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Hans-Otto Thomashoff:
Keiner sah die anderen.
€ 8,90/ 228 Seiten. Piper, München, Zürich 2003.

Hinweis: Die Buchpräsentation von Thomashoffs Krimi findet am 20. 6. um 15 Uhr bei Morawa, Wollzeile 11, 1010 Wien statt.

Foto: Archiv
Jochanaan wird bekanntlich auf Wunsch Salomes geköpft. In der Oper. Wenn der Sänger der Partie nach der Aufführung kopflos in seiner Garderobe sitzt, ist das kein Fall für die Kunst, sondern für Inspektor Federer. Der war zuvor selbst in der Vorführung der Wiener Staatsoper gewesen; einerseits, um den berühmten bulgarischen Sänger zu hören, andererseits, um in der Loge seine langjährige italienische Geliebte zu treffen und den exklusiven Ort für ein prickelnd erotisches Date zu nützen.

Das Krimidebüt von Hans-Otto Thomashoff beginnt also recht originell, und den Vorteil der Ortskenntnis kann er auch gut ausspielen: Der Autor ist zwar in Köln geboren, arbeitet aber als Psychoanalytiker in Wien und reiht sich so mit Edith Kneifel oder Paulus Hochgatterer in die Reihe der lokalen schreibenden Seelendoktoren ein.

Wien als Drehscheibe der Ostmafia, der Spione und des Drogenhandels hat noch lange nicht ausgedient, erwartungsgemäß findet man in der Garderobe des kopflosen Sängers, der als Künstler grandios, als Mensch ein Ekel war, Heroin in rauen Mengen. Seltsam ist nur, dass die Ermittlungen diskret behindert werden, was Federer gar nicht schmeckt.

Inspektor Federer ist ein merkwürdiger Charakter. Kein ausgesprochener Held, bindungsscheu, Dackelbesitzer - und Klient des freundlichen Wiener Pschoanalytikers Bergasser. Insofern dürfte Federer als selbstreflektierender Kriminalbeamter ein Unikum darstellen. Natürlich kann es Thomashoff nicht lassen, sich ein wenig dozierend in fachspezifischen Erklärungen zu ergehen. Der Plot hätte auch noch ein wenig gefinkelter ausfallen dürfen, aber der Autor verblüfft den Leser, indem er seinen Inspektor nach erfolgreicher Aufklärung das Handtuch werfen lässt. Federer geht sein dämlicher und machtgeiler Chef so auf die Nerven, dass er sich auf Zureden seines Psychoanalytikers beurlauben lässt, um endlich die Dinge zu tun, die im Leben wirklich wichtig sind. In der Fiktion können kollektive Träume halt wahr werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.6.2003)