"Feinstaub-Konzentrationen zwischen 20 und 40 Mikrogramm pro Kubikmeter, die wir in Graz oder Wien messen, spüren Sie gar nicht", sagt der Lungenfacharzt Horst Olschewski im Gespräch mit derStandard.at.
Vergangene Woche hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) den Umweltausblick 2050 herausgegeben (siehe Bericht). Aufgrund der drastisch steigenden Umweltbelastung könnte sich die Zahl der Feinstaub-Toten bis 2050 verdoppeln, heißt es in der Studie.
Obwohl die Zahl der Feinstaub-Toten nicht messbar sei, gebe es bei hoher Feinstaub-Belastung trotzdem statistisch mehr Tote, sagt Olschewski. Warum es gefährlicher ist, bei hoher Feinstaub-Belastung in einem verrauchten Kaffeehaus zu sitzen, als im Freien Sport zu betreiben, erklärte er Marie-Theres Egyed.
derStandard.at: Die OECD hat eine Studie herausgegeben, wonach 2050 die Zahl der Feinstaub-Toten doppelt so hoch sein wird wie heute. Ist das eine seriöse Angabe?
Olschewski: Die Angabe ist seriös, aber es ist schwierig, etwas mit der Angabe anzufangen. Man weiß nicht genau, wie viele Feinstaub-Tote es gibt. Außerdem geht man bei der Berechnung von der weltweiten Belastung aus. Das heißt noch lange nicht, dass es für uns lokal 1:1 übertragbar ist.
derStandard.at: Inwiefern?
Olschewski: Man rechnet damit, dass die Weltbevölkerung wächst und auch der Lebensstandard massiv wachsen wird. Damit ist ein hochgradiger Anstieg des CO2-Ausstoßes verbunden – weil dann viel mehr Menschen Heizungen haben und Autos fahren. Diese Prognose trifft auf Österreich überhaupt nicht zu. Hier wird bis 2050 die Bevölkerung schrumpfen und der Lebensstandard bestenfalls erhalten bleiben. Die OECD Prognose betrifft vor allem Afrika und Asien, wo die Bevölkerung schnell wächst und im Lebensstandard sicherlich sehr viel Potenzial nach oben vorhanden ist.
derStandard.at: Kann man die Zahl der Feinstaub-Toten direkt feststellen?
Olschewski: Nein. Kein Mensch kann das, das ist völlig unmöglich. Man kann nur statistische Schätzwerte angeben.
derStandard.at: Man kann Feinstaub nicht direkt als Todesursache festmachen?
Olschewski: Nein, im Einzelfall kann man das nicht. Wenn jemand an einer Herz-Kreislauf- oder Lungenkrankheit stirbt, kann man so diesen Tod nicht direkt und unmittelbar auf Feinstaub zurückführen. Man hat dagegen große epidemiologische Berechnungen in den USA und in Europa durchgeführt, wo man ausgerechnet hat, dass Feinstaub mit erhöhter Sterblichkeit assoziiert ist. Das ist ein Ergebnis, das von allen Experten akzeptiert wird, da gibt es keinen Zweifel. Dort, wo Menschen in schmutziger Luft leben, werden sie nicht so alt. Dafür gibt es auch einen mathematischen Zusammenhang: 3,5 Prozent mehr Sterblichkeit pro 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter.
derStandard.at: Was bedeutet das auf eine Stadt wie Wien oder Graz umgelegt?
Olschewski: Wenn man das auf eine kleinere Population überträgt: In Graz sterben alle 14 Tage durchschnittlich ca. 100 Personen, das ist normal. Unter dem Einfluss von Feinstaub, wenn also die Werte zwei Wochen lang um 50 Mikrogramm pro Kubikmeter erhöht sind, wären 3,5 Prozent mehr Tote zu erwarten, also 103,5 Menschen. Der Anstieg ist aber im Vergleich zu den normalen Schwankungen von Woche zu Woche so gering, dass man ihn bei einer Population in der Größe von Graz nicht sicher statistisch erfassen kann. Das heißt, wir können zwar sicher sagen, Feinstaub erhöht die Mortalität, aber für eine Einzelperson bedeutet das überhaupt nichts.
derStandard.at: Können trotzdem Auswirkungen auf die Gesundheit festgestellt werden? Wenn ich jetzt in Graz oder in Wien wohne, wie stark spüre ich die Feinstaub-Belastung?
Olschewski: Gar nicht. Feinstaub-Konzentrationen zwischen 20 und 40 Mikrogramm pro Kubikmeter, die wir in Graz oder Wien messen, spüren Sie gar nicht. Wenn Sie eine Diskothek besuchen, wo geraucht wird, haben Sie eine Feinstaub-Konzentration von 16.000 Mikrogramm pro Kubikmeter, das spüren Sie. Das ist eine echte Belastung für den Körper, das ist unmittelbar gesundheitsschädigend. Die Belastungen im Außenbereich haben aber keinen unmittelbar bedrohlichen Charakter.
derStandard.at: Können Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Lungenkrankheiten durch Feinstaub ausgelöst werden?
Olschewski: Es gibt Krankheiten, die können definitiv durch gestimmte Feinstäube ausgelöst werden, wir sagen dazu "inhalative Noxen" (Stickoxide, Anm.). Das sind insbesondere Zigarettenrauch und Dieselruß, aber auch Asbest, Hartmetalle oder Holzrauch. Daneben gibt es natürlich die allergischen Reaktionen der Lunge, die zu Asthma aber auch zu Lungengewebserkrankungen führen können. Daran gibt es keinen Zweifel. Wenigen Leuten ist bewusst, dass Zigarettenrauch purer Feinstaub ist. Die Feinstaub-Konzentration, die der Raucher zu sich nimmt, ist exorbitant hoch. Die übersteigen das, was wir in der Umwelt haben, um das Tausendfache. Aber auch der Passivraucher atmet sehr hohe Feinstaub-Konzentrationen ein.
derStandard.at: Wenn ich bei hoher Feinstaubbelastung auf der Straße einatme, was löst das in meiner Lunge aus?
Olschewski: Wir atmen kontinuierlich außer reiner Luft irgendetwas ein – die feinen Teile bezeichnet man als Feinstaub. Das passiert ständig, im Wald, auf der Straße oder wenn Sie zu Hause einen Kuchen backen. Davon werden Sie nicht gleich krank. Wir wissen von ganz wenigen Dingen, die wir einatmen, dass sie wirklich krank machen. Besonders relevant ist Zigarettenrauch. Das kann man auch direkt beweisen. Bei anderen Dingen, die auch als Feinstaub mitgezählt werden, wissen wir nicht, ob sie wirklich krank machen. Feinstaub ist etwas, was wir bequem messen können, aber wir kümmern uns nicht primär darum, woraus er besteht. Wir zählen einfach nur die Teilchen. Da sind Teilchen dabei, die krank machen, und andere, die nicht krank machen.
derStandard.at: Was passiert mit dem eingeatmeten Feinstaub?
Olschewski: Man hat experimentell festgestellt, dass eine eingeatmete Substanz direkt in die Blutbahn kommen kann. Das gilt nicht nur für Substanzen, die sich chemisch lösen lassen, sondern wahrscheinlich auch für feinste Partikel, die unlöslich sind. Wenn auch solche Partikel in die Blutbahn gelangen und überall hinkommen – also ins Herz, ins Hirn oder auch in die Nieren – dann haben sie das Potenzial, die Gefäßfunktion zu stören. So kann man sich vorstellen, dass vielleicht ein Zusammenhang zwischen den eingeatmeten Partikelchen und dem Herzinfarkt bestehen kann. Das heißt aber noch lange nicht, dass das der entscheidende Mechanismus ist. Die Evidenz für die Partikel ist viel geringer, als die Bevölkerung glaubt.
derStandard.at: Bei hoher Feinstaub-Belastung wird davon abgeraten, im Freien Sport zu betreiben. Wie bewerteten Sie Feinstaub-Warnungen?
Olschewski: Man muss schon ziemlich hohe Konzentrationen haben, damit sie einen unmittelbar krank machenden Effekt haben, wie bei einem Disco-Besuch. Was wir aber an nebeligen Tagen in Städten vorfinden, 60, 70, 80 oder 120 Mikrogramm pro Kubikmeter, das ist nicht wahnsinnig hoch. Wenn die Leute drinnen bleiben und rauchen, haben sie eine weit höhere Belastung.
derStandard.at: Würden Sie die Feinstaub-Belastung in Wien oder Graz als unbedenklich einstufen?
Olschewski: Nein, das würde ich nicht. Wir haben ja den Beweis, dass Feinstaub mit Mortalität zusammenhängt. Natürlich würde ich mir wünschen, dass es überhaupt keinen Feinstaub gibt und wir nur saubere Luft einatmen. Man wünscht sich aber auch, dass trotzdem die Wirtschaft nicht zusammenbricht. Man muss also mit Kompromissen arbeiten. In all unseren Städten gibt es Kompromisslösungen. Wenn wir vom Verkehr als Feinstaubquelle reden, bezieht sich das vor allem auf Dieselfahrzeuge, die keinen Partikelfilter haben. Da gehören leider auch Busse dazu, aber auch Kleinlastwagen, die die Läden beliefern. Mir fehlt dagegen jedes Verständnis, warum es in Österreich immer noch erlaubt ist, in öffentlichen Gaststätten das Personal und die anderen Gäste mit Zigarettenrauch zu schädigen. (Marie-Theres Egyed, derStandard.at, 19.3.2012)