Problemzonen der Gesellschaft: Die ukrainische Fotografin Jewgenija Belorusez porträtierte im Rahmen der nun geschlossenen Ausstellung das Familienleben eines Transsexuellen. Foto: Zentrum für visuelle Kultur

Foto: Zentrum für visuelle Kultur/Yevgenia Belorusets

Nur drei Tage lang war Der ukrainische Körper im Zentrum für visuelle Kultur an der Kiewer Mohyla-Akademie zu sehen. Dann kam Sergej Kwit, der Rektor der Elitehochschule, und sperrte die Gruppenausstellung, die sich provokant mit dem Körper in der ukrainischen Gesellschaft beschäftigt, zu. Wenige Tage später, am vergangenen Donnerstag, folgte der nächste Schlag: Die Universität entschied, auch die Tätigkeit ihres Kulturzentrums einzustellen. Die Ukraine droht damit die einzige namhafte Institution zu verlieren, die sich vorrangig mit gesellschaftskritischen Formen der zeitgenössischen Kunst beschäftigt. Der Rektor habe Monitore und Videoprojektoren ausgesteckt, dann das Licht abgedreht, schildert der Kulturwissenschafter Wasyl Tscherepanin, der das Zentrum leitete. Auf die Frage, was das bedeuten solle, habe Kwit geantwortet: "Das ist keine Ausstellung, das ist Scheiße!" Wenige Stunden später notierte der Rektor auf Facebook, dass die Ausstellung pornografische Darstellungen beinhalte. Kwit ergänzte: "Propaganda dieser Art kann nicht als normal gelten.?" Tscherepanin widerspricht: " Offensichtlich sieht der Rektor Pornografie dort, wo es nackte Körper zu sehen gibt und diese von Künstlern für ihre kritischen Ziele verwendet werden.?"Insbesondere zwei Positionen hatten es dem Rektor angetan: In der Videoinstallation Parlament? aus dem Jahr 2005 zeigt Mykola Ridnyj Szenen aus dem ukrainischen Parlament und absurde tierförmige Kekse, die synchron zu Abstimmungen im Schoß einer Frau verschwinden. "Die Arbeit ist vor dem Hintergrund einer wachsenden politischen Enttäuschung mit der Orangen Revolution entstanden", erklärt Ridnyj. In Anatolij Belows Zeichnungen Mein Porno, mein Recht ist ein nackter Mann zu sehen, der sich vor einem Spiegel selbst fotografiert. Anatolij Below versteht die Grafiken als "Aufschrei" eines Menschen, der sein persönliches Recht auf Pornografie und Privatleben betonen möchte: Nach Bemühungen einer staatlichen Moralkommission hatte das ukrainische Parlament im Jahr 2009 auch den Besitz "normaler" Pornografie kriminalisiert.

Rechtsradikaler Jubel

Problemzonen der Gesellschaft thematisieren auch weitere Arbeiten: Mikita Kadan verweist auf die Kommerzialisierung des Körpers und dass die Ukraine international als Lieferant von Organen und selbst von Kindern auftritt. Jewgenija Belorusez porträtiert in ihren Fotos das Familienleben eines Transsexuellen. Rechtsextremisten haben zuletzt sexuelle Minderheiten als besonderes Feindbild auserkoren. 2010 überfielen Neonazis eine einschlägige Diskussionsveranstaltung im Zentrum für visuelle Kultur.

Zu erwartende Attacken dürften auch nun eine wichtige Rolle gespielt haben. Der deutsche Politologe Andreas Umland, der an der Mohyla-Akademie lehrt, spricht von einer "ausweglosen Situation" für den Rektor: "Hätte er die Ausstellung nicht geschlossen, wäre die Akademie von ihren zahlreichen radikalen Kritikern der Förderung von pornografischer Pseudokunst beschuldigt worden." Das Zentrum für visuelle Kultur habe mit dem radikalen Programm einfach zu viel öffentliche Aufmerksamkeit erhalten.

Der Rektor, der seine Aktion zunächst ideologisch begründet hatte, betont nun auf Standard-Nachfrage formale Aspekte: Die Organisatoren der Schau hätten gegen interne Regeln verstoßen, sie hätten mit Täfelchen vor dem spezifischen Inhalt warnen müssen. Außerdem könne das Zentrum für visuelle Kunst nicht unabhängig von der Akademie existieren. Zensur bestreitet er: "Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit organisierte nach der Schließung Presseführungen. Jeder, der die Ausstellung sehen wollte, konnte sie auch sehen."

Während Vertreter der Kunstszene nun zu Protesten aufrufen, jubeln Rechtsradikale. Verteidiger der Ausstellung, deren Handynummern bekannt sind, wurden massenhaft mit Kurznachrichten wie "Entartete - raus aus der Ukraine!" eingedeckt. Mit der Entscheidung der Mohyla-Akademie haben diese "Entarteten" einstweilen zumindest eine institutionelle Heimat verloren. (Herwig Höller aus Kiew, DER STANDARD/Printausgabe 28.2.2012)