Den Spieß umgedreht: Gastwirtesohn Jakob Leban besucht den slowakischen Kindergarten in Petrzalka. In Kittsee bemüht man sich indessen verstärkt um Integration.

Foto: Thomas Franke

Rege Bautätigkeit am Rand von Kittsee. Heuer sollen mehr als hundert weitere Wohneinheiten fertiggestellt werden.

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Kittsee - "Cikat, kakat?", fragt die Erzieherin den kleinen Danko mit dem tränenverschmierten Gesicht am ersten Kindergartentag. "Lulu, kaka?" Inzwischen sprechen so viele Kinder hier im Elternhaus slowakisch, dass die Kindergärtnerinnen einen kleinen slowakischen Wortschatz brauchen.

Die Gemeinde Kittsee liegt im Dreiländereck mit der Slowakei und Ungarn, das Ortsende nur fünfhundert Meter von der Stadtgrenze Bratislavas entfernt. Gleich hinter den idyllischen Marillengärten des Dorfes erheben sich die Hochhäuser. Auf dem Grund des ehemaligen Nachbarortes Engerau steht heute der Bratislavaer Stadtteil Petrzalka, der den zweifelhaften Ruf genießt, das größte und dichtestbesiedelte Neubaugebiet Mitteleuropas zu sein.

Fast ein Drittel Slowaken

Von den über 3000 Bewohnern Kittsees zu Anfang des 20. Jahrhunderts blieben durch Abwanderung und sinkende Geburtenrate zur Jahrtausendwende nur noch 1800. Doch inzwischen liegt die Einwohnerzahl wieder bei rund 2500, davon 700 Slowaken.

Diesem Anstieg liegt einzig der Zuzug von meist bessergestellten jungen slowakischen Familien zugrunde. Vor allem niedrigere Grundstückspreise als in Bratislava, die günstige Lage nahe am Stadtzentrum und die Kreditunterstützung seitens des österreichischen Staates locken sie zum Hausbau nach Kittsee.

Ab 2000 begannen sie, leerstehende Häuser aufzukaufen, dann entstanden die ersten Eigenheime auf neuem Baugrund. 2007 bis 2009 entstanden dann zwei Siedlungen am Westrand Kittsees für rund 60 Familien, die 2011 noch einmal um dieselbe Kapazität erweitert wurden. Heuer soll die bisher größte mit mehr als 100 Einheiten fertiggestellt werden.

Die Grenze besteht weiterhin

Das beginnende Zusammenwachsen des Dorfes mit der Großstadt verläuft nicht problemlos. Manfred Horvath meint: "Es ist schon seltsam, die Grenze ist nicht mehr da, aber sie besteht trotzdem weiter. Ich selbst war vielleicht im April das letzte Mal drüben. Und die jungen Leute fahren zu McDonald's bis nach Neusiedl oder nach Schwechat, obwohl die nächste Filiale gleich um die Ecke liegt. Dabei haben sie sogar slowakische Klassenkameraden, aber ich weiß von niemandem, der in Bratislava in die Clubs oder Kinos ginge. Die Sprachbarriere ist da natürlich wichtig."

Landwirt Stefan Tomasich zählt auf, was die Einheimischen am häufigsten monieren: "Die gestiegenen Grundstückspreise sind für junge Paare mit dem Traum vom Hausbau ein Problem. Und diese Ghetto-Bildung ist nicht gut. In der Siedlung hinterm Schloss lebt beispielsweise eine Ostdeutsche unter mehr als 20 slowakischen Familien. Am meisten wird allerdings über die gestiegene Kleinkriminalität geklagt, auch wenn dafür sicher nicht jene Slowaken verantwortlich sind, die hier leben oder arbeiten."

Sprachliche Motivation

Der slowakische Tankwart Andrej Hankovský kann das bestätigen. Er war es, der 2009 einen Überfall auf die Tankstelle vereitelte. Sein Haus hat er sich übrigens auf der slowakischen Seite der Grenze gebaut: "Der Grund mag günstiger zu haben sein, aber die Baukosten sind in Österreich immer noch deutlich höher."

Mária Engelhardtová beklagt die örtliche Konzentration der Slowaken aus ihrer Sicht: "Da verliert man leicht die Motivation zum Deutschlernen."

"Eines Tages werden wir uns sowieso als Vorstadt von Bratislava vorfinden, das ist unvermeidlich", meint Anke Gazhal. Sie schaufelt als Freiwillige beim Fest im Kindergarten Erdäpfelchips auf die Papierteller. Mit ihrem slowakischen Mithelfer verständigt sie sich in einem Gemisch aus Deutsch und Englisch. "Es ist schon schade, dass für die Kinder kein Slowakischunterricht angeboten wird. Mein Sohn würde die Sprache sicher schnell lernen, er hat ja ständig die Spielkameraden um sich, die slowakisch sprechen."

Klara Wenth, die Kindergartenleiterin, berichtet, dass es vor sieben Jahren schon eine solche Initiative gegeben habe. "Die Finanzierung des Unterrichts seitens der Landesregierung scheiterte damals leider daran, dass die Slowaken in Österreich nicht den Status einer Volksgruppe haben." Die kleinen Slowaken im Kindergarten wiederum "kommen nach unserer Erfahrung schon nach einem halben Jahr gut mit dem Deutschen zurecht".

"Bratislava könnte ganz Kittsee mit Arbeit versorgen"

Die Gastwirtefamilie Leban ist Ortsgespräch, weil sie den Spieß umgedreht hat. Ihr Sohn Jakob besucht seit zwei Jahren den Kindergarten in Petrzalka. Mutter Carina erzählt, dass sie sich vor anderen Alteingesessenen oft fühle, als müsse sie sich dafür rechtfertigen. Vater Josef fügt hinzu: "Ich selbst spreche trotz mehrerer Lernversuche kaum slowakisch. Aber wenn unsere Kinder nur dasselbe wissen wie wir, dann sind sie automatisch schon um dreißig Jahre zurück. Und Bratislava könnte gut ganz Kittsee mit Arbeit versorgen, umgekehrt jedoch kaum."

Den Vorsatz hätten sie gefasst, weil die Tochter von Bekannten, eines Burgenländers und einer Slowakin, mit drei Jahren problemlos Kroatisch, Slowakisch und Deutsch gesprochen habe und nun als Teenager sechs Sprachen beherrsche.

Das Gastwirtepaar organisiert auch den monatlichen "offenen Tisch", der zum kulturellen Austausch beitragen will. "Es prallen ja hier zwei Welten aufeinander, und alles wird oft fälschlich durch die Brille , Slowaken - Österreicher' gesehen", sagte Josef Leban. "Dabei fußen die meisten Missverständnisse darauf, dass hier Großstädter aufs Land ziehen." (Thomas Franke, DER STANDARD, 13.03.2012)