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80.000 Menschen weltweit leben mit einem Chip im Gehirn. Die meisten davon leiden unter Morbus Parkinson, einer Erkrankung die im fortgeschrittenen Stadium mit überschießenden Bewegungen im Wechsel mit völligen Bewegungsblockaden einhergehen kann. Lassen sich die motorischen Probleme medikamentös nicht mehr beherrschen, kann die tiefe Hirnstimulation die quälenden Bewegungsstörungen reduzieren und die Lebensqualität der Patienten damit deutlich verbessern. 

Auch in der Behandlung anderer neurologischer Krankheitsbilder, die mit chronischem Zittern, anhaltenden Muskelkontraktionen oder wiederholten unkontrollierbaren Bewegungen einhergehen, hat sich die tiefe Hirnstimulation weitgehend etabliert. Und mittlerweile zeigen kleine Fallstudien auch in der Therapie psychiatrischer Erkrankungen, wie Depressionen oder Zwangserkrankungen, vielversprechende Ergebnisse.

Patient ist munter

Im Fokus der Behandlung stehen immer krankhafte überaktive Nervenzellen im Gehirn, die durch elektrische Stimulation gezielt lahmgelegt werden. Damit der Neurochirurg das korrekte Areal nicht verfehlt wird, wird der Kopf des Patienten zuvor in einem stereotaktischen Rahmen fixiert. Der Patient selbst ist während des Eingriffs munter und kann über etwaige Wirkungen und Nebenwirkungen sofort berichten. Anschließend wird in Vollnarkose ein Hirnschrittmacher (Neurostimulator, elektrischer Impulsgeber, Anm. Red.) unter der Haut, meist unterhalb des Schlüsselbeins implantiert und über ein dünnes Kabel mit den Elektroden im Gehirn verbunden. Hochfrequente elektrische Impulse sorgen anschließend für eine Normalisierung der Aktivität in den entsprechenden Hirnarealen. 

Welcher Wirkungsmechanismus dazu führt, ist noch weitgehend unbekannt. Ebenso wenig weiß man bis heute darüber, welchen Einfluss das neurochirurgische Verfahren auf emotionale und kognitive Hirnfunktionen nimmt.

Reversible Psychochirurgie

Der unmittelbare Eingriff in einem Organ, das mit der Persönlichkeit und Identität eines Menschen am engsten verknüpft ist, gibt jedoch berechtigten Anlass zur Sorge, weckt das Stichwort Psychochirurgie doch Erinnerungen an Walter Freeman, einem amerikanischen Psychiater, der in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zu trauriger Berühmtheit gelangte. Er avancierte die Lobotomie - ungeachtet der fatalen Konsequenzen für die Patienten - zu einer populären Standardmethode in der Psychiatrie. 

"Moderne Stimulationsverfahren bieten den Vorteil, dass sie reversibel sind", weiß Hans Peter Kapfhammer, Leiter der Universitätsklinik für Psychiatrie an der Medizinischen Universität in Wien. Genau genommen, handelt es sich bei der tiefen Hirnstimulation also um keine psychochirurgische Methode, denn die Elektroden, die zuvor über Bohrlöcher in der Schädeldecke im Gehirn platziert werden, können Neurochirurgen jederzeit wieder entfernen. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme zulässig, dass eventuell auftretende Persönlichkeitsveränderungen nach Beseitigung des Hirnschrittmachers auch wieder verschwinden.

"Wie definiert sich überhaupt Persönlichkeit", ist für Kapfhammer eine grundlegende Frage, die er sich im Zusammenhang mit der Anwendung der tiefen Hirnstimulation stellt. Ob Verhaltensänderungen gleichzusetzen sind mit dem Wandel einer Persönlichkeit und inwiefern dieser operative Eingriff den Lebensweg eines Menschen entscheidend verändert, darüber wird in Fachkreisen immer wieder diskutiert. Schwierig ist auch zu beurteilen, ob die Entwicklung einer Depression oder aggressives, manisches oder wahnhaftes Verhalten auf die Ursprungserkrankung oder aber auf die Hirnstimulation selbst zurückzuführen sind.

Der Einzelfall verpflichtet

Die Indikation zur tiefen Hirnstimulation gilt es in jedem Fall kritisch und unter Einbezug ethischer Aspekte zu stellen. Wie diffizil das sein kann, weiß der Grazer Facharzt für Psychiatrie und Neurologie aus der eigenen Praxis zu berichten: "Ich kenne Patienten, die leben seit 20 Jahren den schwersten Verlauf einer Zwangserkrankung. Sie sind in allen Lebensbereichen massiv reduziert, haben alle gängigen Psychopharmaka eingenommen und sämtliche psychoanalytische und verhaltenstherapeutische Interventionen absolviert - alles ohne Erfolg". Ein sogenannter "informed consent" (Einwilligung nach Aufklärung) ist in solchen außergewöhnlichen Lebenslagen vermutlich schwer möglich. Viel eher werden Betroffene für die kleinste Chance auf Besserung alles tun. "Im Einzelfall lässt sich deshalb eine schwierige klinische Herausforderung nicht ideologisch beantworten. Hier steht vielmehr die Überlegung im Vordergrund, wie kann ich dem Patienten helfen", betont Kapfhammer. Als Standardtherapie will er die tiefe Hirnstimulation deshalb nicht etabliert wissen, im Einzelfall hält er es aber für verpflichtend diese Methode anzuwenden. "Wichtig ist, dass die Auseinandersetzung mit diesen Problemen nach der Implantation nicht erledigt ist", konstatiert Kapfhammer abschließend und fordert im Anschluss an die tiefe Hirnstimulation eine psychosoziale, psychologische und psychiatrische Begleitung für die Patienten. (Regina Philipp, derStandard.at, 19.3.2012)