Doctorella: "Drogen und Psychologen"
ZickZack 2012
Verkaufsstart: 30. März

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Doctorella: Geben als musikalische ApothekerInnen Sorge und Heilung.

Foto: Robin Hinsch

Bands mit "starken Frauen"? Gibt's doch heute zur Genüge. Der Mainstream-Pop ist voll weiblicher Popstars, die mehr oder weniger eigenständig im Musikbusiness bestehen. Im Indie-Bereich sieht die Sache allerdings schon wieder anders aus, vielleicht auch deshalb, weil extensives Sexting oder "eine schöne Stimme" hier nicht den Gradmesser jeglichen Erfolgs darstellt. Was hier zählt, ist der Pop-Entwurf.

Allein auf weiter Flur

Die Zwillinge Sandra und Kerstin Grether haben mit ihrem neuesten Band-Projekt Doctorella einen solchen vorgelegt, der noch dazu unverwechselbar ist. Seit drei Jahren spielen sie mit Doctorella Konzerte im deutschsprachigen Raum, nun kommt Ende März endlich ihr erster Longplayer "Drogen und Psychologen" auf dem Hamburger Label ZickZack heraus.

Die Grether-Schwestern sind im deutschen Pop nicht irgendwer. In den 90ern heuerten sie als blutjunge Teenagerinnen bei der "Spex" an und prägten damit eine linke Poptheorie mit, später wechselten sie selbst auf die Produzentinnen-Seite: Kerstin Grether als Romanschriftstellerin (u. a. "Zuckerbabys") und Sandra Grether als Frontfrau von Parole Trixi, einer deutschen Version von Riot Grrrl. Mit der Band Doctorella haben die Zwillingsschwestern künstlerisch wieder zusammengefunden.

Sorge und Heilung

Wie der Name schon sagt, hat die Band etwas mit Sorge zu tun. Aber auch mit Heilung. Das Rezept von Doctorella für den anstrengenden Hürdenlauf des Lebens und die vielen verlorenen Stunden auf der Schaukel lautet dabei Wünschen und Träumen.

Aber es ist nicht nur die Utopie, die sie umtreibt, sondern auch die Benennung der Verhältnisse. Doctorella leben in einer "bitterkalten Welt", die das Eis in uns nicht zum Schmelzen bringt. "Wir wollten keinen Ich-bezogenen Jammerscheiß abliefern, sondern auch eine Analyse treffen", betont Sandra Grether im Gespräch mit dieStandard.at.

Die Reichen tragen Schwarz

In ihren klugen Beobachtungen zum Status quo bekommen auch Gruppen ihr Fett ab, über die ansonsten selten gesprochen wird. In "Die Reichen tragen Schwarz" etwa treffen sie Aussagen über Reiche, wie es diese normalerweise über andere tun: "Wer reich sein will, muss leiden. Und sich stets düster kleiden. Reich mag's edel und speziell. Die Reichen haben ein schwarzes Fell."

Keine Zeit für Retro-Trends

"Drogen und Psychologen" versteht sich als Album im Hier und Jetzt, weit entfernt von den endlosen Retro-Schleifen, die die Charts derzeit dominieren. Tatsächlich liegt die musikalische Stärke des Albums darin, dass es sich eben nicht dezidiert einem musikalischen Genre verschreibt, sondern sich im besten Sinn als zeitloser Schlager-Pop weiterentwickelt.

Mehrere Jahre hat die Band in unterschiedlichen Besetzungen an den Stücken gefeilt. Der deutsche Popmusiker Jens Friebe und auch Andreas Spechtl von Ja, Panik! waren vorübergehend dabei, mit Mesut Molnár am Schlagzeug und Jakob Groothoff am Bass konnte schließlich eine dauerhafte musikalische Basis geschaffen werden.

Dank der Produktionsweise, die die Stimmen der beiden Sängerinnen mitten ins Geschehen hängt, kommen die Lyrics bei Doctorella zu ihrem Recht. "Voll und andächtig", nennt das Sandra Grether. Den Worten ist anzuhören, dass sie länger auf dem Köcher standen, damit die HörerInnen die "Little Helpers" des Lebens leichter schlucken können - nachzuhören etwa in dem melancholischen Liebeslied an die Großstädte dieser Welt, "Liebe Stadt" (siehe Video links).

Dornröschen, bleib wach!

Die Uneindeutigkeit und Zerdehnung von Klischeebildern ist die Königsdisziplin von Doctorella. Einmal geben sie sich mädchenhaft zart, dann wieder monströs, in einem Moment beschwören sie Romantik, um im nächsten Moment desillusioniert über alle Formen des menschlichen Zusammenlebens zu wettern. Ihre utopischen Ansprüche kleiden sie unter anderem in märchenhafte Metaphern ("Lass uns Märchenwesen sein"), um die Freundin oder den Freund im nächsten Moment abzumahnen: "Dornröschen, bleib wach!"

Als Frau universell sprechen

Den künstlerischen Bezug auf "Mädchenwelten" haben Doctorella bewusst gewählt. "Ich finde es traurig, dass auf Mädchenkultur herabgeblickt wird", betont Sandra. Sie und ihre Schwester mögen süße Engelsfiguren, die Farbe Rosa und Fantasiewesen. Sie stehen aber auch auf die Strokes, The Knife und Velvet Underground. Auf eine Reduzierung durch die Journaille als "Mädchenrock" oder "Mädchenmusik" (wie jüngst in einem Feature der "Zeit" zum Thema Frauenrock geschehen) haben sie deshalb keine Lust. Im Gegenteil: "Für mich bedeutet Pop-Feminismus, dass ich universell sprechen darf und alles darf! Und alles tun darf, was auch die männlichen Musiker dürfen. Dazu gehört eben auch, dass man die Kindheit eines Menschen, die eine Kindheit als Mädchen war, in einem Lied benennen darf, ohne dass es eine 'Mädchenplatte' ist."

Auf "Drogen und Psychologen" erzählen die Grether-Schwestern und ihre Band, was es heißt, sich als Individuum in dieser brutalen Welt durchzukämpfen. Allen Weisheiten von Drogen, PsychologInnen und SoziologInnen kehren sie den Rücken, wenn sie im titelgebenden Stück mit stolzer Brust verkünden: "Drogen und Psychologen, ihr habt mich nur belogen! Von nun an bis in alle Ewigkeit. Ich hör nur noch auf mich!" 

"Starke Frauen"

Als "starke Frau" im Pop- und Rockbusiness zu gelten ist den Grether-Schwestern nicht genug. Die Musikerinnen wollen weder auf ihr Geschlecht noch auf ihr Alter oder ihre Herkunft reduziert werden. Und brechen damit eine leidenschaftliche Lanze für einen radikalen Individualismus, dessen Einforderung in Zeiten von alles dominierendem ExpertInnen-Wissen auch wieder an politischer Brisanz gewinnt. Doctorella holen uns aus dem Irrenhaus! (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 21.3.2012)