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Das Problem: Oft gibt es noch Zulassungen für Kinder und Jugendliche bei alten Präparaten, neuere und nebenwirkungsärmere Medikamente wurden oft nicht mehr an Kindern und Jugendlichen im Rahmen von klinischen Studien erprobt.

Foto: APA/Federico Gambarini

Saalfelden – Psychomedikamente sollten bei Kindern und Jugendlichen nur sehr restriktiv eingesetzt werden. "Die Therapie mit Neuro-Psychopharmaka ist bei speziellen Symptomen und psychiatrischer Erkrankungen Teil eines mehrere Ebenen umfassenden Behandlungsplanes", sagte der Grazer Jugendpsychiater Hans Andritsch bei der 45. Fortbildungswoche der Österreichischen Apothekerkammer in Saalfelden in Salzburg.

Erstaunlich, wie hoch die Psychiater die Häufigkeit von psychischen Störungen im Kindesalter ansetzen: Demnach leiden fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen am ADHS (Aufmerksamkeits Defizit-/ Hyperaktivitäts Syndrom), 1,5 bis 2,5 Prozent an Depressionen, vier bis zehn Prozent an Angststörungen. Um die 15 Prozent der Jugendlichen entwickeln zumindest zeitweise Zeichen eines Alkoholmissbrauchs. Andritsch: "40 Prozent der Berufsschüler haben Cannabis probiert." Drogenexperten weisen aber regelmäßig darauf hin, dass vor allem Drogenkonsum bei Jugendlichen häufig nur einmal passiert und eine "Ausprobier"-Erfahrung ist.

Ab wann ist es eine Krankheit?

Heikel ist allerdings folgende Zahl, die der Experte vom Landesklinikum Sigmund Freud in Graz nannte: "Störungen des Sozialverhaltens" nehme man bei Kindern und Jugendlichen mit einer Häufigkeit von 1,8 bis 10,1 Prozent an. Dies schnell als (behandlungsbedürftige) psychische Störung zu klassifizieren erscheint hinterfragenswert. Aber, so Andritsch: "Es geht immer um die Frage: Was ist Zeichen der Zeit und was ist Krankheit." Im Licht der gerade in den vergangenen Wochen und Monaten heftig in Diskussion gestandenen Heimpädagogik und Kinder- und Jugendpsychiatrie vergangener Jahrzehnte in Österreich dürfte hier wohl Zurückhaltung beim Einschätzen des "Krankheitswertes" eventuell auffälligen Verhaltens angebracht sein.

Gut belegt, wenn auch von Land zu Land stark unterschiedlich angewendet, ist der Effekt von Stimulanzien bei exakt diagnostizierten, schweren ADHS-Symptomen, bei denen andere Strategien nicht ausreichend wirksam und schwere Folgen zu befürchten sind. In Folge einer paradoxen Wirkung von Amphetamin-ähnlichen Substanzen (z.B. Methylphenidat – "Ritalin" etc.) kommt es bei 70 Prozent zu einer Minderung der Symptome. Allerdings ist längst nicht ausdiskutiert, wie es bei jahrzehntelangem Gebrauch mit den Folgewirkungen aussieht. Laut dem Grazer Psychiater kann die Dauergabe von solchen Präparaten durchaus das Herz-Kreislauf-System unter Stress setzen.

Neue Medikamente für Kinder: Klinische Studien fehlen

Depressionen im Kindes- und Jugendalter werden vor allem per Psychotherapie behandelt. Antidepressiva sollten nur unter strengsten Anwendungskriterien verwendet werden. Das Problem: Oft gibt es noch Zulassungen für Kinder und Jugendliche bei alten Substanzklassen und Präparaten, da die Arzneimittel-Registrierungsbehörden vor Jahrzehnten hier offenbar liberaler waren bzw. man ehemals noch mehr Nebenwirkungen bei Patienten in Kauf nahm. Dies gilt sowohl für alte Antidepressiva als auch für alte Neuroleptika. Neuere und nebenwirkungsärmere Medikamente wurden oft nicht mehr an Kindern und Jugendlichen im Rahmen von klinischen Studien erprobt. Das macht die medikamentöse Behandlung psychiatrischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen keinesfalls leichter. (APA)