Wien - Das Überschwappen der politischen Umstürze 2011 auf Libyen und der daraus resultierende Bürgerkrieg haben die Bedrohung durch Produktionsausfälle bei Öl in politisch instabilen Ländern aufgezeigt. Obwohl das Land mit seiner Erdölproduktion von rund 1,65 Millionen Barrel pro Tag nur rund zwei Prozent der weltweiten Produktion ausmacht, stieg der Preis für die richtungsweisende Nordsee-Ölsorte Brent zwischen Februar und April letzten Jahres um rund ein Viertel.
Derzeit bringt der Iran den Ölpreis zum Tanzen. Drohgebärden, Sanktionen und Embargos haben in den vergangenen Wochen die Stimmung kräftig aufgeheizt und den Preis weiter nach oben katapultiert. Brent kostete Anfang März schon einmal 95 Euro, so viel wie zuletzt 2008, als der Ölpreis sein Allzeithoch erreichte. Der deutliche Verfall des Euro gegenüber dem Dollar verteuerte nämlich die in Dollar gelisteten Ölimporte. Der Rohstoff hat sich schon im Laufe des Februars um fast 15 Dollar je Barrel verteuert. Der Sprung markierte den stärksten Kursanstieg in einem Februar seit Einführung des Terminkontrakts auf Brent Ende der 1980er Jahre.
In Dollar erreichte Brent 2011 ein durchschnittliches Allzeithoch von 111 US-Dollar. Auch inflationsbereinigt war der Preis damit höher als 2008 und sogar höher als während des zweiten Ölschocks 1979/80. Nach Meinung der Erste-Bank-Experten Ronald-Peter Stöferle und Friedrich Mostböck könnte eine Eskalation der Iran-Krise den Ölpreis allerdings auf ein neue Allzeithoch heben. Auf Jahressicht rechnen die Erste-Bank-Analysten mit einem durchschnittlichen Preis von 123 US-Dollar je Barrel. In etwa so viel kostet ein Barrel auch heute schon - am frühen Montagnachmittag waren es 123,7 Dollar. Sollte der Iran die Straße von Hormus - wenn auch nur für kurze Zeit - blockieren, sei auch ein Ölpreis von 150 bis 200 US-Dollar denkbar. Durch die Meerenge im Persischen Golf werden knapp 20 Prozent des weltweit geförderten Rohöls transportiert.
Sollte tatsächlich das bisherige Allzeithoch von 147 Dollar im August 2008 überschritten werden, hätte dies einen signifikanten Nachfragerückgang im zweiten Halbjahr zur Folge, glaubt Stöferle.
Fördermaximum bei konventionellem Öl
Preistreiber im vergangenen Jahr waren neben den genannten geopolitischen Faktoren aus Sicht der Erste-Analysten aber auch schon länger beschworene Entwicklungen wie das Peak-Oil-Szenario: "Nach meiner Einschätzung ist das globale Fördermaximum bei konventionellem Öl schon überschritten", ist Stöferle überzeugt. Die günstig abbaubaren Ressourcen seien weitgehend erschöpft. Das nächste große Ding: Schieferöl. Gefördert wird es wie Schiefergas durch das heftig umstrittene "Fracking" (Tiefbohrtechnik, bei der Wasser, Sand und Chemikalien unter hohem Druck in das Gestein gepresst werden, in dem der Rostoff gebunden ist, Anm.).
Vor allem Polen und die Ukraine wollen groß in diese Art der Energiegewinnung einsteigen. Solche unkonventionellen Fördermethoden könnten den Rückgang bei den konventionellen Fördermethoden ausgleichen, glaubt Stöferle. Punkto Umweltgefahren ortet er in Europa übertriebene "Panikmache". Bei der neuen Gasabbaumethode des "Clean Fracking" würden die Risiken deutlich verringert; die Bohrkosten fielen signifikant, der Wasserverbrauch sinke.
Getrieben wurde der Ölpreis nach Ansicht des Experten aber auch von der Angebotsseite: "Saudi-Arabien braucht mittlerweile einen Ölpreis in der Höhe von 80 US-Dollar, um einen ausgeglichenen Haushalt zustande zu bringen, in Russland wird der Wert heuer bei 126 Dollar liegen." Ein Großteil der Exporteure sei somit auf ein Preisniveau von zumindest 80 bis 90 US-Dollar angewiesen. Außerdem sei die Reservekapazität der OPEC auf kritischem Niveau. Nachdem Saudi-Arabien noch nie mehr als zehn Millionen Barrel pro Tag produziert habe, sei zu befürchten, dass sich erst im Ernstfall herausstellen wird, ob die Reservekapazität tatsächlich im angegebenen Umfang (zwölf Millionen Barrel am Tag, Anm.) existiert.
Die Nachfrageseite wird indes weiterhin von den aufstrebenden Nationen in Asien dominiert. 70 Prozent des zusätzlichen Ölkonsums entfallen auf China und Indien. "Den derzeit stattfindenden Paradigmenwechsel erkennt man beispielsweise daran, dass China im Vorjahr die USA als weltweit größten Energieverbraucher überholt hat", so Stöferle.
Die expansive Geldpolitik seitens der Notenbanken praktisch rund um die Welt wirken laut Stöferle ebenfalls stimulierend. Nachdem die US-Notenbank Fed ihre Nullzinspolitik zumindest bis Ende 2014 fortsetzen wird, könnte weiter viel Geld in den Rohstoffsektor (Öl und Gold) fließen. Das Fundament für neue Preissprünge ist also auch in dieser Hinsicht gelegt. (derStandard.at, 5.3.2012)