiebt in der Frage der Studiengebühren den Unis den Schwarzen Peter zu. Nach dem Motto: Es waren ja dann die Unis. Fehlt gerade noch, dass er sagt: Ich wollte eh nie Studiengebühren. Das wäre die Höhe, ich finde das fies. Die Rektoren waren eigentlich nicht bereit, aufgrund eines Gutachtens vom Wissenschaftsministerium, das für sie keinen Gesetzescharakter hat, das Risiko von Klagen einzugehen und wieder Studiengebühren einzuheben. Heinrich Schmidinger (Rektor der Uni Salzburg und Vorsitzender der Universitätsrektorenkonferenz, Anm.) hat eine politische Entscheidung gefordert. Ich finde auch: Studiengebühren Ja oder Nein - das ist eine ganz massive hochschulpolitische Weichenstellung. 

derStandard.at: Wie ist Ihre Position in dieser Frage?

Grünewald: Es gibt größere Katastrophen als Studiengebühren, zum Beispiel den extrem restriktiven Zugang zum Studium. Sie sind für mich nicht die größte Katastrophe. Aber wenn man weiß, dass Österreich im internationalen Vergleich in der Bildungsbeteiligung hintennachhinkt, dann sind Studiengebühren kein Anreiz, dass mehr Leute studieren.

Man steht vor einer Situation, in der gesagt wird: entweder Studiengebühren oder ein Drittel weniger Studierende. Dann würde ich sagen: lieber mehr Studierende, aber dann braucht es sozial ausgewogene Stipendien. Studiengebühren werden die Zahl der Studierenden aber auch nicht erhöhen, und das Versprechen sozial ausgewogener Stipendien ist völlig unglaubwürdig.

derStandard.at: Wenn Sie sagen, Studiengebühren sind nicht die größte Katastrophe, dann ist Alexander Van der Bellen gar nicht so danebengelegen, als er Studiengebühren gefordert hat. Das hat aber für einen riesigen Wirbel gesorgt.

Grünewald: Ich sage: Es ist nicht die größte Katastrophe, aber eine gute Bildungspolitik darf nicht die Summierung kleiner Katastrophen sein. Wenn ich mehr Studierende will und Eltern nicht in den Ruin treiben will, sind Studiengebühren kontraproduktiv. Studierende verlieren Semester aus finanziellen Gründen, und Töchterle hat keine Alternative vorgelegt. 

Studiengebühren sind nicht nur für Studierende ein Problem, sondern auch für die Eltern. Die monatlichen Lebenshaltungskosten eines Studierenden werden auf 900 Euro geschätzt. Angenommen, du bist Mittelstand - die heilige Kuh der ÖVP - und hast zwei Kinder, die nicht am Heimatort studieren, und du müsstest jedem 900 Euro geben: Das sind in einer Familie 1.800 Euro, die sie weggeben muss. Das geht nicht. 

derStandard.at: Töchterle hat im Herbst ein Beihilfenmodell präsentiert. Damit sind Sie nicht zufrieden?

Grünewald: Beim Beihilfenmodell von Töchterle kennt man sich überhaupt nicht aus. Es steht auch keine Zeile darüber, ob jetzt zwei Prozent Studierende mehr bekommen sollen als bisher oder 20 Prozent. Steigt die Höhe der Beihilfen? Die sind ja derzeit alle unter der Mindestsicherung, selbst die höchsten.

derStandard.at: Wie soll das Beihilfensystem aussehen?

Grünewald: Das untere und das mittlere Einkommensdrittel bekommen ausreichend Beihilfen. Das obere Einkommensdrittel erhält ein leicht verzinsten Darlehen. Aber nicht einmal das hat Töchterle geliefert. 

Es müssten doppelt so viele Stipendien monatlich ausgezahlt werden, die Studierendenbeiträge gibt es nur zweimal im Jahr. Das heißt, der Staat würde mehr ausgeben, als er durch Studiengebühren einnimmt. Das wird Töchterle in der derzeitigen Situation nicht wollen und können, und Finanzministerin Fekter auch nicht. Das heißt, zu sagen, man macht sozial gerechte Beihilfen, die ausreichend viele kriegen, ist ein durschaubarer Trick. Die ÖVP kommt immer zu mir und fragt: Wenn wir sozial gerechte Beihilfen machen, wärst du bei Studiengebühren dabei? Meine Antwort: Sozial gerechte Beihilfen wird es vor sechs Jahren nicht geben.

derStandard.at: Die SPÖ ist auch gegen Studiengebühren. Die Einzige, die sich dafür ausspricht, ist Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller. Können Sie ihrer Argumentation folgen?

Grünewald: Die SPÖ ist ein nicht sehr homogenes Gebilde. Ich bin mit Kuntzl (Wissenschaftssprecherin, Anm.) sehr oft einer Meinung. Burgstaller ist keine Bildungspolitikerin. Aber auch sie sagt, wenn man es genau liest: Studiengebühren sind erst dann gerechtfertigt, wenn gute Studienbedingungen da sind und es soziale Stipendien gibt. Burgstaller meint, man könne die Gebühren erst dann einführen, wenn wir in Österreich gute Studienbedingungen haben. Wenn man Burgstaller beim Wort nimmt, spielt sich in den nächsten sechs Jahren gar nichts ab.

derStandard.at: Für Aufregung sorgt derzeit auch die neue Studieneingangsphase. An der Uni Wien wird man lebenslang gesperrt, wenn das Ergebnis der Prüfung zweimal negativ ist. Wie beurteilen Sie die STEOP?

Grünewald: Es ist schlichtweg nicht machbar, Lehrveranstaltungen anzubieten, die einen Überblick über das ganze Studium innerhalb von nur einem Semester liefern sollen. Ich wäre dafür gewesen, dass man den Studierenden die Möglichkeit gibt, ein Bakkalaureat in einem Bündel wahlverwandter Fächer zu machen: zwei, drei Sprachen, oder man macht Zoologie und Botanik - eine Art Studium generale für ein Fachbündel. Nach dem Bakkalaureat wählt man ein einzelnes Fach aus und macht dort den Master weiter. Man selektioniert sich also selbst in ein Fach.

Die lebenlange Sperre nach zwei negativen Prüfungsantritten an der Uni Wien finde ich ausgesprochen hart. Ich glaube nicht, dass die Leute sich nicht bemühen, die Prüfung zu bestehen. An der Wirtschaftsuni Wien bestehen die Eingangsphase nur 20 Prozent. Dass 80 Prozent der MaturantInnen zu blöd für ein WU-Studium sind, das kann ich mir nicht vorstellen. So schlecht können unsere jungen Leute nicht sein.

derStandard.at: Also verwenden die Unis die Eingangsphase gezielt, um rauszuprüfen?

Grünewald: Das wird zwar im Gesetz extra ausgeschlossen - aber no na net. Und ich muss sagen: Ich habe die Notwehraktion der Rektoren teilweise verteidigt. Sie schaffen es nicht anders. Aber diese Prüfungen haben auch etwas Negatives. An den Medizin-Unis werden alle nach den gleichen Kriterien ausgewählt. Da kriegt man mit der Zeit Mediziner, die aussehen wie ein Rudel klonierter Dalmatiner-Babys.

derStandard.at: In den vergangenen Tagen wurde Kritik laut, weil das IST Austria mit einer Milliarde Euro gefördert wird. Sehen auch Sie eine Diskrepanz zu den anderen Unis?

Grünewald: Ja, und die Unis haben keine Möglichkeit, in den Prozess einzugreifen. Wenn ich das IST füttere, dann soll man den Unis Chancen geben, in Konkurrenz zu treten. Ich verstehe, dass der Präsident vom IST sagt, er kann nicht exzellente Leute verpflichten, wenn er keine langfristige Finanzierung hat. Aber bis 2027? Bis 2020 hätte auch gereicht. Wenn Unis gleichzeitig Geld gestrichen wird, dann ist das nicht sauber. (derStandard.at, 23.2.2012)