So manches, was wir von uns glauben, ist Illusion; in der Causa Kampusch steckt eine seltsame Altherrengeilheit: Paulus Hochgatterer, Kinder- und Jugendpsychiater und Schriftsteller.

Foto: Regine Hendrich

Paulus Hochgatterer sieht die Darsteller aktueller Korruptionsfälle von Gier und Neid bestimmt.

STANDARD: Wo sind denn die Pelargonien aus Astrid Lindgrens Garten?

Paulus Hochgatterer: Warum glaubt mir niemand, dass es die gibt? (Holt Pelargonien-Ableger.) Bitte: Da sind sie, die Mutter steht im Stiegenhaus zum Überwintern. Ich habe eine liebe Psychoanalytiker-Kollegin, die war in Vimmerby in Lindgrens Garten und hat einen Ableger gestohlen: abgebrochen, eingepackt, durch den Zoll geschmuggelt und gezogen. Da sie weiß, wie sehr ich Lindgren mag, hat sie mir einen geschenkt. Ich verschenke ab und zu Ableger.

STANDARD: Einem Ihrer besten Freunde sind alle eingegangen.

Hochgatterer: Wie es mit den Pflanzen weitergeht, überprüfe ich nicht. Blumenpflege ist ein schwieriges Kapitel. Ich selbst habe als Kind eine Fuchsien-Traumatisierung erlebt.

STANDARD: Oh je. Wie das?

Hochgatterer: Im Sommer musste ich die Blumen in den Fensterkisterln gießen. Ich habe die Fuchsien nie gemocht, meine Mutter hatte aber unglaublich viele, die blühten hysterisch vor sich hin. Ich habe sie nicht vertrocknen lassen, sondern ganz kräftig gegossen. Ganz, ganz kräftig.

STANDARD: Lindgren mögen Sie wegen Pippi Langstrumpf und Prinz Mio aus "Mio, mein Mio".

Hochgatterer: Ja. Sein Kampf gegen den bösen Ritter Kato ist nichts anderes als ein Kampf gegen den Impuls sterben zu wollen. Das Buch ist von solch trauriger Sehnsucht nach Unerfüllbarem erfüllt, das hat mich als Kind total getroffen. Mit dieser Sehnsucht müssen wir ja alle unser Leben lang umgehen, wir haben ständig Sehnsucht nach Dingen, die nie in Erfüllung gehen können.

STANDARD: Sie wollten schon früh Arzt werden, aber auch immer schreiben? Hatte mit Ihrem Vater zu tun, er hat Biologie und Deutsch unterrichtet ...

Hochgatterer: Ja, da war immer beides. Im Frühling sind wir immer auf die Wiese gegangen und haben ganz bestimmte Blumen gesucht. Da waren wir dann glücklich, dass wir daheim einen Lerchensporn, eine Kreuzblume oder einer der seltenen heimischen Orchideen in die Vase stellen konnten.

STANDARD: Ich bin besser bei Schnittblumen. Es gibt österreichische Orchideen?

Hochgatterer: Wunderbare: zum Beispiel Hummel-, Bienen- und Fliegenragwurz, das sind kleine, insektenartig aussehende Orchideen.

STANDARD: Und der Sommer begann damit, dass Ihre Mutter Holzwolle unter den Erdbeeren verteilte.

Hochgatterer: Woher wissen Sie das? Ja, so hat sich bei uns der Sommer angekündigt.

STANDARD: Ich will gern über die Seele und das Erzählen mit Ihnen reden. Früher haben Sie damit gehadert, Arzt und Schriftsteller zu sein, jetzt haben Sie sich damit abgefunden?

Hochgatterer: Ja, seit einiger Zeit entziehe ich mich dem Paradigma, dass man sich, wenn man zwei Fähigkeiten hat, für eine entscheiden muss. Die Abwehr des Verlustes, die Sehnsucht nach dem, was ich mir versage, wäre viel zu anstrengend.

STANDARD: Eine platte Frage, aber: Ist das Schreiben für Sie eine psychohygienische Maßnahme, um Ihre Erlebnisse als Kinder- und Jugendpsychiater zu verarbeiten?

Hochgatterer: Das zu sagen wäre Rationalisierung. Es steckt einfach beides in mir. Aber sicher ist es so, dass das, was ich schreibe, angereichert wird mit dem, was ich als Arzt erlebe. Und umgekehrt: Was ich aus meinem Schreiben gewinne, bedeutet Gewinn für meine Arbeit als Arzt.

STANDARD: Weil Sie vom Unerfüllbaren sprachen: Auch Ihre Geschichten haben oft einen offenen Ausgang. Es stört Sie nicht, wenn die Leser nur eine Ahnung vom Ende haben?

Hochgatterer: Nein. Am besten ist eine Ahnung, die man eigentlich gar nicht haben will. Wenn meine Geschichten das bewirken, bin ich zufrieden. Genau das will ich.

STANDARD: Warum?

Hochgatterer: Weil das Leben so ist: voller ungewisser Ausgänge und voller losen Enden.

STANDARD: Die manche ganz gern zusammen knüpfen würden.

Hochgatterer: Ja, so wie man's in der Volksschule gelernt hat: Unter jede Hausübung eine Zierleiste.

STANDARD: Oh, da kommt Ihre Katze. Ist das Mimi?

Hochgatterer: Ja.

STANDARD: Sind Katzen Anarchisten?

Hochgatterer: Unsere nur ein bisschen, aber prinzipiell ja. Katzen sind Anarchisten. Warum?

STANDARD: Weil Anarchie zu Ihrem Lieblingsmädchen, Pippi Langstrumpf, passt.

Hochgatterer: Stimmt. Wäre Pippi Langstrumpf ein Tier, wäre sie ohne Zweifel eine Katze.

STANDARD: Sie sind Arzt und Schriftsteller, schreibende Ärzte haben es Ihnen früh angetan. Im Gymnasium haben Sie über HNO-Facharzt Arthur Schnitzler geschrieben: in Reimen.

Hochgatterer: Versmaß von Anatol.

STANDARD: Friedrich Schiller war ja auch Arzt ...

Hochgatterer: Angefangen hat das mit den schreibenden Medizinern beim Evangelisten Lukas.

STANDARD: Schiller holte sich in Deutschlands Sümpfen Malaria.

Hochgatterer: Mit den Krankengeschichten meiner Kollegen habe ich mich nicht beschäftigt. Aber Malaria gab es ja lange in Europa.

STANDARD: Warum ich drauf komme: In Österreich wurden Heimkinder in den Sechzigern von Ärzten mit Malaria infiziert. Eine Fortsetzung des Systems der Nazis?

Hochgatterer: Das ist grauenhaft. Da kommt einiges zusammen, auch Moralmangel spielt eine Rolle. Da waren Menschen am Werk, die sich über die Folgen für die Kinder gar keine Gedanken gemacht haben oder denen es egal war, wenn die elend draufgingen. Und es betrifft ein System, das immer sehr viel mit Macht zu tun hatte und gewohnt war, nicht hinterfragt zu werden: Mediziner waren die Götter – heute sind sie es viel weniger, aber immer noch. Die Frage, welche Medikamente gebe ich einem Kind, muss ich mir auch als Kinderpsychiater ständig stellen.

STANDARD: Heutzutage besonders, wenn doch die Zahl der so genannten hypermotorischen Kinder und das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS anscheinend überhand nehmen.

Hochgatterer: Sie sagen es: anscheinend. Sehr oft sind ja die Medikamente vor der Diagnose da. Das entspringt dem Bedürfnis nach schnellen Lösungen.

STANDARD: Ist doch zeitgemäß, oder?

Hochgatterer: Ja, sehr zeitgemäß und sicher nicht im Sinn von Kindern, denen genau das fehlt, was in der Diagnose steht, aber aus der Gegenrichtung: Aufmerksamkeit. Die müssten die anderen für das Kind aufbringen – und nicht umgekehrt.

STANDARD: Sie haben in einer Vorlesung von einem kleinen Buben berichtet, der im Kindergarten laut Kindergärtnerin auffällig wurde, weil er nicht spielen wollte, sondern nur nachdachte. Was ist aus ihm geworden?

Hochgatterer: Ein Philosoph natürlich. Es gibt doch nichts Herrlicheres als denkende Kinder. Die Frage nach der Wertigkeit des Originalgedanken interessiert mich aber auch wissenschaftlich-historisch.

STANDARD: Das könnten Sie mit dem deutschen Ex-Minister Theodor von Guttenberg trefflich diskutieren.

Hochgatterer: Genau. Wenn man sich die Wissenschaft anschaut, Publikationen und Dissertationen, fragt man sich schon: Was ist aus dem Originalgedanken geworden? Da gibt es ja hauptsächlich eine Aneinanderreihung von Zitaten aus teils fragwürdigen Quellen.

STANDARD: Und warum erzählen Sie so gern?

Hochgatterer: Weil es für mich das Schönste im Leben überhaupt ist. Mir wurde in meiner Kindheit viel erzählt, mir wird jetzt in meinem Beruf ständig erzählt. Früher oder später erzählen ja die meisten Kinder, wobei es schon auch welche gibt, die gar nicht oder nur ganz karg erzählen können. Ihre Lebensgeschichten und Familien zeigen, dass narrativ nie etwas in sie hinein gekommen ist.

STANDARD: Wohl unabhängig von der sozialen Herkunft?

Hochgatterer: Sicher, es gibt Kinder, deren Umgebung von Wohlstand und Reichtum gekennzeichnet ist und denen gar nichts erzählt wird. Aber noch zu Ihrer Frage nach dem Erzählen: Ich mache mir gerne Vorstellungen, male mir gern etwas aus, habe gern innere Bilder. Das bewirkt Erzählung: Man macht sich eine Vorstellung vom Erzählten. Kinder mögen das, das Bedürfnis danach muss aber auch gefüttert werden.

STANDARD: Die "NZZ" schrieb, Sie fischten im Trüben der österreichischen Seele. Fischen Sie nicht in der trüben österreichischen Seele?

Hochgatterer: Die österreichische Seele ist nicht viel trüber als die deutsche, italienische oder polnische. Volksseelen haben immer viel mit Geschichte zu tun.

STANDARD: Das heißt, die NS-Zeit lastet noch auf unserer Seele?

Hochgatterer: Ganz sicher, überhaupt so lange die Leute von damals noch leben. Oft erzählen die erst im Alter. Womit wir bei der Notwendigkeit des Erzählens wären, weil Erzählen auch heilt.

STANDARD: Mir fällt auf, dass Politiker und Manager sich die Seele lieber frei sporteln: beim Marathon, im Fitnessstudio, in den Bergen. Kaum wer erzählt oder schreibt.

Hochgatterer: So wird nur weggeschoben. Bedrängende Inhalte mit anderen Mechanismen los zu werden als durch eine Form des Erzählens hat verleugnenden, verdrängenden Charakter. Ich für mich mag das nicht.

STANDARD: Sie gehen aber selbst viel Skifahren und in die Berge, am liebsten ja ins Gesäuse ...

Hochgatterer: Ja, ich gehe dort wandern. Aber ich schreibe ja trotzdem.

STANDARD: Wie beschreiben Sie die österreichische Seele? Gerade jetzt, da Korruption aufbricht, die Causa Kampusch die Gemüter erregt. Sind die Österreicher hysterisch?

Hochgatterer: Es ist ein seltsames Gefühl der Gefährdung entstanden. Liegt vielleicht daran, dass es kaum Figuren gibt, die das Österreichische repräsentieren, wie einst etwa Kreisky. Aber mit Korruption, Voyeurismus, Packelei, paramafiosen Strukturen sind wir doch nicht allein in Österreich.

STANDARD: Es findet nur gerade alles so gleichzeitig statt.

Hochgatterer: Es geschieht doch in ganz Europa alles gleichzeitig.

STANDARD: Ehrensold und ...

Hochgatterer: ... Zapfenstreich. Aber in all dem sehe ich kein System. Was derzeit ein wenig verloren geht, ist die spezifische Ironiefähigkeit à la Qualtinger oder Karl Kraus, die es in Österreich immer gab. Da wurden Dinge aus einem anderen Winkel betrachtet.

STANDARD: Wobei man derzeit gar keine Eigenschaftsworte braucht, um Österreich zu beschreiben.

Hochgatterer: Es reicht, wenn man im Theater aus Akten zitiert. Das ist lustig genug. Das Phänomen zeigt sich schon darin, dass Kabarettisten derzeit die bekanntesten Kulturschaffenden sind.

STANDARD: Früher hatten wir Peymann ...

Hochgatterer: ... heute Scheuba.

STANDARD: Wie sieht der Psychiater diese seltsame Betroffenheit beim Fall Kampusch?

Hochgatterer: Von wegen Betroffenheit. Das muss ich schon sehr psychiatrisch sehen, dass man diese arme Frau nicht in Ruhe lässt. Die Dynamik ist einfach: Da gibt es eine seltsame Altherrengeilheit, die haben nichts Besseres zu tun, als sich vorzustellen, was in diesem Keller an unheimlich Sexuellem vorgegangen ist.

STANDARD: Wer kann das stoppen?

Hochgatterer: Ich weiß es nicht. Frau Kampusch sicher nicht, weil sie ist ausreichend lang und ausreichend heftig traumatisiert. Wenn Vertreter höchster Instanzen und Gerichtshöfe sagen, dass man die Frau nicht in Ruhe lassen darf, ist es echt schwierig.

STANDARD: Wie ordnen Sie all die Grassers und Hocheggers ein?

Hochgatterer: Als tiefenpsychologisch denkender Mensch sage ich so: Das sind Leute, die in ihrem Leben ein erkleckliches orales Defizit erwirtschaftet haben und nicht satt werden. Sie sind bestimmt durch Mechanismen von Gier und Neid und schaufeln in sich hinein, so viel geht. Satt werden sie aber nie, also kann man davon ausgehen, dass diese Leute nie zufrieden sind. Für die ist es nie genug.

STANDARD: Ein Trost für Redliche?

Hochgatterer: Ja, für Leute wie Sie und mich. Aber jemand mit Mindesteinkommen hat nichts davon, wenn er sich vorstellt, dass diese Leute trotzdem unglücklich sind. Denn der wäre mit einem Bruchteil von dem Vermögen glücklich, oder er glaubt das zumindest. Aber mit meiner Erklärung des oralen Defizits in der Kindheit spekuliere ich natürlich, ich weiß nicht, wie die Kindheit eines Autohändlersohnes oder eines heutigen Waffenlobbyisten verlaufen ist.

STANDARD: Mit dem Spekulieren reihen Sie sich ja bestens in diese Welten ein. "Die Menschen messen mit falschen Maßstäben, streben Macht und Erfolg an" statt die wahren Werte, sagte Sigmund Freud. Was sind die wahren Werte? Glaube, Liebe, Hoffnung?

Hochgatterer: Für einen am Land katholisch Sozialisierten ist es gefährliches Terrain, sich auf die wahren Werte fest zu legen. Wichtig sind Beziehungen, das, was Liebe heißt. Liebe ist ja ein Wort, das man sich heute kaum noch auszusprechen traut. Liebe ist ein wahrer Wert, so wie Freundschaft und Respekt vor anderen.

STANDARD: Was ist denn Ihr Luxus?

Hochgatterer: Bewegungsfreiheit. Die Freiheit, mich an jedem Punkt anders entscheiden zu können, etwas abzulehnen, Nein zu sagen.

STANDARD: Weil wir vorhin bei den Managern waren: Die geben diese Freiheit sehr schnell auf. Warum?

Hochgatterer: Ich glaube, man wird durch die Angst korrumpiert, Beziehungen und Zuwendung zu verlieren, wenn man Nein sagt. Oder es geht um Narzisstisches, also um die Angst um Verlust von Anerkennung und Öffentlichkeit oder ganz banal ums Materielle: um Geld. Aus dem Kulturbetrieb kenne ich Nein-Sager. Carlos Kleiber hat seinen Terminkalender nur ganz lose gefüllt, ist höchst ausgewählt aufgetreten, um zu dirigieren oder Platten aufzunehmen. Er hat sich durch den Druck, durch Usancen und Öffentlichkeit nicht korrumpieren lassen, aber er war auch kein Entscheidungsträger. In Wirtschaft und Politik ist das sicher kaum möglich, darum gibt es auch so viele kaputte Menschen dort.

STANDARD: Für den Unternehmenserfolg sollen narzisstische Chefs aber ganz gut sein.

Hochgatterer: Das weiß ich nicht, für die Mitarbeiter sind sie sicher nicht gut. Echte narzisstische Persönlichkeiten in Führungsjobs brauchen in ihrer Umgebung Leute, die sich unterwerfen, und ihnen die benötigte Anerkennung geben. Das wieder bedeutet, dass diese Leute geradezu das Gefühl haben müssen, dass sie die Größten, Besten und Schönsten sind.

STANDARD: Wenn sie dann in Pension gehen, tun sie sich extrem schwer, im Alltag ohne Sekretärin, Chauffeur und durch getakteten Terminkalender.

Hochgatterer: Oder sie landen in einer kardiologischen oder neurologischen Station.

STANDARD: Und warum ist es für viele so schwer, das Arbeitspensum auf erträglichem Maß zu halten?

Hochgatterer: Da wirkt die normative Kraft des Faktischen. Wenn etwas gleichmäßig passiert, adaptiert man sich. Das Leben verändert sich, man kommt in einen anderen Rhythmus, hält das, dem man sich ergibt, für normal. Alle Vielbeschäftigten leiden darunter – denken Sie nur an die Schwierigkeiten, die man mit einem freien Wochenende hat.

STANDARD: Es zu bekommen?

Hochgatterer: Zuerst, es zu bekommen, und dann sitzt man mit der Frau beim Frühstück und...

STANDARD: ... macht einen Plan.

Hochgatterer: Und am Ende streitet man, fällt in ein tiefes Loch. Für die Leistungsgesellschaft ist das Nichtstun etwas Bedrohliches.

STANDARD: Plädieren Sie deswegen dafür, dass Kinder ein gewisses Maß an Langeweile haben sollen?

Hochgatterer: Ja. Der Umgang mit Langeweile wird viel zu wenig geschult. Mein Szenario für Volksschulen: zwei Wochenstunden Nichtstun.

STANDARD: Tun Sie manchmal nichts?

Hochgatterer: Ja.

STANDARD: Was tun Sie dann?

Hochgatterer: lacht. Ich liege da hinten auf dem Sofa, schaue in den Himmel und beschalle mich momentan mit Otto Klemperers Vorspielen zu Wagner etwa. Oder mit Händels Julius Cäsar.

STANDARD: In Ihren Büchern spielt Musik eine große Rolle, da kommen aber eher Tom Waits oder Bob Dylan vor. Warum?

Hochgatterer: Das ist Musik, die mit Freiheit zu tun hat.

STANDARD: Und sonst tauchen noch Felsen, Wasser, Frühstück-Omelettes und rothaarige Frauen regelmäßig auf in Ihren Geschichten.

Hochgatterer: Wenn Sie Omelettes als pars pro toto für Essen meinen, ja. Ich esse sehr gern. Essen ist doch super. Oder? Nein?

STANDARD: Naja. Muss ich eigentlich zahlen, wenn ich hier rausgehe?

Hochgatterer: Aber nein. Die Liebe zu den Bergen und zum Wasser habe ich mir übrigens aus meiner Kindheit bewahrt, das ist ein Akt der Selbstfürsorge. Ich finde es sehr wichtig, sich jene Dinge bewusst ins Leben zu holen, die man in seiner Kindheit sehr angenehm fand. Man kann das tun – oder sich vom Leben auffressen lassen.

STANDARD: Und die Rothaarigen?

Hochgatterer: Habe ich immer super gefunden, wenngleich ich keine rothaarige Frau geheiratet habe. Rothaarige Frauen, wie meine Lieblingsfigur Pippi Langstrumpf, haben meist etwas Ungezügeltes, Wildes – das gefällt mir sehr gut.

STANDARD: Und woher kommt ihre Vorliebe für Whiskey?

Hochgatterer: Die habe ich mir selbst beigebracht. Ein guter Whiskey ist für mich wie ein Zuckerl. Und auch da steckt ein Phantasma dahinter, das mit Freiheit zu tun hat. Da denke ich an Schottland und die Isle of Skye, an das Grün, Basaltfelsen, den Atlantik, kleine weiße schottische Häuser und Schafe auf der Straße. Pathetisch, aber schön.

STANDARD: Warum kommt eigentlich Gott fast nie vor in Ihren Geschichten?

Hochgatterer: Gott kommt doch ständig vor. In Form von Priestern, Kirchen, Kirchtürmen – in meinem katholisch-niederösterreichisch geprägtem Leben spielt Gott auch eine wichtige Rolle. Zumal ich Kirchen sehr liebe, als Bauwerke.

STANDARD: Ich mag die Otto-Wagner-Kirche am Steinhof in Wien am allerliebsten.

Hochgatterer: Stimmt, das ist eine schöne Kirche. Und es ist zutiefst Wienerisch: eine solche Kirche mitten in einem psychiatrischen Krankenhaus.

STANDARD: Sie sagen, das Einzige, worauf wir uns verlassen können, sei das Unbewusste. Wie soll das funktionieren?

Hochgatterer: Das ist erstens eine kokette Behauptung und zweitens ein Paradoxon. Aber: Unbewusste Dinge leiten uns durchs ganze Leben. Man entkommt ihnen nicht, kann sich daher darauf verlassen.

STANDARD: Ist das beruhigend oder beunruhigend?

Hochgatterer: Beides. Beunruhigend, weil es zeigt, dass manches, was wir von uns selbst glauben, nichts anderes ist als Illusion.

STANDARD: "Es kann aber auch alles ganz anders sein", sagte Alfred Adler.

Hochgatterer: Ein beruhigender Satz. Er illustriert, was ich mit Freiheit meine.

STANDARD: Worum geht's im Leben?

Hochgatterer: Um die Liebe. Und um den Tod.

(Renate Graber, DER STANDARD, 17./18.3.2012)