Ruhe und Stress lösen im Körper zahlreiche und nur zum Teil erforschte Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Botenstoffen aus. Ein biochemischer Mix, der über die psychische Stabilität mitentscheidet - vor allem bei Belastung, die "neuroendokrine Stressachse" ist ein Fachbegriff. Serotonin gehört zu den wichtigsten Botenstoffen. Das Molekül dient im Körper als Neurotransmitter, als Signalüberträger zwischen Nervenzellen. Es tritt mit neuronalen Rezeptoren in Wechselwirkung und löst positive Gefühle aus. Ein Mangel verursacht bei etwa der Hälfte der Menschen Depressionen. Serotonin kann zwar über die Nahrung aufgenommen, aber nicht vom Blut zu den grauen Zellen transportiert werden. Helles Licht und Bewegung regen die Produktion an. Das ist der Grund, warum Sport im Freien die Stimmung hebt.

Auch Melatonin hat einen erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden. Seine Wirkung ist der des Serotonins entgegengesetzt, macht schläfrig, bereitet den Körper auf die Nacht vor und steuert den Tiefschlaf. Die Synthese von Melatonin aus Serotonin findet hauptsächlich in der Epiphyse im Gehirn statt. Sie wird ebenfalls vom Tageslicht reguliert. Je weniger, desto mehr. Eine aus dem Gleichgewicht geratene Melatonin-Produktion kann zu Schlafstörungen führen, ein Überschuss mitunter zu Antriebslosigkeit und Stimmungsschwankungen. Dieser Effekt - viel Melatonin und wenig Serotonin - ist hauptverantwortlich für die Entstehung von Winterdepressionen.

Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin teilen denselben biochemischen Syntheseweg und gehen dabei in dieser Reihenfolge auseinander hervor. Sie haben vor allem stimulierende Wirkungen. Dopamin steigert die Leistungsfähigkeit und regt große Teile des Gehirns an. Ein zu hoher Dopamin-Pegel steht im Verdacht, Schizophrenie verursachen zu können. Noradrenalin wird wie Adrenalin hauptsächlich bei Stress ausgeschüttet. Ersteres fungiert überwiegend als Neurotransmitter und steigert Konzentration und Motorik.

Cortisol und Endorphine

Das Hormon Cortisol wird ebenfalls in Stresssituationen gebildet. Auslöser ist ein zum Teil von Noradrenalin stimuliertes biochemisches Signal aus dem Hypothalamus. Cortisol hat einen positiven Einfluss auf diverse Körperfunktionen. Es übt massiven Einfluss auf das Immunsystem aus und schützt vermutlich auch die Psyche vor negativen Folgen von Extremsituationen. Ein dauerhaft hoher Cortisol-Spiegel steht jedoch oft mit der Entstehung von Depressionen in Verbindung. DHEA, ein Nebennierenrinden-Hormon, funktioniert teilweise als Antagonist zu Cortisol. Es stärkt die Motivation und hat eine gewisse antidepressive Wirkung.

Neben den oben genannten Steuerungssubstanzen sind im Gehirn zusätzlich Endorphine aktiv. Ihre Konzentrationen steigen nach angenehmen Erfahrungen und Tätigkeiten wie Sex oder einem guten Essen messbar an. Endorphine docken an den sogenannten Opiat-Rezeptoren bestimmter Nervenzellen an und lösen so Glücksgefühle aus. Diese Rezeptoren reagieren auch auf Drogen wie Morphin und Heroin.

Die Medizin nutzt bereits eine Vielzahl unterschiedlicher Medikamente zur Beeinflussung von psychisch relevanten Stoffwechselprozessen. Die Erfolge sind groß, doch die biochemische Seelenhilfe funktioniert nicht immer. "Man kann Patienten behandeln, das heißt aber nicht, dass die Krankheit weg ist", erklärt die Psychologin Sigrid Elsenbruch von der Universitätsklinik Essen. Offenbar entzieht sich ein Großteil des Geistes noch immer unserer Kenntnis. "Der Blick muss auf mehr als die körperlichen Symptome gerichtet sein", sagt Elsenbruch. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 15.3.2012)