Einig in ihrer Ablehnung des "Kriegs gegen den Terror", geteilter Meinung zur US-Position über die modernen Kriegsverbrechertribunale: Manfred Nowak (li.), David Scheffer (re.).

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Das Gespräch führte Irene Brickner.

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STANDARD: Nach dem ersten Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag gegen den Kongolesen Thomas Lubanga kam Kritik auf, dass dieses Verfahren zu lange gedauert habe. Stimmt das?

Scheffer: Ja, aber dafür gibt es Erklärungen. Etwa, dass es weit langwieriger ist, Verbrechen dieser Größenordnung zu untersuchen als etwa einen normalen Mord. Und dann war da auch das angriffige Vorgehen der Verteidigung - aber das ist meines Erachtens eine positive Nachricht. Es zeigt, dass am ICC die Beschuldigtenrechte ernst genommen werden.

STANDARD: War das Verfahren zu teuer?

Scheffer: Sicher nicht. Was ist das für ein Argument, zu kritisieren, dass ein Verfahren wegen systematischen Massenmords zu viel Geld kostet, wenn wir gleichzeitig fordern, dass einzelne Verbrechen in unserer Nachbarschaft minutiös untersucht werden? Die Kostenstruktur der ICC ist transparent und umfasst alles, von der Miete für das Gerichtsgebäude bis zu den Verteidigerhonoraren. Eine vergleichbare Kostenwahrheit wie beim ICC gibt es in österreichischen Verfahren wohl nicht.

Nowak: Entweder wollen wir diese internationale Gerichtsbarkeit gegen die extremsten Formen von Grausamkeit, oder wir wollen sie nicht. Wenn ja, so kostet das Geld. Die Prävention durch Urteile wie gegen Lubanga ist nicht zu unterschätzen. So kommt dieses Gericht weit billiger, als wenn man Staaten nach Bürgerkriegen beim Wiederaufbau helfen muss.

STANDARD: Woher kommt Ihres Erachtens die Kritik an der Internationalen Strafgerichtsbarkeit - etwa aus den USA, die unter Präsident George W. Bush die Zustimmung Bill Clintons zum ICC widerrufen haben?

Scheffer: So einfach ist das nicht, denn die USA haben selbst in der Bush-Ära die sogenannten hybriden, also nur auf Zeit angelegten Tribunale zu Ex-Jugoslawien oder Sierra Leone weiter unterstützt. Es war vielmehr der ICC, der Bush ein Dorn im Auge war. Er misstraute dem Konzept, das hinter diesem Gerichtshof steht, weil er darin eine Gefahr für die Souveränität der USA sah - etwa in Zusammenhang mit Militäraktionen. Immerhin würde dadurch eine Auslieferung amerikanischer Staatsbürger an Den Haag theoretisch möglich. Nur ist das nicht mein Problem, wir haben damals die Wahlen gegen Bush verloren ...

Nowak: Aber davor haben Sie als Sonderbotschafter Bill Clintons doch die völlig gleichen Positionen vertreten.

Scheffer: Das ist viel zu kurz gedacht. Unter Clinton ging es um eine grundlegende Frage des Vertragsrechts: dass man einem Vertrag, dem man nicht beitritt, nicht unterworfen sein kann.

STANDARD: Diese Position gilt im Grunde bis heute. Die USA haben das Römische Statut seit 2002 nicht ratifiziert. Herr Nowak, passt das zu Ihrer in Ihrem Buch vertretenen Ansicht, dass die ersten zehn Jahre des dritten Jahrtausends ein für Menschenrechtsfragen verlorenes Jahrzehnt waren?

Nowak: Ja - aber da hat einiges zusammengespielt. Es begann mit 9/11 und dem "Krieg gegen den Terror", der von den USA daraufhin als Verteidigungsstrategie ausgerufen wurde. Dadurch rückten die Millenniumsziele in den Hintergrund. Aber auch abseits von Bush oder dem autoritär agierenden russischen Präsidenten Wladimir Putin gab es in diesen Jahren, im Unterschied zu den 1990ern, keine substanziellen Verbesserungen im internationalen Menschenrechtsschutz.

STANDARD: Kritisiert wurde vor allem die Aufweichung des Folterverbots unter Bush. Es wurde wieder von "legaler Folter" bei Terrorverdächtigen gesprochen. Haben wir das inzwischen wieder überwunden?

Nowak: Einigermaßen, denn unter US-Präsident Barack Obama gibt es keine Rendition Flights, also geheimen Auslieferungsflüge, und Geheimgefängnisse auch nicht mehr. Und sollte Obama es schaffen, nochmals Präsident zu werden, so kann ich mir sogar vorstellen, dass er auch die angehäuften Defizite der USA beim internationalen Menschenrecht angeht. Also dass er etwa das Römische Statut oder die Kinderrechtskonvention ratifiziert.

Scheffer: Obama hat sehr viel aufzuholen, denn dass sich die USA nach 9/11 in die Niederungen sogenannter legaler Folter begeben haben und dass es Guantánamo gab, muss man als enorme Rückschritte begreifen. Wie tief das ging, zeigen die Änderungen in den Lehrplänen über Internationales Recht, wie ich es unterrichte: In den 1990er-Jahren hielt sich niemand lang beim Folterverbot auf: Dass keine Folter stattfinden darf, schien klar. Heute handelt wieder ein ganzes Kapitel von Fallbetrachtungen zu diesem Thema.

STANDARD: In Europa wird vielfach auch die Todesstrafe in eine Reihe mit Folter gestellt, weil sie die ausgeprägteste Form erniedrigender, unmenschlicher und grausamer Bestrafung sei. Wie sieht der US-Menschenrechtsstandpunkt dazu aus

Scheffer: Wie viele meiner US-Kollegen auch teile ich diesen Standpunkt. Das Problem ist, dass die USA in dieser Frage extrem gespalten sind. Etliche Bundesstaaten haben die Todesstrafe schon verboten, auch der Supreme Court hat differenzierte Urteile zum Thema gesprochen. Aber die Spaltung geht tief in die Gesellschaft hinein, Staat steht hier gegen Staat, NGO gegen NGO.

Nowak: Immerhin hat weltweit die Mehrzahl der Staaten die Todesstrafe abgeschafft oder außer Kraft gesetzt. Angewendet wird sie nur mehr in 23 Ländern. Für mich ist diese Entwicklung einer der wichtigsten Gründe, um optimistisch zu sein, was die globale Menschenrechtslage angeht.

STANDARD: Kann man solchen Optimismus beibehalten, wenn man, wie Sie beide in Ihren internationalen Funktionen, wiederholt Zeuge der Folgen extremer Grausamkeiten wird?

Scheffer: An Grausamkeit gewöhnt man sich nie, vor allem jene gegen Kinder. Und wenn ich mir etwa das Videomaterial über Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folterungen aus Syrien vergegenwärtige, die ich mir jüngst ansehen musste: Das ist nicht auszuhalten, auch nach vielen Jahren der Erfahrung nicht.

Nowak: Das kann ich nur bestätigen. Ich zum Beispiel habe als einen der schlimmsten Orte ein Kindergefängnis in Kasachstan in Erinnerung behalten, wo die jüngsten drei und die ältesten 16 waren. Sie alle wurden regelmäßig geschlagen. So etwas vergisst man nie. (DER STANDARD, 20.3.2012)