Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/dpa

Von wegen "Amsel, Drossel, Fink und Star . . . alle Vögel sind schon da . ." Das Kinderlied muss umgeschrieben werden. Die Zugvögel fliegen winters längst nicht mehr weg in den Süden. Sie bleiben da. Ist ja auch hier mittlerweile angenehm warm. "Das Verhalten der Zugvögel ist ja nur eines der unzähligen Indizien für den Klimawandel", sagt Friedrich-Wilhelm Gerstengabe vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung.

Der renommierte Klimaforscher hegt keinen Zweifel mehr: "Wenn das physikalische Experiment mit der Erde nicht langsam gestoppt wird, kann es ungemütlich auf diesem Planeten werden. Sehr viel Zeit haben wir nicht mehr, es kann schnell gehen, dann ist der Bremsweg verdammt kurz", warnt Gerstengabe im STANDARD.

Die jetzige, allseits spürbare Klimaveränderung habe nichts mehr mit Normalität oder klimatischen Zufällen zu tun. Dass sich das Weltklima grundlegend ändert, werde von der Mehrheit der Klimaforscher nicht mehr bestritten. Und auch die Ursache liege auf der Hand: menschliches Versagen. Wir produzieren Treibhausgase über alle Maße.

Der Klimawandel äußert sich primär in einer überall messbaren Erwärmung. Es existiere "kein Punkt" auf der Erde mehr, der nicht langsam erwärmt werde, sagt Gerstengabe. Seit 2000 Jahren habe es keine Erwärmung in diesem Ausmaß gegeben, dies lasse sich unter anderem an Baumrindenanalysen nachweisen. Der Systemwechsel im Klima sei von großer Labilität begleitet. Das führe zu extremen Temperaturausschlägen. Auf sehr heiße Perioden können sibirisch kalte "Ausreißer" folgen. Wie im vergangenen Winter in Istrien, wo bis zu -14 Grad gemessen wurden.

In der Gesamtheit aber steigt die Temperatur stetig an, zu den Polen hin immer stärker. Wobei im Norden ein Kuriosum zu beobachten ist. Durch die dortige Erwärmung wachsen die Gletscher - im Gegensatz zu den Alpen, wo sie schmelzen. Der Grund: Es sei ja unerheblich, sagt Gerstengabe, ob die Temperatur im Norden von minus zwölf Grad auf minus zehn Grad steige. Das Eis bleibe gefroren. Nicht so aber an den Rändern, hier schmelze das Eis, verdampfte und produziere letztlich noch mehr Gletschereis.

Österreich als Teil des alpinen Raums ist besonders von der Klimaveränderung betroffen. "Der Temperaturanstieg verläuft hier rascher als in anderen Regionen der Erde", bestätigt die österreichische Klimaexpertin Helga Kromp-Kolb von der Wiener Universität für Bodenkultur. Der Grund für das außergewöhnliche Phänomen könnte zum Teil am Schnee liegen.

Durch die steigende Erwärmung bleibe der Schnee in den Alpen nicht mehr so lange liegen, die Sonnenstrahlen werden weniger lang reflektiert, der Boden absorbiere mehr Wärme. Zudem - so eine weitere Theorie - sei das Luftvolumen über den Alpen im Verhältnis zu ebenen Gebieten geringer, dieser Teil der Atmosphäre erwärme sich daher rascher, sagt Kromp-Kolb.

Die Klimazirkulationen sind jedenfalls aus dem Ruder. Durch die Erwärmung lädt sich die Luft vermehrt mit Wasser und Energie auf, es kommt zu extremen Wetterausformungen. Das Wasser nieselt nicht mehr als gemütlicher Landregen zu Boden. Es "kübelt". Die Folgen: Hochwasser, Vermurungen.

Was tun? "Wir müssen unsere Politiker zur Einsicht bringen, dass etwas getan werden muss, dass wir längst mitten in einem Problem stecken", sagte Gerstengabe. "Wenn nichts getan wird, wird demnächst die Volkswirtschaft in die Knie gehen." Denn die Unwetterschäden dürften bald nicht mehr finanzierbar sein. Es werde wohl so sein, blickt Gerstengabe pessimistisch nach vorne, wie es immer ist: "Wir werden auf den großen Crash warten." Bis was passiert. (Walter Müller/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15.6. 2003)