Wien - Wie fair ist Fairtrade? Kritiker halten es für einen Etikettenschwindel mit bestenfalls minimalen Auswirkungen, die Organisation selbst sieht ihr Modell als wichtige Möglichkeit für Bauern, der Armut zu entkommen. Eine Liste der häufigsten Kritikpunkte - samt Erwiderungen.
Fairtrade ist irrelevant und lenkt von Problemen ab. Zwar haben sich die Umsätze von Fairtrade in den vergangenen Jahren drastisch erhöht; der weltweite Marktanteil liegt aber immer noch - bestenfalls - im sehr niedrigen einstelligen Bereich. Das Modell nütze kaum, würde aber von anderen, wichtigeren Diskussionen ablenken, wie etwa einem Verbot der Spekulation mit Nahrungsmitteln, meint Kathrin Hartmann, Autorin des Label-kritischen Buchs Das Ende der Märchenstunde. Fairtrade-Produkte hätten etwa bei Bananen in Österreich bereits Marktanteile von 30 Prozent, hält Hartwig Kirner dagegen, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich. Außerdem habe das Modell "Strahlwirkung".
Fairtrade ändert nichts an den falschen Strukturen. Die Bauern würden in "kolonialen Strukturen gefangen bleiben", sagt Hartmann. So sind alle Fairtrade-Produkte für den Export bestimmt, was die Produzenten in Abhängigkeit vom Westen hält. Gleichzeitig nutzen die besten Fairtrade-Prämien nichts, wenn gleichzeitig der Weltmarktpreis für Weizen so stark steigt, dass sich Bauern wieder nichts zu essen kaufen können. Stimmt, sagt Kirner. Aber ohne Devisen aus dem internationalen Handel könne dieses gar nicht aufgebaut oder die Landwirtschaft modernisiert werden, um Nahrungssouveränität zu garantieren. Und durch den Anbau von Rosen können auf einem Stück Land viel mehr Menschen ernährt werden als etwa mit Getreide.
Fairtrade-Produkte sind zwar teurer, die Bauern verdienen aber nicht immer mehr mit ihnen. Fairtrade garantiert Bauern einen Mindestpreis für ihre Produkte. In den vergangenen Jahren aber lag der Rohstoffpreis auf dem Weltmarkt deutlich höher - die Bauern haben also nicht davon profitiert. Ein Mindestpreis hilft zudem nicht, wenn nicht auch eine Mindestabnahmemenge garantiert ist, argumentiert der britische Ökonom und Fairtrade-Kritiker Philip Booth. Fairtrade-Bauern müssen bis zu 80 Prozent ihrer Ernte ohne Siegel verkaufen, weil sie keine Abnehmer finden. Viele Produkte, etwa Bananen, seien gar nicht mehr teurer als andere, entgegnet Kirner. Außerdem gehe es bei Fairtrade nicht primär um bessere Preise - die Organisation der Bauern in Kooperativen sei viel wichtiger. Das stärke ihre Verhandlungsbasis gegenüber Käufern und gebe ihnen einen besseren Zugang zum Markt.
Kooperativen sind keine gute Idee. Zusätzlich zum Verkaufspreis zahlt Fairtrade eine fixe Prämie an die Kooperativen. Diese variiert je nach Produkt, bei Kaffee lag sie zuletzt bei 200 US-Dollar pro Tonne. Die Kooperativen entscheiden demokratisch, was mit diesem Geld passiert - theoretisch. Kooperativen seien als Organisationsform besonders anfällig für Misswirtschaft und Korruption, sagt Booth. Sie seien intransparent und es sei kaum überprüfbar, was mit der Prämie passiere. Kirner streitet nicht ab, dass es schwarze Schafe gibt - das sei aber bei weltweit 1,2 Millionen vertretener Bauern nicht zu vermeiden.
Fairtrade hilft gerade den Ärmsten nicht. Die meisten zertifizierten Kooperationen sind in den vergleichsweise gut entwickelten Ländern Lateinamerikas, zudem arbeitet die Organisation nicht mit einzelnen Bauern - gerade die allerärmsten Bauern sind aber laut Studien meist nicht in der Lage, sich zusammenzuschließen. "Wir können nicht alle Probleme der Welt lösen", sagt Kirner. Sehr arme Bauern leben oft von Subsistenzwirtschaft und handeln nicht - daher könne ein auf Handel basierendes System nicht helfen.
Die Fairtrade-Regeln entsprechen den Wünschen westlicher Konsumenten, nicht den Bedürfnissen armer Bauern. Fairtrade verbietet Kinderarbeit und den Anbau gentechnisch veränderter Lebensmittel - ein Fehler, wie Booth meint. "Arme Leute schicken ihre Kinder nicht arbeiten, um gemein zu ihnen zu sein, sondern um das Einkommen der Familie zu sichern", schreibt er. Und im Bananenanbau etwa sind genetisch veränderte Sorten deutlich robuster und zuverlässiger als konventionelle, was Kleinbauern sehr helfen kann. Fairtrade unterscheidet allerdings zwischen " ausbeuterischer" Kinderarbeit und solcher Arbeit, neben der sie noch zur Schule gehen können. Nur erstere ist laut Richtlinien verboten.
Fairtrade begünstigt Greenwashing. Mit dem Label besorgen sich Konzerne, die immer noch den überwältigenden Teil ihres Gewinns mit klassischer Ausbeutung machen, ein gutes Image, sagt Hartmann. Fairtrade würde von diesem Problem ablenken. Ihm sei diese Gefahr sehr bewusst, sagt Kirner. Aber: Wenn Nestlé seinen Kakao-Einkauf auf Fairtrade umstellt, dann habe das eben beträchtliche Auswirkungen. (Tobias Müller, DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.2.2012)