STANDARD: Je reicher, desto selbstsüchtiger seien die Menschen, behauptet eine aktuelle US-Studie. Wie passt das zu Ihrem Credo, dass Eigentum zur Verantwortung erziehe, Herr Wallner?
Wallner: Ist damit ein gewisser Egoismus gemeint, um Überzeugungen auch umzusetzen, dann lasse ich das Urteil gelten. Aber ich bin überzeugt, dass Reiche nicht unverantwortlich sind - das sieht man auch daran, dass sie ihr Geld konservativ anlegen. Sie sorgen sich nur mehr um die eigene Zukunft und sind bereit, für ihren Wohlstand Leistung zu bringen.
Thoman: Ich warne davor, Vermögen mit Leistung gleichzusetzen. Man sieht schon an den Arbeitseinkommen, dass Leistung nicht immer gerecht belohnt wird. Die Vorstände der börsennotierten Top-Unternehmen Österreichs verdienen im Schnitt das 41-Fache der Arbeitnehmer - vor zehn Jahren war es nur das 20-Fache. Die Schere geht weit auseinander.
Wallner: Werfen Sie nicht mit falschen Zahlen herum! Zum Vergleich wurde offenbar das Gehalt eines Praktikanten verwendet ...
Thoman: ... nein, das Medianeinkommen von 27.000 Euro im Jahr!
Wallner: Tatsache ist, dass die Vorstände in Österreich etwa das 5, 5-Fache eines durchschnittlichen Arbeitnehmers verdienen - netto!
Thoman: Das mag für alle Unternehmen zusammen gelten, aber nicht für die großen mit den Millionengehältern, die gleichzeitig Investitionen kürzen, um immer mehr Gewinne auszuschütten ...
Wallner: ... weil sie eine gute Eigenkapitalbasis aufbauen wollen. Das sollte Unternehmen erlaubt sein!
Thoman: Kein Wunder, dass sich Vermögen kumuliert und am Kapitalmarkt als Spielgeld verwendet wird. Dieses Geld sollte in die Arbeitseinkommen umverteilt werden - und damit in Nachfrage und Realwirtschaft.
STANDARD: Indem Vermögen besteuert werden?
Wallner: Fragt sich, welches. Laut Weltbank ist Österreichs größtes Vermögen das Humankapital. Wollen Sie Wissen besteuern?
Thoman: Hier bitte einen Lacher vermerken!
Wallner: Oder die künftigen Pensionsansprüche? Selbst bei unterdurchschnittlichen Verdienern betragen diese bis zu 200.000 Euro. Ist das kein Vermögen?
STANDARD: Das ist Einkommen ...
Thoman: ... das ohnehin besteuert wird, während Vermögen so billig davonkommt wie in kaum einem anderen Land. Es geht dabei um Immobilien und Geld. Beides ist extrem konzentriert: Das oberste Zehntel besitzt über die Hälfte.
Wallner: Natürlich ist Vermögen ungleicher verteilt als Einkommen, zumal es jahrelang eine niedrige Inflation und keine Kriege gab. Aber was sagt das aus? Mir scheint, es geht weniger darum, die Armut zu kritisieren als den Reichtum. Ich sehe keinen Lenkungseffekt. Was wollen Sie bestrafen?
Thoman: Derzeit bestrafen wir Leute, die sich ihr Geld erarbeiten, mit einer sehr hohen Abgabenquote. Ein Erbe hingegen hat für sein Einkommen keinen Finger gerührt und muss mangels Erbschaftssteuer trotzdem keinen Beitrag zum Sozialsystem zahlen.
Wallner: Abgesehen vom ökonomischen Anreiz, mehr Vermögen zu schaffen, geht es da um die Werte Eigentum und Familie. Nehmen wir an, eine Frau entschließt sich, zu Hause zu bleiben: Da kann man doch nicht sagen, dass sie nichts zum Einkommen des Mannes beigetragen habe. Wenn er ihr dann etwas schenken will: Ist es gerecht, dass der Staat das besteuert?
Thoman: Selbst in diesem Extrembeispiel, ja. Ich komme ja gar nicht mit der klassisch liberalen Position, die ich mir eher von Ihnen erwartet hätte, dass absolute Chancengleichheit eine 100-prozentige Erbschaftssteuer bedeuten würde. Aber leistungsloses Einkommen kann einen kleinen Beitrag verkraften, um Chancen umzuverteilen. Die meisten Erben sind schon vorher reich, das Top-Prozent erbt 50 Prozent des gesamten Volumens. Auch wenn 90 Prozent der Erbschaften durch Freibeträge geschont werden, ist eine halbe Milliarde Erlös möglich.
Wallner: Das ist so was von utopisch. Eine gerechte Erbschaftssteuer, die nicht die Kernfamilie betrifft, bringt nicht einmal ein Aufkommen, das die Verwaltungskosten rechtfertigt.
STANDARD: Nun empfiehlt aber auch die OECD, Steuern von Arbeit auf Vermögen umzuschichten.
Wallner: Ja, die Abgaben auf Arbeit sind zu hoch. Aber dieses Geld kommt schon jetzt hauptsächlich von den Reichen. Die obersten zehn Prozent verfügen über 34 Prozent des Einkommens, zahlen aber 56 Prozent des Aufkommens an Lohn- und Einkommenssteuer.
Thoman: Da blenden Sie alle anderen Abgaben aus. Entscheidend ist, welchen Anteil eines Einkommens der Einzelne leistet: Inklusive indirekte Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen alle netto in etwa 37 Prozent des Einkommens an Steuern.
Wallner: Nur, weil Sie die Pensionisten ausklammern. Sonst würden die unteren Einkommen bei 27 Prozent liegen.
Thoman: Bezieht man Vermögenseinkünfte ein, ergibt sich ein ganz anderes Bild: Dass jene, die sehr viel haben, weniger für unseren Staat leisten, als Menschen mit den geringen Einkommen.
Wallner: Sie unterschlagen die Kehrseite. Der Sozialstaat verteilt dieses Geld extrem zugunsten der Schwachen um. Das unterste Drittel bekommt von 100 Euro, die es am Markt verdient, durch Transferleistungen 150 Euro heraus, während das oberste Drittel ein Viertel verliert. Das verfügbare Einkommen ist deshalb so gleichmäßig verteilt wie kaum anderswo. Dass die Schere zwischen Arm und Reich aufgeht, ist ein Mythos. Unter den vergleichbaren Staaten liegen wir an zweiter Stelle.
Thoman: An achter im EU-Vergleich - und laut diesen Daten hat Ungleichverteilung seit 2001 sehr wohl zugenommen.
Wallner: Nicht, wenn Sie längerfristig vergleichen.
Thoman: Ich will aber keinen Vergleich mit den Dreißigerjahren. Es geht um aktuelle Entwicklungen.
Wallner: Wir haben einen riesigen Sozialstaat. Also was wollen Sie mehr an Chancengleichheit?
Thoman: Einen Beitrag der Vermögen, weil dieses einen besseren Zugang zur Macht bedeutet.
STANDARD: Zahlt der "kleine Mann" die Zeche für die Krise?
Thoman: Das ist sicher so. In erster Linie zahlen Arbeitslose, und dabei vor allem die Jungen - wie die gestiegene Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa zeigt.
Wallner: Kommen Sie mir nicht mit dem Unfug vom "kleinen Mann". Die Sozialleistungen und Löhne sind doch gestiegen, im Gegensatz zu Selbstständigeneinkommen, Vermögenseinkünften und Industrieproduktion - das sind die wahren Verlierer.
STANDARD: Der von linker Seite prophezeite soziale Kahlschlag ist tatsächlich ausgeblieben.
Thoman: Das Problem ist auch nicht das österreichische Sparpaket. Aber wenn alle Staaten ihre Ausgaben dermaßen kürzen, besteht die Gefahr, dass die Konjunktur einbricht und die Arbeitslosigkeit noch stärker zunimmt. Im Extremfall droht ein Negativkreislauf wie in den Dreißigerjahren.
Wallner: Ich halte es geradezu für ein Glück, dass uns die Finanzmärkte und die EU endlich Druck machen, ineffiziente Ausgaben zu kürzen. Wir haben zum Beispiel eines der teuersten Gesundheitssysteme - und trotzdem die höchsten Invaliditätsraten.
Thoman: Natürlich gibt es Möglichkeiten für Einsparungen, aber man darf sich keiner Illusion hingeben. Am Ende laufen Sparpakete auch auf Leistungskürzungen hinaus. Gerade das Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt - und billiger als private.
Wallner: Sie sind doch ein Revoluzzer, der den Etablierten Dampf machen will?! Aber jetzt reden Sie wie ein Regierungspolitiker. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.3.2012)