Foto/Grafik: BKK-3
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So gut wie jedes neue Bürogebäude wird damit beworben, flexibel zu sein. Gemeint ist damit, dass die Geschossflächen weitgehend stützenfrei und innerhalb eines wirtschaftlich optimierten Rasters beliebig teilbar sind. Flexibel bedeutet im Jargon der Büroflächenplaner und -anbieter auch, dass die Versorgung mit diversen Installationsleitungen so ausgelegt ist, dass Firmen problemlos ihre notwendige technische Ausstattung andocken können. Man könnte fast annehmen, dass frei teilbare Flächen, leicht zugängliche Leitungskanäle und leistungsfähige IT-Backbones in einem Bürohaus des 21. Jahrhundert noch keine Selbstverständlichkeit sind.

Gern wird der Begriff Flexibilität mit dem der Multifunktionalität gepaart. Meistens bedeutet dass nicht mehr, als dass sowohl eine Werbeagentur als auch die Grundbuchbehörde damit zurechtkommen. In der Realität bedeutet das nach ökonomischen und arbeitshygienischen Kriterien optimierte Räumlichkeiten neben-und übereinander geschichtet sind. Wer seine Nachbarn sind, weiß man nur von den Firmenschildern und den Autos in der Tiefgarage. Nach getaner Arbeit ist kein Bedürfnis größer, als jenes, möglichst schnell dem Ort zu entfliehen.

Ein neues Bürohaus am Wiener Lerchenfeldergürtel zeigt, dass Büroarchitektur - ohne die Mietpreise in die Höhe zu treiben - auch anders aufgefasst werden kann. IP-Two heißt es. Die ersten zwei Buchstaben stehen für Impulszentrum, das Anhängsel bedeutet, dass es bereits das zweite dieser Art in Wien ist. Sowohl die knallorange Nummer Eins in der Fernkorngasse als auch den schwarzen Kristall am Gürtel haben die für extravagante Raumschöpfungen und kreative Interpretationen von Bauvorschriften und Raumprogrammen bekannten Architekten von BKK-3 (Franz Sumnitsch und Johann Winter) geplant. Es handelt sich dabei um Büro- und Gewerbezentren, die mehr anbieten, als die zwingend notwendige Infrastruktur.

Die Flexibilität wurde hier in all ihren Bedeutungsebenen inhaltlich und formal - im Sinne von funktional anpassungsfähig genauso wie als elastische Form - behandelt. Multifunktionalität äußert sich so, dass öffentliche, hausgemeinschaftliche und individuelle Nutzungen ineinander übergreifen und so die Kommunikation zwischen den Nutzern fördern.

Das Foyer ist als weitläufige, gefaltete Landschaft in Cremeweiß gestaltet. Außen und Innen gehen geschmeidig ineinander über. Ein gläserner, voll ausgestatteter Seminarraum steht allen Mietern zur Verfügung. Die weißen Faltungen setzen sich in den dahinter liegenden Hof fort, dessen weißer Holzrostbelag über die Wand samt integrierter Sitzbank hochgezogen wird. Repräsentativ und luftig wirkt die ganze Eingangsebene und lässt die verkehrsumtoste, staubige Stadtautobahn vor der Tür sofort vergessen.

Das im Halbstock untergebrachte Café ist zum Foyer hin nicht abgeschlossen, sondern wurde über eine sacht ansteigende Treppe mit begleitender Rampe angebunden. In die Rampe eingelassene Buchten - Schüsseln nennen die Architekten sie - gliedern den schrägen Bereich und standen als individuell vom Cafébetreiber zu gestaltende Bereiche zur Verfügung. Angesichts der mittlerweile bereits installierten Caféteria, die einen etwas betriebskantinenhaften Flair verströmt, ist es bedauerlich, dass dafür nicht auch gleich das Baukünstlerkollektiv herangezogen wurde. Das blaue Mobiliar wirkt etwas bemüht in die fließende Raumlandschaft eingezwängt. Irgendwie scheint es innenarchitektonisch mit den Gastbetrieben in den neuen Gürtelparadebauten nicht so recht klappen zu wollen. Das Restaurant am Dach der Hauptbibliothek besticht ja auch höchstens wegen der Aussicht und des Mittagsmenüs.

Das entwurfsbestimmende Thema war eindeutig der Gürtel, so BKK-3-Architekt Johann Winter. Der unwirtlichen Ort, der aber als breite Stadtachse mit der revitalisierten Mittelzone im Bereich der Stadtbahnbögen durchaus seine Reize hat, ist aus dem Bürohaus als urbanes Kraftfeld wahrnehmbar. Die Fensterbänder reichen bis zum Boden. Das Draußen ist dadurch weitaus präsenter, als es mit einer herkömmlichen Lochfassade wäre.

Aber auch intern spielen Durchblicke eine große Rolle. Glastüren öffnen sich zu den Erschließungsflächen. Dadurch erhalten auch kleinere Einheiten ein Zugehörigkeitsgefühl zum Ganzen. Hoch attraktiv werden die Gangzonen durch die das Haus durchstoßende "Wirbelsäule". Dabei handelt es sich um einen zentralen Lichthof, der von einem Band massiv ausgeführter Brüstungsbänder begleitet wird. Er gewährleistet, dass die Büros nach innen gelüftet werden können und man die Schadstoffemissionen des Gürtels draußen halten kann. Neben diesen haustechnischen Aufgaben dient die Wirbelsäule aber auch als Kommunikationszone. Während einer Zigarettenpause ist man hier in Blickverbindung zu den anderen Geschossen, man trifft die Nachbarn, ist nicht isoliert in irgendeinem uneinsehbaren Winkel, sondern mittendrin.

Dem Thema "Gürtel" erweist auch die Außenhaut Referenz. Schwarz werden Fassaden am Gürtel sowieso irgendwann. Und so überzieht das Schwarz den gesamten Baukörper. Wie es zu dessen Form kam, ist übrigens nicht ein Resultat formaler Willkür oder extremer Ausreizung der erlaubten Kubatur. Denn ursprünglich war das Grundstück komplett mit einer Hochgarage bebaubar gewidmet. Irgendwann wurde im Zuge der Attraktivierung des Gürtels klar, dass hier eine andere Widmung attraktiver sei. Die volle Bauhöhe hätte noch 15 Meter weit in die Grundsteingasse gezogen werden können, dann wäre allerdings ein Höhensprung zur niedrigeren Bebauung vonnöten gewesen. Um diesen Einschnitt zu verhindern, entschlossen sich Sumnitsch und Winter, nicht "beinhart ums Eck zu gehen" sondern sachte überzuleiten. Um dem Nachbargebäude am Gürtel, dessen Lichthof zum IP-Two-Grundstück offen ist, nicht die Belichtungssituation zu verschlechtern, wurde dieser Bereich freigehalten.

Der Grünstreifen vor dem IP-Two und dem Nachbargebäude soll in eine nutzbare Installation, die in einer erhöhten Rampe ausläuft, verwandelt werden. Künstliche "Schachtelhalme" die als Sitz- und Lehnobjekt zu gebrauchen sind sollen sich, so ist es vorläufig erdacht, vom Foyer bis auf die Rampe fortpflanzen und eine kleine Oase in der Verkehrswüste bilden. Ein Stück Gürtelrandzone würde damit vom Hundeklo zu einem Stück öffentlichen Raum werden. Das müsste sogar im Rahmen einer Aktion zur Befreiung der Stadt vom Hundekot förderbar sein.

Einen unängstlichen Bauherren, der das unorthodoxe Konzept mitträgt, braucht es dazu natürlich auch. Die Prisma Holding AG, die bisher ihre Betriebsansiedlungsprojekte und Gewerbezentren vor allem an Standorten in Vorarlberg und Wien entwickelte, hat keine Scheu vor Innovationen. Signifikante, hochwertige Architektur findet ihre Kunden. Auch beim IP-Two ist sie für die meisten Mieter das entscheidende Kriterium. Frei teilbare Grundrisse und eine moderne Gebäudetechnik, das sei der Ordnung halber erwähnt, gehören übrigens auch hier zum Angebot. Wem das allein genügt, dem ist nicht zu helfen. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.6.2003)