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"Das ist nur in dieser einmaligen Allianz von Boulevard und Bundeskanzleramt möglich - und beschämedn": Verleger Russ.

Foto: APA/Vorarlberger Medienhaus

STANDARD: Kommenden Dienstag will die Bundesregierung definitiv sagen, um wieviel sie im Zuge des Sparpakets die Presseförderung kürzt.Bleibt es bei den bisher angekündigten 15 Prozent, meinen Sie? Boulevardblättern wie "Österreich", "Krone" ist das zuwenig, wie sie zuletzt kampagnisierten.

Russ: Diese Kampagnen waren wirklich ein unmissverständlicher Beleg, wie Politik undBoulevard engstens kooperieren. Da wird die Allianz glasklar offenkundig: Einerseits gibt das Bundeskanzleramt Inserate in vielfacher Millionenhöhe an den Boulevard, andererseits verteidigt der Boulevard die Absicht des Kanzleramts, die Presseförderung zu reduzieren. Ich geniere mich für die politische und mediale Kultur in diesem Land. Das wäre anderswo undenkbar.

STANDARD: Sie sind neben Vorarlberg auch auf dem Balkan vertreten, da müssten Sie solche Verflechtungen und Zusammenspiele doch kennen?

Russ: Ich bin am Balkan relativ gut trainiert. Aber so etwas passiert mir in Ungarn und Rumänien nicht. Das würde dort ethisch und moralisch nicht akzeptiert werden. In Deutschland, wo ich auch tätig bin, muss der Bundespräsident abtreten, weil er einenKredit von einem Freund genommen hat. Bei uns gibt die Politik nach Gutsherrenart 140 Millionen Euro an Steuergeldern aus, auf deutschen Größenordungen umgelegt wären das 1,4 MilliardenEuro, und der Boulevard rapportiert ganz offensichtlich brav die politisch gewünschten Themen. Und es passiert nichts. Vorerst jedenfalls.

STANDARD: Sie rechnen mit Konsequenzen?

Russ: Die katholische Kirche versuchte lange, pädophile Priester einfach zu vertuschen oder zu ignorieren. Diese Vorgangsweise hat sich massiv gerächt. Die in der Politik diese Deals mit dem Boulevard machen, werden persönlich zur Verantwortung gezogen werden. Man darf die Sensibilität der Bürgerinnen und Bürger nicht unterschätzen.

STANDARD: Die Kampagnen gegen die Presseförderung wirken wie ein Racheakt auf die neue Verpflichtung offenzulegen, welche öffentliche Stelle wo für wieviel inseriert.

Russ: Es gibt wohl keinen Zweifel, dass sich Bundeskanzleramt und Boulevard dadurch auf den Schlips getreten fühlen. Aber die Steuerzahler haben ein Anrecht zu sehen, wie mit diesen 140 Millionen umgegangen wird.

STANDARD: In der Branche rechnen einige damit, das die Offenlegung dazu führt, dass öffentliche Stellung weniger inserieren.

Russ: Wenn man sich die Inserate in denBoulevardblättern ansieht, hat sich bisher nicht viel verändert. Aber erst in der zweiten Jahreshälfte müssen sie offenlegen. Wir werden sehen, wie die Gelder verteilt werden und nach welchen Kriterien die Politik sie vergibt.

STANDARD: Vielleicht schaltet die Politik ja auch noch in der ersten Jahreshälfte auf Teufel komm raus im Boulevard, bevor sie offenlegen muss.

Russ: Bei Österreich etwa hat sich bisher wenig daran geändert, dass man dort neben Inseraten von konzerneigenen Firmen fast ausschließlich politisch motivierte Inserate findet.

STANDARD: Die Politik argumentiert, sie müsse alle erreichen, also müsse sie Massenblätter buchen.

Russ: Wenn es alleine nach Auflage geht, müsste sie dann in Hofer-Prospekten schalten, die an alle Haushalte gehen. Oder im Prospekt-Kuvert der Post. Natürlich geht es bei der Platzierung von Werbung noch um ganz andere Medienqualitäten. Die Werbewirtschaft agiert nach ökonomischen Kriterien - und bucht völlig anders als die Politik.

STANDARD: Sie stoßen sich auch an der anstehenden Erhöhung der ORF-Gebühren.

Russ: Ich halte sehr viel von Mitteln für Journalismus, für Medienvielfalt, für österreichische Identität. Ich halte es für durchaus akzeptabel, die Gebühren für den ORF auszuweiten. Nicht akzeptabel ist aber diese Dreierkombination:Einerseits mehr Mittel für den ORF, zugleich Regierungsinserate auf den Boulevard auszurichten - und andererseits bei jenen Medien 15 Prozent zu kürzen, die sich dem qualitätvollen, unabhängigen Journalismus verpflichtet fühlen und in diesem Land für Vielfalt sorgen. Diese Vorgangsweise ist für die Demokratie beschämend. Das ist nur in dieser einmaligen Allianz von Boulevard und Bundeskanzleramt möglich.

STANDARD: Rechnen Sie mit Konsequenzen für die Medienvielfalt, wenn die Presseförderung um 15 Prozent gekürzt wird?

Russ: 15 Prozent sind ein massiver Einschnitt. Zugleich sind wir mit rückläufigen Werbeumsätzen konfrontiert. Ich könnte mir gut vorstellen, dass diese 15 Prozent die beabsichtigte Wirkung erzielen: Die Schwächung der unabhängigen, kritischen Öffentlichkeit. Die Lenkungsabsicht dahinter ist unverkennbar:Erleichterungen für den ORF mit mehr Gebühren, Konzentration der Regierungsinserate auf eine ganz kleine Zahl von gefügigen Medien und andererseits Kürzung der gesetzlichen Presseförderung. Das ist offensichtlich Absicht. Damit will man lenken - in Richtung noch weniger Meinungsvielfalt, noch höherer Konzentration, noch mehr Boulevard. Das könnte Erfolg haben.

STANDARD: Eine Reihe kleinerer Zeitungen dürfte wesentlich von Presseförderung abhängen - etwa "Salzburger Volkszeitung", "Kärntner Tageszeitung", "Oberösterreichisches Volksblatt", wohl auch Ihre "Neue Vorarlberger Tageszeitung". Ist deren Existenz mit solchen Kürzungen gefährdet?

Russ: Absolut. Das ist eine bedrohliche Situation. Ich nehme an, dass diese Doppelwirkung aus Kürzung des Bundeskanzleramts und sich abzeichnender Schwäche der Werbekonjunktur zu Konsequenzen führen könnte.

STANDARD: Das gilt auch für Ihr Haus?

Russ: Ich spreche jetzt auch für das eigene Haus. (Harald Fidler, DER STANDARD; Printausgabe, 3./4.3.2012/Langfassung)