Alle Braunschlag-Folgen schauen führt zu Entzugserscheinungen.

Foto: Orf

Um das Wochenende möglichst bewegungsfrei zu gestalten (Frühjahrsmüdigkeit!), hat man sich die DVD von "Braunschlag" besorgt.

Wieder mal was vom Schalko, wieder was vom Palfrader, der Proll, der Hofstätter und dem Ofczarek. Na ja. Aber überall steht, man soll es sich anschauen, und man hatte ja Zeit. Der ORF sendet es erst im Herbst, so lange kann man nicht warten, ohne dass man Gefahr läuft, die Geschichte vorher von allen Seiten halblustig erzählt zu bekommen.

Den Trailer mag man. Und dann schaut man. Durch. Geht nicht schlafen. Acht Folgen nonstop. Was für eine wahnwitzige Serie! Man fiebert durch die abstruse Handlung.

Man lacht an Stellen, von denen man nicht für möglich gehalten hat, so etwas lustig zu finden. Man weint (!), weil der eine Mann den anderen mit dem Handtuch abtrocknet. Man denkt darüber nach, dass man mit einem der Protagonisten in die Schule gegangen ist, vor einer langen, vergessenen Zeit. Und dass man daran überhaupt nicht gedacht hat, während man ihn in der Serie gesehen hat. Er muss also sehr gut gespielt haben.

Völlig gaga

Nach dem letzten Abspann ist man ratlos. Was ist jetzt passiert? Man ist völlig gaga. Man hat gerade eine Verrücktheit vorgeführt bekommen, die man gut kennt. Die man für uralt und ureigens hielt, die man immer versucht hat, in sich zu ordnen und ja nicht hochkommen zu lassen. Weil man will ja drüberstehen. Und hat es augenscheinlich nicht geschafft.

Man denkt an die eigene Kindheit in einem Kaff. An die Seilschaften dort und die "guten Kontakte" zur Landeshauptstadt, im eigenen Fall war das Innsbruck. Und an die Dinge, die damals entschieden wurden und passiert sind, über die Köpfe der Dorfbewohner hinweg. Denen nicht aufgefallen ist, dass zum Beispiel das alte Ortsbild zugunsten gruseliger Neubauten ausgelöscht worden ist. Und denen eingebläut worden ist, dass der Fremdenverkehr die Religion ist, in die es zu investieren gilt.

Braunschlagturkey

Okay, man ist auf Braunschlagturkey. Und man kommt drauf, was es ist, diese Leere nach der Serie: "Braunschlag" macht süchtig. Weil alles so stimmt. Weil man nichts richtig machen kann. Wahrscheinlich.

Danach bastelt man sich laut Anleitung auf der Facebook-Seite eine eigene kleine Marienerscheinung. Und wartet, was passiert. Man denkt an die eine Verwandte, die sich letztes Jahr in einen Pilgerbus gesetzt hat und zwei Tage mit schmerzendem Leib nach Apulien gerattert ist, um Pater Pios Geist zu beschwören. Und die jetzt schwört, dass ihr Leib heute ganz anders schmerzt, irgendwie erfüllter.

Dann ruft man ein paar Ex-Freunde an und erklärt ihnen, dass das damals alles ein Missverständnis war und man vielleicht beieinander bleiben hätte können. Weil in "Braunschlag" wimmelt es vor Missverständnissen, die keiner aufzuklären vermag. Die Ex-Freunde aber können sich an nichts oder an einen gar nicht mehr erinnern. Später näht man sich ein Hasenkostüm und geht damit ein wenig im Wald spazieren. Sieht sich dabei suchend um.

Betrug

Okay, wieder in die Realität, bitte. Man beginnt ein Buch, irgendein schon lange empfohlenes. "Tschick" zum Beispiel vom Wolfgang Herrndorf. Man kann sich nicht konzentrieren. Dann schaut man sich auf YouTube ein paar Videos an. Nicht einmal das großartige Video von OK GO, "Needing/Getting", reißt einen raus. Man probiert die letzte Staffel von "Mad Men" zu schauen. Ablenkung tut sicher gut. Nach zehn Minuten dreht man ab mit dem Gefühl, etwas in sich gerade zu betrügen.

Und man ruft dann doch die Ziehmami im Heimatdorf an, fragt, wie's so geht. Muss gehen, hört man. Hüftoperation halt, das viele Putzen in den Häuseln vom Lift. Aber gegenüber wird gebaut, ein Hotel wieder.

Kein Ausblick mehr, aber gut für das Dorf. Ja, sicher. Und der Foidlbauer hat sich erhängt. Aber der hatte es immer schon mit den Nerven. Ja, ich erinnere mich, der schrie so viel mit uns Kindern.
"Braunschlag" macht Heimweh. Lust darauf, zurückzukehren und es dort besser zu machen. Was man nicht tut, natürlich. Man nimmt sich vor, ein Packerl zu schicken mit guten Sachen drinnen. Hoffentlich tut man das auch.

Dann zieht man das Hasenkostüm aus und setzt sich noch einmal vor die Glotze. Und schaut sich alles von vorne an. (Heidi List, derStandard.at, 12.3.2012)