Rudolf Fußi ist vor kurzem aus der SPÖ ausgetreten und per öffentlichen Abschiedsbrief mit seiner Ex-Partei hart ins Gericht gegangen. Elisabeth Hakel ist seit ihren Jugendtagen aktives SPÖ-Parteimitglied und sieht auch keinen Grund, etwas daran zu ändern. derStandard.at hat beide zu einem Streitgespräch gebeten.
derStandard.at: Frau Hakel, was sagen Sie zu Herrn Fußis Kritik an der SPÖ?
Hakel: Natürlich läuft nicht immer alles so, wie man sich das vorstellt. Aber ich kann nicht, nur weil mir ein Detail nicht passt, meine Ideale zur Gänze ändern. Ich war von Anfang an bei der SPÖ – nicht wegen der Personen, sondern wegen der Idee.
Fußi: Ja, ich war auch in einer anderen Partei. Wo ist das Problem?
Hakel: Ich bin von Anfang an zu diesen Werten gestanden. Du hüpfst herum, wie es dir gerade passt: von der ÖVP zu den Demokraten, im Jänner nach der Ruhendstellung deiner Mitgliedschaft 2012 wieder zur SPÖ, um dann medienwirksam im Februar 2012 auszutreten, und jetzt lässt du dich von den Grünen unterstützen.
Fußi: Lebst du nur in einer Parteienwelt? Ich bin als Schulsprecher mit 17 in die JVP eingetreten – soll man von Anfang an schon parteipolitisch punziert sein? Michael Häupl war Mitglied einer Burschenschaft, bitte. Im Vorjahr wollte ich meine SPÖ-Parteimitgliedschaft ruhend stellen, das hat aber laut Auskunft der Parteizentrale nicht funktioniert.
derStandard.at: Frau Hakel, Herr Fußi schreibt, mit Faymann und Rudas erfolgte die sukzessive Aufgabe sozialdemokratischer Werte. Das sind schwere Vorwürfe.
Hakel: Das kann ich so nicht unterschreiben. In einer Koalition muss man natürlich Kompromisse machen. Stichwort Fremdenrechtspaket: Es hat mir im Herzen wehgetan, dass ich am Ende des Tages auch aufgestanden bin. Aber es geht darum weiterzukämpfen. Politik ist das Bohren von dicken Brettern.
derStandard.at: Zählt die Vermögenssteuer zu diesen dicken Brettern?
Hakel: Ich hätte auch die Vermögenssteuer lieber heute als morgen. Aber wir haben eben keine Mehrheit.
Fußi: Von den Reichen leistet niemand einen Beitrag. Warum bringt die ÖVP 90 Prozent ihrer Forderungen durch? Warum trifft es wieder die Pensionisten? Warum stimmt man zu, dass die Bausparprämie halbiert wird?
Hakel: Weil Politik ein Akt der Kompromisse ist. Im Übrigen stimmt es nicht, dass die ÖVP 90 Prozent der Forderung durchgebracht hat. Was ist zum Beispiel mit der Bankensteuer?
Fußi: Für mich ist keine rote Handschrift erkennbar. Faymann sagt, sein größtes Ziel als Politiker ist, wiedergewählt zu werden. Was ist das für eine Vision?
Hakel: Wann wird man wiedergewählt? Wenn man eine gute Politik macht.
Fußi: Dann hat Faymann keine Chance auf die Wiederwahl.
Hakel: Dieser Meinung bin ich nicht, und das werden wir 2013 auch sehen. Aber: Was hast du eigentlich beigetragen?
Fußi: Falls es dir entgangen ist: Ich habe zum Beispiel das Eurofighter-Volksbegehren initiiert. Gusenbauer hat meine Forderung aufgegriffen: "Unter einem Kanzler Gusenbauer wird es keine Eurofighter geben!" Das hat wesentlich zum Wahlsieg beigetragen.
derStandard.at: Wo liegt der Unterschied zwischen Ihren Positionen zur Vermögenssteuer?
Fußi: Ich meine es ernst.
Hakel: Willst du mir jetzt vorwerfen, dass ich es nicht ernst nehme?
derStandard.at: Frau Hakel, werden Sie das von Fußi initiierte Volksbegehren unterzeichnen?
Hakel: Ich werde es selbstverständlich mit all meinen Möglichkeiten unterstützen und habe es auch schon beworben. Ich freue mich ja darüber, dass aus dem Volk Unterstützung kommt, damit über das Parlament Druck auf den Koalitionspartner ausgeübt wird.
Fußi: Aber die ÖVP wird sich nicht bewegen.
Hakel: Aber dann gibst du ja dein eigenes Volksbegehren auf. Wir brauchen einen Partner.
Fußi: Es geht nur mit einer Mehrheit jenseits der ÖVP, weil die immer die Großindustriellen und die Banken schützen werden, die deren Wahlkämpfe finanzieren.
Hakel: Was ich schade finde: Bei dem Volksbegehren geht es immer nur um den Herrn Fußi, aber kaum um die Inhalte.
Fußi: Das stimmt nicht. Schau auf hermitdemzaster.at, da sind total viele Menschen dabei.
derStandard.at: Hört die aktuelle SPÖ-Parteiführung zu wenig auf die Wünsche ihrer Basis?
Hakel: Vielleicht sieht das Herr Fußi so, aber ich denke, dass sehr viel dafür getan wird, alle Ideen einzubinden.
Fußi: Es geht nicht um mich. Mein Austritt ist so wurscht, wie wenn in China ein Rad umfällt. Das einzig Entscheidende ist die Prinzipienlosigkeit der Sozialdemokratie.
Hakel: Ich bin ständig unterwegs und mit den Funktionären und der Bevölkerung im Gespräch.
Fußi: Wenn das alles so super ist, warum hat dann Faymann die schlechtesten Werte aller Kanzler in der Zweiten Republik?
Hakel: Das hat damit nichts zu tun. Ich bin nicht wegen einer Person in einer Partei, sondern wegen der Werte und der Inhalte.
Fußi: Aber das Problem ist die intellektuelle Perspektivenlosigkeit, die von den handelnden Personen ausgeht. Sag mir bitte: Was ist die Vision von Faymann, wie Österreich im Jahr 2030 aussehen soll? Also nicht die Zeitung, sondern das Land Österreich. Diese Vision gibt's nicht. Es geht immer nur um die Umfragen und die Schlagzeilen.
derStandard.at: Sie werfen dem Kanzler vor, er habe keine Vision. Was wäre Ihre?
Fußi: Übertrieben gesagt: Dass Österreich ein Land werden soll, in dem es niemanden aufregen würde, wenn ein schwuler burgenländischer Bergbauer nigerianischer Herkunft Bundeskanzler werden würde. Ich würde mir eine Gesellschaft wünschen, wo jeder die gleichen Chancen hat, egal wo er herkommt. Aktuell haben wir einen Geldadel, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss. Dafür braucht es die SPÖ, weil sie die einzige politische Kraft wäre, um dem Kapital die Stirn zu bieten. Das macht sie aber nicht.
Hakel: Meine Vision ist deiner gar nicht so unähnlich. Ich will auch eine gerechte Gesellschaft. Meine Kinder sollen ein tolles Schulsystem haben, in dem Studieren nach wie vor gratis sein soll. Ich möchte, dass die Menschen in den ländlichen Regionen eine Zukunftsperspektive haben. Deswegen bin ich Abgeordnete, weil ich dafür kämpfe, dass zum Beispiel der öffentliche Nahverkehr aufrechterhalten bleibt.
derStandard.at: Frau Hakel, Sie posten auf Facebook, dass Fußi einen Job bei der SPÖ wollte, und weil er den nicht bekommen habe, sei er aus der Partei ausgetreten.
Fußi: Blödsinn. Ist das jetzt der neue SPÖ-Spin? Ja, ja, ich bin ja sooo ein Wendehals. Wenn ich wirklich einer wäre, wäre ich heute schon viel weiter.
Hakel: Aber gerade weil du dich immer nach dem Wind drehst, bist du ja nie was geworden in der Partei.
Fußi: Mach dich bitte nicht lächerlich. Ich hatte nie eine Funktion, war immer nur Mitglied. Du wirfst mir Populismus vor, wo du einen Parteivorsitzenden hast, der einen Brief an den "Kronen Zeitung"-Herausgeber schreibt?
Hakel: Habe ich öffentlich gesagt, dass ich das gut gefunden habe?
Fußi: Hast du öffentlich gesagt, dass du das schlecht gefunden hast?
Hakel: Ich übe innerhalb der Gremien Kritik. So, wie es sein soll.
Fußi: Und was ist die Auswirkung? Nix. Der Unterschied zwischen uns beiden ist, dass du nicht das sagen kannst, was du dir denkst, weil du immer in einer politischen Rolle gefangen bist.
Hakel: Du hingegen gehst immer zuerst an die Medien. Ich brauche das nicht, dass ich in der Zeitung stehe, nur damit der Herr Fußi sagt, super, die Hakel hat jetzt auch einmal was gesagt. Du bist kein Kämpfer. Ein Kämpfer würde so lange in der Partei bleiben, bis diese so wird, wie man sich's vorstellt.
Fußi: Ich habe jetzt jahrelang gekämpft. Das kannst du mir wohl glauben.
Hakel: Ja, ich kämpfe auch schon lange. Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr Parteimitglied, und natürlich passt mir oft mal was nicht. Aber weißt du, was? Ich kämpfe weiter, auch wenn es nur ganz kleine Dinge sind. Ich hau' nicht den Hut drauf und sage "Hinter mir die Sintflut". Warum gibst du so schnell auf?
Fußi: Was willst du? Du kannst mit dieser Partei nichts bewegen. Und von wegen, ich hätte nie gekämpft: Ich habe mich mit 200.000 Euro verschuldet, um das Eurofighter-Volksbegehren zu machen.
Hakel: Das hat dir niemand angeschafft.
Fußi: Nein. Aber dann sag nicht "Kämpf, kämpf". Ich kämpfe jetzt außerhalb der Sozialdemokratie. Und ehrlich gesagt ist es mir mittlerweile auch wurscht, ob sie sich verändert, weil viele wahre Sozialisten nicht mehr in der SPÖ sind.
Hakel: Wo sind denn bitte die wahren Sozialisten hingekommen?
Fußi: Das sind heimatlose Linke.
Hakel: Alle 250.000 Parteimitglieder sind schlechte Sozialdemokraten? Du redest immer nur von zehn Personen auf Bundesebene. Alle kleinen Bürgermeister und Gemeinderäte sind schlechte Sozialdemokraten? Pfah!
Fußi: Das sind alles grundanständige Menschen, aber die werden in Geiselhaft genommen. Die glauben vielleicht noch an die Idee, aber die haben nichts zu sagen!
derStandard.at: Kurzer Aufruf zur Versachlichung der Debatte, bevor es zu Handgreiflichkeiten kommt.
Hakel: Nie würde ich dem Herrn Fußi körperlich etwas antun.
Fußi: Ich wäre zwar grundsätzlich für Gleichberechtigung, aber Frauen zu schlagen wäre gegen meine Erziehung. (lacht)
derStandard.at: Was würde Sie wieder zurück in den Schoß der SPÖ bewegen, Herr Fußi?
Fußi: Das ist ja jetzt nicht die Frage, dass ich sage: SPÖ, tu das, dann komme ich wieder. So wichtig bin ich nicht.
Hakel: Haha!
Fußi: Für mich halt nicht. Für die anderen vielleicht schon.
Hakel: Weißt du, was: Für uns ist jedes Parteimitglied wichtig, ob es jetzt Fußi heißt oder anders. Warum kämpfen wir nicht gemeinsam weiter für eine bessere Sozialdemokratie?
Fußi: Du kämpfst ja nicht! Aber der Moderator hat eine Frage gestellt.
Hakel: Entschuldigung.
Fußi: Macht nichts.
Hakel: Ich habe mich nicht bei dir entschuldigt, sondern beim Moderator.
Fußi: Haha. Der war gut. Zur Antwort: Würde die SPÖ wieder dorthin zurückkehren, wo sie hingehört, nämlich eine progressive, linke, antikapitalistische Politik zu machen, die den Anspruch hat, das System des Neoliberalismus zu überwinden, dann würde ich nicht nur am 1. Mai wieder begeistert marschieren, sondern mit der Elisabeth Hakel in Liezen in Lederhose eine Woche lang Material verteilen gehen. Wenn ich daran glauben würde, dass sich die Partei in absehbarer Zeit ändern könnte, wäre ich niemals ausgetreten. Ich halte das aber für ausgeschlossen.
derStandard.at: Abschlussfrage an Frau Hakel: Finden Sie es nach diesem Gespräch überhaupt schade, dass Herr Fußi nicht mehr in Ihrer Partei ist?
Hakel: Ich finde es immer schade, wenn ein Parteimitglied austritt. Ob das der Herr Fußi oder der Herr Gruber aus Liezen ist, ist egal. Ich werde auch weiterhin dafür kämpfen. Ich täte mich freuen, wenn du weiter mit uns kämpfst. Ich habe nie gesagt, der Fußi soll den Mund halten. Solange ich das Gefühl habe, ich kann politisch etwas erreichen, auch wenn es nur kleine Schritte sind, so lange bin ich in der Partei tätig. Wenn ich einmal nicht mehr das Gefühl haben sollte, dann werde ich mein Mandat zurücklegen.
Fußi: So etwas passiert so gut wie nie in Österreich. Aber bevor du dein Mandat zurücklegst, schicke ich dir noch ein E-Mail mit einer Liste von Leuten, denen ich diesen Schritt eher ans Herz legen würde. (derStandard.at, 28.2.2012)