Gerda Winklbauer bleibt auch ohne Judo in Bewegung.

Foto: Sigi Lützow

Stockerau - Nein, Fotos hat Gerda Winklbauer keine mehr von ihren Taten. "Die habe ich alle irgendwann hergegeben", sagt die seit 15 Jahren in ihrer Heimatstadt Stockerau niedergelassene praktische Ärztin. Ein Bild von Lisa, dem täglich reitend zu bewegenden ungarischen Warmblut, schmückt die Ordination Am Kellern 11. "Bitte, ist sie nicht eine Schönheit?" Und Bilder von den fünf Kartäuserkatzen, die zu Hause warten. Und ein Porträt des 23-jährigen Sohnes Gerwig, der Biologie studiert, nachdem Jus und Wirtschaft dann doch nicht ideal gewesen sind. " Ich habe ihm gleich abgeraten, er braucht etwas Lebendiges. Wirtschaftler gibt es ohnehin genug", sagt die zierliche, 56-jährige Frau Doktor, an deren erste Karriere gar nichts erinnert Am Kellern 11.

Daheim, versichert Winklbauer, ist das nicht anders. Die Pokale hat sie großteils verschenkt. "Ich habe die Widmungen von den Sockeln genommen und sie für irgendwelche Veranstaltungen gespendet. Es waren so viele, wo hätte ich sie aufstellen sollen?" Natürlich, die WM-Goldmedaille von 1980 hat sie noch, "irgendwo auf dem Dachboden". Kaum ein angemessener Platz für ein tatsächlich sporthistorisches Stück. Am 30. November 1980 gewann Gerda Winklbauer bei der ersten Judo-WM für Frauen in New York durch einen finalen Ippon-Sieg über die Französin Marie-Paule Panza Gold in der Klasse bis 56 Kilogramm. Die damals 24-jährige Niederösterreicherin, als dreimalige Europameisterin angereist, hatte zu den Favoritinnen gezählt und vollendete in einer plüschigen, eher an ein Theater erinnernden Nebenhalle des Madison Square Garden das, was man daheim ein Judowunder nannte. Vor Winklbauer hatten schon die 19-jährige Wienerin Edith Simon (bis 66 Kilogramm) und die 24-jährige Steirerin Edith Hrovat (bis 52 Kilogramm) triumphiert.

"Golden Girls" und Gewichte

Dank der "Golden Girls" gewann die Mannschaft von Nationalcoach Ernst Raser, der die Szene durch Training mit Gewichten revolutioniert hatte, die Medaillenwertung. Judo näherte sich in den späteren Amtsjahren von Verbandspräsident Kurt Kucera in Österreich dem Gipfel seiner Popularität, der mit den beiden Olympiasiegen von Peter Seisenbacher (1984 in Los Angeles und 1988 in Seoul) erreicht wurde. Diese Vollendung blieb den "Golden Girls" verwehrt. Frauenjudo wurde erst 1992 olympisch. Winklbauer, die im Jahr nach dem WM-Triumph ihr Medizinstudium beendete, trauert aber auch der finanziellen Chance nicht nach. "Schauen Sie Annemarie Moser-Pröll an, was die alles gewonnen hat. Und was ist ihr geblieben? Ein Kaffeehaus. Damals war nicht einmal mit dem Skifahren sehr viel zu verdienen."

Winklbauer ist ausgekommen, es gab die Sporthilfe, und "es gab Zeiten, da habe ich Woche für Woche mit Bürgermeister Helmut Zilk 500 Meter Radweg in Wien eröffnet. Der war einfach ein Strich am Gehsteig. Da hat es dann 500 oder 1000 Schilling dafür gegeben. Und sogar 5000 für manche Autogrammstunde." Das war dann sehr viel Geld für die Amateursportlerin, die 98 Siege vorzeitig durch Ippon gefeiert hat, vorwiegend mittels einer Würgetechnik (Shime-waza), für die sie ziemlich gefürchtet war.

Mit Judo abgeschlossen

Die Leistungen auf der Matte haben Winklbauer beglückt, wenn sie auch unmittelbar nach den Kämpfen die Befriedigung nicht genießen konnte. "Da war ich einfach zu müde, zu zerschlagen, um große Emotionen zu zeigen." Freudentränen gab es keine, "die sind ja oft nur Theater". Eine emotionale Ausnahme war der fünfte und letzte EM-Titel 1983 in Genua, der nur wenige Monate nach einer schweren, in einem Kampf erlittenen Halswirbelsäulenverletzung gelang. "Ich war 14 Tage ganz gelähmt, aber kaum, dass ich wieder kriechen konnte, habe ich schon wieder trainiert. Einfach verrückt." Der Wahnsinn wurde honoriert. 1983 war Winklbauer Österreichs Sportlerin des Jahres, im Jahr darauf gewann sie bei der Heim-WM in Wien noch Bronze, 1987 beendete die zehnmalige Staatsmeisterin ihre Karriere, um sich ihrer beruflichen Karriere zu widmen, und wurde "fast nahtlos schwanger".

Und Judo? Dieses Kapitel ist abgeschlossen. Die Verbindung besteht nur noch durch Schwester Evelyn, mit der Gerda Winklbauer Anfang der 1970er-Jahre den Sport begann und die noch immer im Leistungszentrum Stockerau tätig ist. Zu Raser, Simon und Hrovat gibt es keinen Kontakt mehr. "Man muss Kapitel völlig abschließen, anders geht es nicht", sagt Winklbauer, die auch eine kurze politische Karriere als VP-Sportsachverständige im Wiener Gemeinderat mittels ihrer eigentlichen Spezialtechnik, des völligen Loslassens, flott wieder beendet hatte. Auf diesem Parkett war für die Geradlinige, die bis heute und trotz ziemlich kaputter Knie ständig in Bewegung bleiben muss, einfach nichts auszurichten gewesen. (lü, DER STANDARD, Printausgabe, 27.2.2012)