Stuttgart/Wien - Null Grad kaltes Wasser und null Grad kaltes Eis haben einen Unterschied von 80 Grad - zumindest energetisch gesehen. Der Effekt, der beim Übergang vom flüssigen in den festen Aggregatzustand von Wasser frei wird, nennt sich Kristallisationswärme. Hier wird die gleiche Energiemenge frei, die verfügbar wird, wenn Wasser von 80 auf null Grad abgekühlt wird. Und die ist ziemlich groß.
Dieses Phänomen hat Heiko Lüdemann nicht erfunden. "Das hat schon die Natur gemacht." Der Geschäftsführer des deutschen Unternehmens isocal HeizKühlsysteme aus Friedrichshafen ist mit seiner Firma aber der Erste, der die daraus gewonnene Energie in großem Maß nicht nur nützen, sondern in einem Betonspeicher auch lagern kann. SolarEis heißt sein umweltschonendes und CO2-neutrales System, mit dem er Gebäude im Winter durch Eis heizen kann. Das thermische Abfallprodukt, das nach einem langen Winter zurückbleibt, wird im Sommer gratis zum Kühlen verwendet.
Fünf Energiequellen
Erneuerbare Energieformen rücken aufgrund der Kosten von Strom, Gas und Öl in den Fokus. "Wenn die nicht so hoch wären, würden wir jetzt nicht miteinander reden", sagt Lüdemann. Denn SolarEis, das in einem Kreislauf fünf regenerative Energiequellen nützt (siehe Infobox), kann in der Anschaffung nicht mit einer Ölheizung mithalten. Bei einem Einfamilienhaus mit 150 m2, rechnet Lüdemann vor, ist für ein konventionelles Ölsystem mit 31.000 Euro ohne Mehrwertsteuer zu rechnen. SolarEis kommt mit Erdarbeiten, Wärmepumpe, und anderen Nebengeräuschen auf rund 37.000 Euro."Bleiben die Preissteigerungen bei Strom, Gas, Öl und Pellets aber weiter bestehen, wird dieser Unterschied in fünf bis sieben Jahren ausgeglichen", sagt Lüdemann.
Derzeit machen beim geschilderten Einfamilienhaus mit konventioneller Heizung die Energiekosten zwischen 1400 und 1700 Euro aus. "Beim System SolarEis ist man derzeit mit rund 550 Euro im Jahr dabei." Die Kosten bei der Heizung sind nur noch für den Betrieb der Wärmepumpe notwendig. Die Erdarbeiten für den Betonspeicher sind zudem genehmigungsfrei, weil er nur wenige Meter tief in den Erdboden eingelassen wird.Das Eis, das nach dem Winter zurückbleibt, kann in der wärmeren Jahreszeit kostenlos verwendet werden. Lüdemann: "Im Einfamilienhaus spielte das bisher keine große Rolle. Erst langsam kommen die Menschen drauf, dass sie im Sommer mit unserem Eis gratis eine Klimaanlage zur Verfügung haben."
WM-2022-Stadien kühlen
Bei Großprojekten wie Rechenzentren, Hotels oder Bürogebäuden ist der Klimatisierungsbedarf weit höher. Die Gebäude können über Fußbodenheizung, Klimadecken oder Gebläse gekühlt werden. Das Unternehmen Isocal wurde 2005 von Lüdemann und seinem Geschäftspartner Alexander von Rohr gegründet. Mehr als 200 SolarEis-Anlagen wurden seit der Entwicklung des Systems mit 17 Mitarbeitern realisiert, vorwiegend im Bereich Einfamilienhäuser mit Betonspeichergrößen von 12 Kubikmeter (12.000 Liter) Wasser. Allein 2012 rechnet Lüdemann mit 520 Aufträgen: Mit dem Milliardenunternehmen Viessmann wurde im Oktober 2011 eine Kooperation eingegangen, das SolarEis in sein Programm aufgenommen hat.
Ein Großprojekt setzte Lüdemann schon in Köln um, 150 Wohnungen werden mit SolarEis geheizt und gekühlt. "Der Eiswürfel hat ein beeindruckendes Ausmaß von zehn mal zehn mal fünfzehn Meter." In Hamburg wird bald ein Komplex mit 466 Wohnungen versorgt. Einen Traum will sich Lüdemann aber 2022 verwirklichen: SolarEis soll die Stadien bei der Fußball-WM in Katar kühlen. (David Krutzler, DER STANDARD, 17./18.3.2012)