Podgorica - Die montenegrinischen Gewerkschaften und die NGO "MANS" (Netz für Stärkung des nichtstaatlichen Sektors), eine der führenden nichtstaatlichen Organisationen im Lande, mobilisieren wieder einmal gegen die Regierung von Premier Igor Luksic. Seine Regierung hat nach Meinung von MANS-Leiterin Vanja Calovic bisher weder bei der Lösung von schwierigen Wirtschaftsproblemen noch bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität Resultate erzielt, auch wenn sie sich dies zu ihren Prioritäten setzte.

"Setzt Luksic sein leeres Gerede fort, wird er durch anhaltende Proteste in Bälde dazu gezwungen werden, den Hut zu nehmen", meinte Calovic in einem Telefongespräch mit der APA vor einer für den Sonntag von den Gewerkschaften, der MANS und der Studentenunion einberufenen Protestkundgebung in Podgorica. Der 35-jährige Politiker der Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) ist seit gut einem Jahr im Amt, welches er nach dem Rücktritt seines Parteichefs und Langzeitpremiers Milo Djukanovic angetreten hatte.

Bei einem ähnlichen Protest im Jänner versammelten sie bereits einmal rund 10.000 Demonstranten. Damals ging es eigentlich nur um einen Protest gegen die Erhöhung der Strompreise um sieben Prozent. Inzwischen wurden die Forderungen erweitert. Calovic rechnet mit einer noch größeren Demonstrantenzahl. Montenegro hat etwa 650.000 Einwohner.

"Wir haben 20 Jahre lang geschwiegen, über die Wirtschafts- und Sozialthemen wurde nie gesprochen. Nun ist es an der Zeit dafür", sagte die MANS-Leiterin. Der größte Industriebetrieb, der Aluminiumproduzent in Podgorica, der vor Jahren zu 65 Prozent an eine Tochterfirma des russischen Oligarchen Oleg Deripaska verkauft wurde, steckt in Finanznöten.

Die Schulden des Betriebes mit 1.200 Beschäftigten belaufen sich auf rund 350 Mio. Euro. Die Regierung hatte vor zwei Jahren dem Unternehmen Kreditgarantien in Höhe von 132 Mio. Euro erteilt. Rund 46 Mio. Euro sind heuer fällig. Der Zusammenbruch des Unternehmens, der vom Staat inzwischen zur Hälfte wieder zurückübernommen wurde, könnte auch Staatsbankrott zur Folge haben, befürchtet Calovic.

"Niemand in der Regierung will sagen, wer für die KAP-Verluste verantwortlich ist". Die Kreditmittel wurden ganz gewiss nicht in den Betrieb investiert, behauptet die MANS-Leiterin. Hinter der Situation im Aluminiumbetrieb vermutet sie eine enorme Korruptionsaffäre. Namen nannte sei keine.

DPS-Chef Djukanovic, der bis Ende 2010 fast 20 Jahre lang ununterbrochen im Amt des Regierungs- und Staatschefs verbrachte, gilt weiterhin als Drahtzieher in Podgorica und einer der reichsten Montenegriner. Sein Vermögen wurde in einem Bericht investigativer Journalisten bereits vor Jahren auf gut zehn Millionen Euro geschätzt.

Mit seinen relativ niedrigen Einnahmen im Premiers- bzw. Präsidentenamt war dies kaum zu erklären. Gegen den Politiker wurde in Italien wegen Zigarettenschmuggels in den 1990-er Jahren ermittelt. Seine Amt sollte ihn vor Anklage geschützt haben. Auch die engsten Verwandten des Premiers, Bruder Aleksandar und Schwester Ana, aber auch Sohn Blazo, derzeit noch Student, können ein beträchtliches Vermögen vorweisen.

Man wolle Behörden haben, die ihren Bürgern gegenüber verantwortlich sind und nicht mehr solche, vor welchen sich Bürger fürchten und die das Land in Staatsbankrott führen. "Hat Premier Luksic den Mut, die Gewalt aus den Händen der Organisierten Kriminalität zu übernehmen, so wird er unsere Unterstützung haben", sagte Calovic.

Am Sonntag wollen die Gewerkschaften und die MANS nicht nur die Senkung von Strompreisen fordern, sondern auch Auflösung von korrupten Privatisierungsverträgen und die Feststellung der Verantwortung aller Beteiligten fordern. Auch ihr Vermögen soll unter die Lupe genommen werden. Gefordert wird auch mehr Medienfreiheit. Vor gerade zehn Tagen wurde eine Journalistin der regierungskritische Tageszeitung "Vijesti" vor ihrem Wohnhaus in Podgorica attackiert und verprügelt. Der Angreifer wurde erst einige Tage später gefasst, nach täglichen Protesten von Journalisten.

Der Protest im Jänner hatte, wie auch Calovic gegenüber der APA feststellte, keine Resultate gezeitigt. Proteste würden dauern, bis es zu ernsten Änderungen komme, unterstrich die MANS-Leiterin. Dafür wird eine "breite gesellschaftliche Front" notwendig sein, ist sie überzeugt. Die Zeit der politischen Führer, wie Djukanovic einer war, sei vorbei.

Calovic wurde nach den Jänner-Protesten von Ministerpräsidenten Luksic zuerst beschuldigt, sich entgegen der Normen für nichtstaatlichen Organisationen in die Tagespolitik eingemischt zu haben. Vor dem nun anstehenden Protest erklärte der Premier diese Woche im Parlament, dass es sich eigentlich um eine Unterstützung für die Regierungsarbeit handeln würde. In der Tat sind die Ziele dieselben, nur werden diese nach Meinung von Calovic und den Gewerkschaften von der Regierung nicht verfolgt.

Eine Umfrage legte im Februar an den Tag, dass sich Calovic bei den Landsleuten unterdessen einer großen Popularität erfreuen kann. Ihre Arbeit wurde von drei Vierteln der Befragten positiv bewertet. Sie verstehe die Umfrageergebnisse als Unterstützung für ihre Organisation. In die Politik wolle sie aber trotzdem nicht gehen, sagte sie.

"Es ist an der Zeit", steht auf den Plakaten, mit welchen der Protest am kommenden Sonntag angekündigt wird. Dazu ist eine Faust zu sehen, ähnlich jener der einstigen serbischen Studentenbewegung "Otpor". Durch eine Performance vor dem Regierungsgebäude warben MANS-Anhänger diese Woche für ihren Protest. Es gilt, bei den Landsleuten auch die Angst zu brechen. Viele fürchten, dass sie durch die Teilnahme am Protest ihren Job in Gefahr bringen könnten. Gut 18 Prozent von knapp 240.00 erwerbsfähigen Montenegrinern sind derzeit arbeitslos. (APA, 17.03.2012)