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Mitt Romney on tour: Kann der Glaube auch in der Wählergunst Berge versetzen?

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Zur Person

Leonard Novy, Politikwissenschafter, Historiker und Publizist, ist Director of Development and Research am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien.

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Auf den ersten Blick wirkt Mitt Romney wie der perfekte Präsidentschaftskandidat: Regierungserfahrung, Erfolge in der freien Wirtschaft und, ganz wichtig, ein "all-american", ein "ganz amerikanisches", Äußeres, inklusive einer Frisur, die einen mittelschweren Hurrikan unbeschadet überstehen würde. Ein Siegertyp eben, einer, der die Verhältnisse zum Besseren wenden kann. Allerdings mit einem Makel: Mitt Romney ist Mormone. Und ob God's Own Country so weit ist, einen Mormonen ins Weiße Haus zu lassen, ist ungewiss.

Der Aufstieg des ehemaligen Gouverneurs von Massachusetts ist beispielhaft für die wachsende Bedeutung der im US-Bundesstaat Utah beheimateten "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage". Während sie in Österreich mit wenigen tausend Mitgliedern unter ferner liefen rangiert, verzeichnet sie in den USA ein Wachstum wie keine zweite Religionsgemeinschaft und ist dabei selbst für amerikanische Maßstäbe von kaum zu überbietender Skurrilität. Mit 14 Jahren will der Religionsstifter Joseph Smith von Gott und Christus zum Propheten berufen worden sein, bevor er 1830 die Mormonen gründet. Der Engel Moroni führte ihn zum verborgenen Buch Mormon - dem Evangelium für die Amerikaner, dessen Neuaufrichtung sich Smith fortanwidmet.

Eigentümliche Symbiose

Der Mormonisus ist so etwas wie Amerikas ureigene Massenreligion: Den Garten Eden verorten seine Anhänger in Jackson County, Missouri. Auch Jesus Christus scheint es die Region angetan zu haben. Jedenfalls soll er bei einem Amerikabesuch nach seiner Auferstehung angekündigt haben, bei seiner Wiederkunft auf die Erde hierhin zurückzukehren. Bis es so weit ist, steuert ein Rat von 12 Aposteln von Salt Lake City aus einen aggressiven, auch ökonomisch sehr erfolgreichen Wachstumskurs, im Zuge dessen zentrale theologische Bastionen der Vergangenheit, wie die Erlaubnis zur Polygamie, geschleift wurden. 14 Millionen Gläubige gibt es weltweit bereits, sechs davon in den USA - das sind jede Menge freiwillige Wahlkampfhelfer für Mitt Romney, dem laut Umfrgen 86 Prozent seiner Glaubensgenossen positiv gegenüberstehen.

Mormonen wählen denn auch in aller Regel die Republikaner. Ob sich die restlichen Anhänger der Republikaner, auf deren Mobilisierung es im Duell mit dem wiedererstarkten Amtsinhaber Barack Obama ankommen wird, dazu bewegen lassen, für einen Mormonen zur Wahl zu gehen, ist indes nicht ausgemacht. Je klarer sich jedenfalls abzeichnet, dass der Herausforderer Barack Obamas am 6. November Romney heißen wird, desto mehr rücken die gesellschaftliche Sonderrolle der Latter-Day-Saints und, grundsätzlicher, das Verhältnis von Politik und Religion in den Fokus der Aufmerksamkeit eines Landes, in dem zwischen beiden Sphären von jeher eine für europäische Verhältnisse eigentümliche Symbiose besteht.

Zugehörigkeit zu Mormonen nicht förderlich

Obwohl die Mormonen kaum weiter vom Christentum abweichen als viele protestantische Strömungen, ist nur rund die Hälfte der Amerikaner bereit, sie als christliche Religionsgemeinschaft zu sehen. Vor allem Anhänger evangelikaler Kirchen hegen - trotz Übereinstimmung in vielen gesellschaftspolitischen Fragen wie Abtreibung - Vorbehalte. Karriereförderlich war die Zugehörigkeit zu den Mormonen nie. Während der Fundamentalismus der christlichen Rechten in Washington so etabliert ist, dass er Politik, Personalentscheidungen und Rhetorik der Republikaner prägt, vollzog sich ihr Aufstieg leise. Doch prägen die als überaus patriotisch geltenden Latter-DaySaints seit Jahrzehnten an verantwortlichen Positionen in Kongress, Militär oder auch FBI die Geschicke des Landes mit.

Eigener Planet für Mormonen

Und nun der "Mormonen-Moment" (Newsweek)? Der Aufstieg der Latter-Day-Saints zur ganz normalen protestantischen Glaubensgemeinschaft? Nicht ganz. Unwidersprochen bleibt das Diktum des Mormonenapostels Orson Pratt, demzufolge die US-Verfassung, die Regierung und alle Gesetze letztlich "vom Allmächtigen ausgehen und durch Inspiration von ihm zum Menschen gekommen" sind. Männliche Mormonen glauben, dass sie eines Tages dank ihres Glaubens selbst zur Gottheit werden, mit einem eigenen Planeten, losgelöst von allem Irdischen. Schon fragen Kritiker, wie der Yale-Professor Harold Bloom, wie solche Auffassungen Romneys Denken und Handeln als gewählter Präsident beeinflussen würden und wie er die 98 Prozent Nichtmormonen in den USA repräsentieren könne.

Es nimmt kaum Wunder, dass Romney versucht, seinen Glauben aus dem Wahlkampf rauszuhalten. Doch ohne Bekenntnis zum Glauben, ohne religiöse Symbole und Metaphorik wird es wohl nicht gehen in einem Rennen, in dem auch Barack Obama keine Gelegenheit auslässt zu betonen, gläubiger Christ zu sein. Viel wird davon abhängen, ob es Romney gelingt, eine eigene Sprache zu finden, die die religiös-theologischen Differenzen transzendiert. Eine Offensivverteidigung wie die Obamas, der sich 2008 mitten im Wahlkampf durch skandalträchtige Äußerungen seines ehemaligen Pastors, des Reverend Jeremiah Wright Jr., in die Enge gedrängt sah und die Situation für eine Grundsatzrede über Religion und Rasse nutzte, ist von ihm wohl nicht zu erwarten. Beobachter attestieren Romney dennoch reelle Chancen. Der "Glaube der Heiligen der Letzten Tage" ist zumindest kein Ausschlusskriterium mehr. Dann muss Romney allerdings noch eine zweite Hürde überwinden: seinen liberalen Heimatstaat (am 6. März). Noch nie hat Massachusetts einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten produziert. Allerdings hält die Geschichte noch eine andere Lektion bereit: denn der letzte Präsident aus Massachusetts war John Kennedy - der erste Katholik im Weißen Haus. (Leonard Novy/DER STANDARD Printausgabe, 3.3./4.3.2012)