Wien - Der deutsche Historiker Matthias Dahlke hat schon vor einigen Jahren im Nachlass des deutschen SPD-Politikers Hans-Jürgen Wischnewski ein Protokoll über ein Treffen in Wien gefunden, wo über Vermittlung des damaligen Bundeskanzlers Bruno Kreisky Führungspersonen der palästinensischen Terrororganisation PLO mit deutschen Regierungsbeamten über eine Art Stillhalteabkommen verhandelten. Das Treffen fand am 24. November 1977 statt, ganz knapp nach dem "deutschen Herbst", als im Oktober die Lufthansa-Maschine "Landshut" entführt worden war.

Dahlke hat nun eine umfangreiche Darstellung über den Umgang mit dem Terrorismus in Deutschland, Österreich und den Niederlanden in den 1970er-Jahren vorgelegt, in der man auch für Österreich interessante Details findet.* Vor allem ist das Buch eine neuerliche, detaillierte Bestätigung der Politik Kreiskys, der von Anfang an eine flexible Linie jenseits einer "Mit Terroristen wird nicht verhandelt"-Ideologie fuhr.

Österreich machte die erste Bekanntschaft mit dem PLO-Terrorismus am 28. September 1973, als zwei Palästinenser bei Marchegg in einem Zug, in dem auch jüdische Auswanderer aus der Sowjetunion fuhren, mehrere Geiseln nahmen. In Österreich war man, obwohl es erst ein Jahr zuvor bei den olympischen Spielen in München zu einem verheerenden Anschlag gekommen war, nicht wirklich vorbereitet; das galt vor allem für die Sicherheitsbehörden. Ein Mann, der sich als "Scharfschütze" des Bundesheeres ausgab, konnte bis zu den Geiselnehmern vordringen, nachdem er vorher in Gegenwart des Wiener Polizeipräsidenten und des Generaldirektors für die öffentliche Sicherheit eine Pistole durchgeladen hatte.

Erst nachdem die Terroristen fragten, wen man ihnen da geschickt hatte, wurde der Mann auf Befehl des NÖ-Sicherheitsdirektors ("Der ist ja illuminiert") abgeführt.

Kreisky hatte vordergründig den Forderungen der Terroristen nachgegeben, das Durchgangslager Schönau, aus dem die Sowjetjuden nach Israel weiterreisten, zu schließen. Der Transit selbst ging aber anderswo ungehindert weiter, was schließlich auch die tobende israelische Regierung (inoffiziell) anerkannte.

1975 erfolgte der noch ernstere Überfall auf die Opec-Zentrale durch den Terroristen "Carlos". Dahlke beschreibt, wie die Minister Androsch, Broda und Rösch versuchten, den abwesenden Kreisky zu präjudizieren, der nahm jedoch nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub die Zügel fest in die Hand. Der Opec-Überfall war von Muammar al-Gaddafi unterstützt worden. Die PLO unter Yassir Arafat hingegen wollte vom Terrorismus loskommen. Ihr Preis war internationale Anerkennung, die Kreisky mit der Einladung nach Wien förderte (mit dabei u. a. der Organisator des Münchner Anschlages, Salameh).

"Ob in Wien Vereinbarungen zwischen Österreich, Westdeutschland und der PLO getroffen wurden, ist nicht aktenkundig", so Dahlke. Allerdings lud Kreisky im Juni 1979 mit großem Pomp Arafat und den deutschen SP-Vorsitzenden Willy Brandt nach Wien. Die PLO wurde salonfähig, ihre Anschläge hörten auf. Die viel radikalere Abu-Nidal-Gruppe ermordete später aber den Wiener Stadtrat Heinz Nittel und führte einen Anschlag auf die Wiener Synagoge durch.

Dahlke resümiert: "Kreisky ahnte, dass er mit der Zähmung der PLO nur die Radikalisierung neuer Gruppen beförderte. Dennoch war er eigenständig, durchsetzungsfähig und mutig genug, im Sinne von Österreichs Sicherheit neue und politisch ungewisse Wege zu beschreiten". (rau, DER STANDARD, Printausgabe, 24.2.2012)