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Wirft man einen flüchtigen Blick auf die offiziellen Statistiken zur Verbreitung unterschiedlicher Android-Versionen, könnte man leicht den Eindruck bekommen, dass Android 2.3 die aktuellste Version des mobilen Betriebssystems von Google ist. Auch rund fünf Monate nach dessen erster Vorstellung (und vier Monate nach der Freigabe des Source Codes) findet sich Android 4.0 "Ice Cream Sandwich" auf gerade einmal 1,6 Prozent aller in den letzten zwei Wochen auf den Android Market zugreifenden Geräte. Zum Vergleich: "Gingerbread" erreicht aktuell einen Wert von 62 Prozent.

Kaum verfügbar

An sich kann das auch nicht weiter verwundern, gibt es bisher doch praktisch keine Smartphones von Drittherstellern, die mit Android 4.0 ausgeliefert werden oder ein entsprechendes Update erhalten haben. Neben den Tablets von Asus und einigen kleineren Herstellern gibt es "Ice Cream Sandwich" offiziell bislang lediglich für die Geräte der Google-eigenen Nexus-Linie - und auch hier nicht ohne Einschränkungen. Die Update-Welle für das letztjährige Modell Nexus S scheint Ende Dezember - ohne jeglichen Kommentar des Softwareherstellers - nach wenigen Tagen eingestellt worden zu sein, das vorhergehende Nexus One erfüllt laut offiziellen Aussagen die Hardwareanforderungen nicht mehr.

Who cares?

Eine Situation, in der sich vor allem zwei Fragen stellen. Zunächst jene über die reale Relevanz des attestierten Defizits - immerhin scheint man bei den Herstellern nicht ganz unzufrieden mit der aktuellen Situation zu sein. Neue Android-Versionen bekommen viele NutzerInnen in der Realität wohl häufiger per Kauf eines frischen Geräts als über ein Softwareupdate für ihr bestehendes Smartphone oder Tablet. Da früher oder später wohl alle aktuellen Geräte - zumindest - mit Android 4.0 ausgeliefert werden, wird sich also auch dessen Aufstieg in den Statistiken irgendwann "von selbst" erledigen.

Problematik

Doch solch eine Herangehensweise ist aus mehrerlei Sicht zu kurz gedacht: Einerseits hat sich die Wahrnehmung bei den KonsumentInnen radikal verändert, ein aktuelles Smartphone ist nicht einfach ein Mobiltelefon, sondern ein Mini-Computer - und wird auch primär so genutzt -, woraus wiederum eine ganz andere Erwartungshaltung an die Softwareversorgung resultiert.

Zeitenwandel

Die Hersteller scheinen hier aber noch in der Mentalität alter "Dumb Phone"-Zeiten verhaftet zu sein und nicht recht zu bemerken, dass bei vielen KonsumentInnen, die über neue Android-Versionen lesen, ein massives Unverständnis darüber herrscht, dass sie - beispielsweise - für ihr mehrere hundert Euro teures, vor kurzem noch topaktuelles Gerät auch Monate nach der Vorstellung von "Ice Cream Sandwich" noch kein Update erhalten haben. Die aktuelle Situation birgt also eine hohes Frustpotenzial und somit auch aus Herstellersicht die "Gefahr", dass sich die KonsumentInnen nach Alternativen umschauen in der Hoffnung, dort dann rascher - und zuverlässiger - mit Updates versorgt zu werden.

Umfeld

Zudem ist die langsame Verbreitung von Android-Updates auch für dessen Softwareökosystem alles andere als von Vorteil: Der Anreiz speziell auf Android 4.0 optimierte Versionen eigener Apps anzubieten, ist für DrittentwicklerInnen reichlich gering, immerhin bedient man damit bislang eine kleine Nische. Dies führt dazu, dass viele der groß angekündigten, neuen Funktionen aktueller Android-Updates erst viele Monate - oder Jahre - später auch wirklich aktiv genutzt werden.

Schuldfragen

Aus all dem bislang Konstatierten resultiert indirekt auch die zweite große Frage: Wer trägt Schuld an dieser Misere? Wie so oft ist das natürlich nicht so einfach zu beantworten. In einem aktuellen Leitartikel nimmt hier etwa "The Verge" Google selbst in die Pflicht: Android werde als die Schöpfung des Sofwareherstellers wahrgenommen, insofern müsse man auch die Verantwortung übernehmen und Lösungen finden. Das ist freilich leichter gesagt als getan, immerhin tragen unterschiedlichste, nicht so einfach aus der Welt zu räumende Faktoren zu den Update-Verzögerungen bei - und nur wenige davon liegen wirklich in der Hand von Google.

Angepasst

Da wäre einmal das Offensichtliche: die individuellen Android-Anpassungen der diversen Hardwarehersteller. Auch wenn Touchwiz, Motoblur und Co. sowohl bei Kritik als auch KonsumentInnen auf sehr gemischte Reaktionen treffen, die Anbieter sind stock und steif davon überzeugt, dass ihre eigenen Oberflächen und Services der Schlüssel zur Differenzierung vom Mitbewerb - und somit zum Erfolg - sind. Und so muss die Eigensoftware für jede Android-Release wieder neu angepasst werden - was natürlich (zusätzlich zur Anpassung an die eigene Hardware) seine Zeit in Anspruch nimmt. Wollte Google diesen Faktor beseitigen, müsste man den Partnern schon ihre Android-Modifikationen untersagen - was allerdings der bisherigen, betont offenen Android-Herangehensweise grundlegend widersprechen würden.

Faktoren

Interessanterweise ist die Entwicklungsphase aber offenbar gar nicht mehr der größte Faktor für die Verzögerung von Android-Updates, zumindest wenn man der Darstellung der Hersteller selbst glauben darf. In ihrem Bestreben, die langen Wartezeiten nachvollziehbarer zu machen - und so wohl auch den Ärger der KonsumentInnen ein Stück weit zu kalmieren -, haben einige davon unlängst Informationen über den Ablauf des Update-Prozess veröffentlicht. Und hier zeigt sich, dass es die Zertifizierung durch die Netzbetreiber ist, die einen großen Teil der Zeit in Anspruch nimmt. Motorola umreißt diese Phase mit ein bis drei Monaten, ein in der modernen Softwarewelt geradezu anachronistisch anmutender Wert.

Maßnahmen

Um eine signifikante Verbesserung des aktuellen Zustands zu erreichen - ohne die erwähnte Offenheit zu verlieren -, würde es also einer Reihe von Maßnahmen bedürfen. So könnte Google etwa den Drittherstellern schon früher als bisher Zugriff auf den Source Code von neuen Android-Versionen geben, diese wiederum müssten schlicht und einfach effizienter in ihren Entwicklungs- und Testprozessen werden. Eventuell würde es auch so manchem Hardwarehersteller mal gut tun, die eigene Produktpalette kritisch zu hinterfragen, der hier teilweise vorherrschende Wildwuchs an Modellen und Varianten macht es sicherlich nicht gerade leichter umfassend Updates anzubieten. Zumindest in diesem Bereich zeichnet sich aber schon eine gewisse Besserung ab, wenn man aktuellen Aussagen von HTC und Co. traut. Nicht zuletzt gilt es aber, die Netzbetreiber endlich zur Gänze aus dieser Gleichung zu streichen. Es mutet geradezu absurd an, dass die Provider noch immer bei Updates mitreden dürfen.

Apple hat sich dies für das iPhone schon von Beginn an verbeten, höchste Zeit, dass das auch im Android-Umfeld Standard wird. Die Zahl jener, die über zusätzlich installierte Apps einzelner Mobilfunkbetreiber erfreut sind, hält sich wohl in verschwindend geringen Grenzen, und auch diese wird man wohl auf einem anderen Weg zum richtigen Download-Link lotsen können. Und Netzwerktests können angesichts dessen, dass es hier klare Standards gibt und wie erwähnt gewisse Hersteller ausgenommen sind, seriöserweise ohnehin nicht mehr ins Feld geführt werden.

Eingriff

Natürlich können aber auch die KonsumentInnen selbst klare Zeichen setzen: Wer nicht gerade zu Dritt-Firmware wie CyanogenMod oder MIUI greifen kann oder will, aber gern aktuelle Android-Software nutzen möchte, sollte zu einem Gerät aus Googles Nexus-Linie greifen. Wohl erst wenn diese wirklich signifikante Verkaufserfolge feiert, werden die Hersteller damit beginnen, ihre aktuelle Strategie zu überdenken. Eine Patentlösung ist das natürlich nicht, immerhin beschneidet man sich so einer der entscheidenden Stärken des Android-Umfelds: der großen Auswahl an unterschiedlichen Geräten mit all ihren verschiedenen Formfaktoren und Eigenschaften.

Sicherheitsfragen

Insofern ist klar, dass ein Umdenken bei den Drittherstellern unumgänglich ist, und dies nicht nur aus der Angst, den Zorn der KonsumentInnen auf sich zu ziehen: Die mangelhaften Updates werden in zunehmendem Maße auch zu einem nicht zu unterschätzenden Sicherheitsproblem. Millionenfach verkaufte Geräte, bei denen Lücken erst Monate später - oder manchmal gleich gar nicht - geschlossen werden, stellen ein äußerst lohnendes Angriffsziel dar.

Bleibt die Hoffnung, dass es nicht erst zu einem großen Vorfall kommen muss, bevor die Anbieter ihre veralteten Prozesse über Bord werfen und einsehen, dass auch Smartphones und Tablets laufende - und schnelle - Updates brauche, um wirksam geschützt zu sein. Eigentlich sollte sich gerade Google in einer sehr guten Position befinden, solche Transformationen anzuschieben. Immerhin agiert man in anderen Bereichen geradezu vorbildlich in der Auslieferung von Aktualisierungen, etwa beim Browser Chrome oder dem darauf basierenden ChromeOS. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 6.3.2012)