Christian Muchas Branchenblatt "Extradienst" ließ über die "Journalisten des Jahres" abstimmen.

Foto: derStandard.at

Wochenlang im einstelligen Prozentbereich, gelang es Thomas Kramar, seine Stimmen beim Voting innerhalb der letzten paar Stunden ...

Screenshot: Thomas Rottenberg

... zu verfünffachen.

Screenshot: Thomas Rottenberg

Ich weiß, was Sie jetzt sagen werden: Ich bin eben ein schlechter Verlierer. Und: Ja, Sie haben recht. Aber dennoch: So weit gesunken, zu unterstellen, dass da was faul sein könnte, bin ich nicht. Schließlich sind das Medienblatt "Extradienst" (ED) und sein Herausgeber, Christian Mucha, geradezu Synonyme für Unkorrumpierbarkeit von Medien und die strikte Trennung von Rechercheergebnissen und Wünschen des Chefs. Darum gilt: Ich bin ein Verlierer. Ein schlechter.

Denn sonst würde ich Thomas Kramar einfach gratulieren - und dann die Klappe halten: Kramar, Kulturredakteur bei der "Presse", hat gerade beim Extradienst-Voting zur Wahl der "Journalisten des Jahres" in der Kategorie "Kultur" gewonnen. Haushoch. Gegen tatsächlich namhafte Kollegen. Und gegen mich.

Aber der Reihe nach: Es war Anfang Februar, als mich ein Kollege anstupste. Ich sei wieder mal nominiert. Nach meinem glorreichen Platz zehn (von zehn Nominierten) im "Journalist des Jahres"-Jury-Ranking der Zeitschrift "Der Journalist" (Kategorie "Gesellschaft"), sei ich nun per Volkswahl wählbar: Im ED. Kategorie: "Kultur". Ja, sagte der Kollege, das fände auch er recht lustig.

Die besten der Besten

Es wurde noch lustiger: In 23 Kategorien konnte jedermann für den Besten der Besten der Besten klicken. Alle 12 Stunden, einmal pro IP-Adresse, bis zum 2. März. Manipulationsversuche stand da, wären chancenlos: Robots? Protokolle? Variable IP-Adressen? Klickagenturen? Keine Chance! Aber Social-Media-Aktivitäten seien erlaubt. Sogar erwünscht.

Lustige Listen

Dann sahen wird uns die Nominierten an. Und staunten: Da waren teils Leute aufgestellt, die nicht mehr arbeiteten. Kollegen, die anderswo werkten, als sie zugeordnet waren. Einige bekannte Namen fehlten überhaupt. Dominic Heinzl etwa. Man muss ihn nicht lieben - aber ihn bei "Society TV" nicht zu listen, ist absurd. Das gleiche gilt für Karin Schnegdar (Krone Society und Gastro) oder Gault Millau-Chefredakteurin Martina Hohenlohe.

Dafür stand beim Kurier Alexander Rabl. Testet dort nicht Florian Holzer Lokale? Holzer bestätigte: Rabl rezensiere ausschließlich online. Er habe, erklärte Holzer, den ED auf diese - und andere - Bugs hingewiesen. Ohne Reaktion.

Egal: Als potentieller Kultur-Gigant aufgestellt, verkündete ich via Facebook ganz offen, hiermit und ebendort einen zur Groteske passenden Wahlkampf zu starten: Ich ließ Promis auffahren.

VIP-Testimonials

In einem Facebook-Fotoalbum legte ich Richard Lugner in den Mund, ich wäre sein Traumschwiegersohn. Alfons Haider erklärte, gegen mich ein Nobody zu sein. Otto Wanz und Maria Lahr nannten mich "Bollwerk für Qualität und Niveau", Mausi Lugner, Ingrid Riegler und Gus Backus sahen bei mir Österreichs Kultur in den besten Händen. Nina "Bambi" Bruckner und Busenfreundin Ramona Galler jauchzten: "Ja und nochmals ja" - und Roberto Blanco garantierte, dass mit mir "nichts mehr schief gehen" könnte. Und so weiter.

Offensichtlicher kann man Blödsinn kaum Blödsinn nennen. Sicherheitshalber erklärte ich es aber auch noch mehrfach und öffentlich. Und binnen weniger Tage hatte ich den bis dahin führenden Kollegen (Salzburger Nachrichten) überholt.

Ich zog davon: 40 Prozent! Bei meinen tatsächlich bekannten "Rivalen" tat sich nichts. Denen war das Voting schlicht wurscht. Anderswo war es lustiger: Bei "Society TV" rang Austria9-Moderatorin Kathi Steininger mit Chili-Redakteurin Julia Ehrenreich. Robert Reumann grundelte bei zwei Prozent - aber die Damen prügelten sich um Zehntelprozente. Jenseits der 44-Prozent-Marke.

Wahlkampf brutal

Steininger chattete mich an: Ja, die Wahl sei außer skurril nur skurril - aber es gehe nicht an, dass die Jüngste der Szene (Ehrengruber) gewänne. Ehrengruber konterte auf ihrer Facebookseite: "Scheiss der Hund drauf: Ich will die Urkunde, die bestätigt, dass ich 2012 die Journalistin mit den aktivsten Facebookfreunden war." Ach ja: Holzer versprach "ich senke die Steuern!" - falls er Klaus Kamolz einholen sollte. Und ein "Fanclub Sabine Landl" bombardierte Gott und die Welt. Kurz: Jeder nahm die Sache sehr ernst.

Am 2. März staunten wir: Das Voting ging weiter. ("Langsam wird es fad"; Lisa Trompisch "heute"). Kommentarlos - nur der der Hinweis, auf den Votingschluss, war verschwunden. Ich warf Mario Soldo in die Schlacht: "Ich weiß zwar nicht wie lange die Votingfrist verlängert werden muss, bis das Ergebnis mit dem Anzeigenaufkommen oder dem Willen des Herausgebers übereinstimmt. Aber eines ist gewiss: Wenn es mit rechten Dingen zugeht, führt an IHM kein Weg vorbei," ließ ich Soldo für mich werben. Ich lag bei 41 Prozent. Das Voting plätscherte weiter. Es wurde langweilig

Ich schwöre: Ich hatte Soldo einfach ins Blaue fabulieren lassen. Doch: Aus ED-Kreisen drang das - natürlich nicht festmachbare Gerücht -, dass die Produktion des Heftes aus anzeigenvolumenstechnischen Gründen verschoben worden sei. Andere Quellen sagten, den Chef irritierten manche Zwischenstände: Bei den TV-Programmdirektoren lag da gerade der Chef von TirolTV vorne.

Schlussgong

Wie auch immer. Plötzlich stand auf der ED-Seite, dass am 13.3. Schluss sei. Am 12. März machte ich um 16.35 Uhr einen Screenshot: 42,7 Prozent. Gegen Mitternacht mailte ein Freund: "Über 42! Das sollte reichen - Du Kulturgott!"

Doch ach! Am Morgen war ich abgestürzt. Auf 29,8 Prozent. Schlimmer noch: Ich war überholt. Nicht vom ebenfalls eifrigen Kollegen aus Salzburg, sondern von Thomas Kramar, von der Presse. Kramar hatte sich binnen weniger Stunden - von Mitternacht bis 9.30 Uhr - von kargen 7,1 auf fette 35,3 Prozent katapultiert. Also verfünffacht. (Später hörte ich, dass auch in mindestens einem anderen Ressort in dieser Nacht wahre Votingwunder geschehen seien.)

Am Nachmittag des 13. März standen dann die absoluten Zahlen beim ED. Ich rechnete: Teufelskerl Kramar hatte bis zur letzten Sekunde gewartet - und dann schlagartig und mitten in der Nacht über 1100 Menschen dazu gebracht, von unterschiedlichen IP-Adressen (die Standard-Redaktion etwa hat eine einzige ...) aus für ihn zu stimmen. Punktgenau zum Votingschluss. 1100 Votes. En bloc. Mehr, als die Sieger bei "Chefredaktion Tageszeitung" oder "Innenpolitik" im ganzen Votingzeitraum schafften.

Ein Taktik-Titan

Wer so präzise und überraschend Massen mobilisieren kann, erkannte ich, dem stünde als Wahlkampfstratege die Welt offen. Soviel taktisches Können müsse man anerkennen. Also gratulierte ich.

Thomas Kramar war baff: "Ich war - ehrlich! - nur einmal auf dieser Homepage, da war ich weit hinten. Das war am vorletzten Tag vor Einsendeschluss. ... Ich finde diesen Wahlmodus, ehrlich gesagt, eher nicht so seriös, aber mein Prinzip ist: Jeder Preis, den ich bekomme, ist ernst zu nehmen ;-) Wirklich wichtig ist mir freilich nur, dass ich noch zu Lebzeiten Professor werde."

Kurz darauf - noch am 13. März - rief Kramar mich an. Er verstehe noch etwas nicht: Wieso es vom 2. bis zum 13 März gedauert habe, die Ergebnisse zu verkünden? Dann staunte er noch einmal: Dass das Voting verlängert worden war, sei an ihm und seinem Umfeld spurlos vorbei gegangen. Umso wichtiger sei daher der letzte Satz seines Mails an mich: "Ach ja: Wenn Du draufkommst, wer mich so oft gewählt hat, sag es mir. Ich würde meine Fans gern kennenlernen." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 16.3.2012)