Eine verträumte israelische Regierung wäre vermutlich begeistert gewesen von Kofi Annans Vorschlag, eine UN-Friedenstruppe in den Nahen Osten zu schicken. Bedeutet er doch, dass Israels Wehrdienstleistende in Eilat das Sonnenbaden trainieren könnten, während mongolische und Schweizer Blauhelme ganz neutral die UN-Pufferzone nach palästinensischen Terroristen absuchen. Eine bewaffnete UN-Truppe mit einem "starken Mandat", eine "Koalition der Bereitwilligen" (Annan), die nach dem Vorbild der Kosovo-Mission den Nahen Osten befriedet. - Träumen wir diesen Traum von einem Israel, das sein Militär stillhält und sich von der UNO in Frieden und Sicherheit behüten lässt, ruhig noch ein bisschen weiter:

Hand in Hand stehen "Bereitwillige" entlang der grünen Grenze. Ein lückenloser Schutzwall, der sich jede halbe Stunde dreht, um den Blick schön paritätisch einmal ins israelische Kernland und einmal in die palästinensischen Autonomiegebiete richten zu können. Normale Schulterbreite und ein bisschen Freiraum vorausgesetzt, müssten dafür 365.000 Mann Tag und Nacht nebeneinander rund ums Westjordanland stehen. Vielleicht singen sie ab und zu ein Lied. Und sollte sich trotzdem ein Hamas-Fanatiker zu seinen 72 schwarzäugigen Jungfrauen ins Paradies bomben wollen, könnte er dies nur in der Pufferzone tun. Er würde anhalten vor der Mauer aus Blauhelmen und risse nicht mehr willkürlich israelische Linienbuspassagiere mit in den Tod, sondern Mitglieder der Friedenstruppe - etwa aus Kiel oder Bad Honnef. Welch starke Geste der Versöhnung: Deutsche Soldaten geben ihr Leben zum Schutz jüdischer Zivilisten.

Spätestens jetzt müsste der Wecker klingeln, uns aus den Träumen reißen und Kofi Annan daran erinnern, dass Termine bei den Vereinten Nationen warten. Denn was Annan da letzte Woche in der israelischen Tageszeitung Ha'aretz vorschlug, ist "keine gute Idee" - um es in den vorsichtig gehässigen Worten der israelischen Regierung zu sagen. Selbst wenn die Konfliktparteien, die laut Annan ohne Hilfe von außen zu keiner friedlichen Lösung fähig sind, in einem plötzlichen Ohnmachtsanfall der UN-Mission zustimmen würden - aus welchem Land sollten die Freiwilligen kommen? Es dürfte schwierig sein, Truppen zu finden, denen nicht eine Seite - zu Recht oder zu Unrecht - argwöhnisch gegenübersteht. Vielleicht könnte man sich auf die vollkommen neutrale Armee des Inselparadieses Polynesien einigen.

Albtraum

Doch damit gingen die schwierigen Fragen erst los. Wo sollen die Polynesier stationiert sein? Im Westjordanland als Schutzstaffel für einen noch zu gründenden Palästinenserstaat? Davon kann nur träumen, wer noch immer nicht den Unterschied verstanden hat zwischen dem legitimen Wunsch der Palästinenser nach Selbstbestimmung und dem illegitimen Terror der palästinensischen Radikalen. Sie zu bekämpfen wäre Aufgabe der palästinensischen Regierung. Sharons Jagd auf Hamas-Terroristen dient dem Frieden nicht. Blauhelm-Schutz für Hamas-Terroristen allerdings auch nicht.

Nichts anderes aber würde die Friedenstruppe aus israelischer Sicht leisten, es sei denn, Annan verlangt von den armen polynesischen Soldaten, sie sollten anstelle der Israelis unter Feuer in Jenin nach Terroristen suchen. Dann wiederum wäre für die Palästinenser wenig gewonnen - die Besatzung bliebe, nur von anderen Truppen. Also läuft Annans Idee darauf hinaus, die Blauhelm-Kämpfer auf dem Terrain Israels zu stationieren - und zwar gegen dessen erklärten Willen. Ein Albtraum.

Vermutlich erscheint uns darin ein extra dafür gebauter rot-grüner Flugzeugträger mit dem Namen "Käthe Kollwitz", der deutsche Marschflugkörper auf Tel Aviv schießt. Im Sinne des Friedens.

Die Forderung nach einer UNO-Truppe in Nahost ist nicht neu, und sie ist schon einmal sehr treffend zurückgewiesen worden. Im November 2001 sagte Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland: "Wer soll uns so eine Truppe aufzwingen? Die Wehrmacht?"

Primor ist ein Linker. Ein Freund von Ehud Barak, jenem früheren Premiers, der den Palästinensern die weitest gehenden Zugeständnisse in der Geschichte dieses unseligen Konfliktes angeboten hatte. Primor sagte auch, solange der Eindruck der ganz normalen Israelis bestehe, dass die Palästinenser ihnen jederzeit und an jedem Ort nach dem Leben trachten, werde es keinen Frieden geben.

Konkret heißt das: Die palästinensische Gesellschaft muss nachweisen, dass sie die friedliche Koexistenz will und Selbstmordattentäter ablehnt. Sie muss das Vertrauen zurückgewinnen, das Israels Linke wegen des Terrors verloren hat. Denn Frieden im Nahen Osten rückte immer dann näher, wenn der Druck einer friedensbereiten Mehrheit in Israel die eigene Regierung zum Einlenken brachte. Wer aufgezwungene Blauhelm-Missionen fordert, erreicht das Gegenteil. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.6.2003)