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Peter Habeler (hier mit Reinhold Messner): "Das Besondere an den Besteigungen von Messner und mir war eben die Tatsache, dass wir alles selbst geschleppt und den westalpinen Stil nach Asien exportiert haben."

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Peter Habeler in den Stubaier Alpen 2011.

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In der Nordwestwand des Hidden Peak.

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Am Hidden Peak, (Gasherbrum1), Karakorum, 8068 m.

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In Nepal.

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Am Cholatse, Nepal.

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Im Khumbu-Eisbruch mit Reinhold Messner 1978.

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In den Zillertaler Bergen, 2011.

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In der Olperer Nordostwand, Zillertal.

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"Die Höhe ist ein Luder, der mangelnde Sauerstoffdruck ein schleichendes Gift", sagt Extrembergsteiger Peter Habeler, der gemeinsam mit Reinhold Messner 1978 als erster Mensch ohne Zuhilfenahme von Flaschensauerstoff und Träger mit dem Mount Everest das Dach der Welt erreicht hat. Der Zillertaler spricht im Interview über 8.000er-Besteigungen, über seine Leidenschaft, das Gehen, seine Bekanntschaft mit einer Lawine, die ihn 380 Meter in die Tiefe riss, ein Schockerlebnis beim Klettern in der Wand, den Berg-Tourismus am Everest, die Vorteile des Alpinstils, den Klabautermann, die Ängste am Berg und den inneren Schweinehund. Warum er nicht alle 14 Achttausender besteigen wollte, warum er von Winterbesteigungen im Karakorum eher abrät und und was es zu tun gilt, wenn es ans Eingemachte geht, erläutert der Bergführer und Skilehrer im Gespräch mit Thomas Hirner.

derStandard.at: Sie sind schon als elfjähriger Knirps steile Wände hochgeklettert. War das bereits die Initialzündung zu Ihrer Karriere als Extrembergsteiger?

Peter Habeler: Ich glaube schon. Ich hatte das Glück, dass ich sehr gute Lehrer hatte. Das ist die halbe Maut. Es hat Bergführer oder Bergrettungsleute gegeben, die wussten, dass ich gerne gehe, und so hat sich das gesteigert. Ich habe als Kind alles gelernt, was ich später auf den hohen Bergen brauchte. Den Instinkt vor allem, der wird einem mitgegeben, die Kondition, die Ausrüstung. Und ich hatte die besten Seilpartner der Welt, einen Messner, einen Marcel Rüedi, und dann ergibt sich einiges, was man sich nicht vorstellen hätte können.

derStandard.at: Sie gelten als Pionier unter Extrembergsteigern, haben 1978 gemeinsam mit Reinhold Messner als erste Menschen den höchsten Punkt der Erde (Mount Everest) ohne Zuhilfenahme von Flaschensauerstoff und ohne Träger erreicht und insgesamt fünf Achttausender erklommen. Wie viel bedeutet Ihnen diese herausragende Leistung?

Habeler: Wir waren nicht besonders stolz und müssen auch heute nicht besonders stolz sein, dass wir das geschafft haben, aber es ist eine gewisse Genugtuung. Wir wollten probieren, ob es machbar ist. Der Everest ist fast 9.000 Meter hoch, das muss man sich einmal vorstellen. Wir waren in eine Mannschaft des Österreichischen Alpenvereins eingebunden. Reinhold und ich hatten aber sehr viele Freiräume und konnten letztendlich das tun, was wir wollten, nämlich frei gehen ohne Flaschensauerstoff. Man darf aber nicht vergessen, dass auch davor schon Sherpas oder auch Hermann Buhl 1953 (Erstbesteigung des 8.125 m hohen Nanga Parbat, Anm.) ohne zusätzlichen Sauerstoff über 8.000 Meter gewesen sind und das auch geschafft hätten, was wir geschafft haben, nur bei uns hat es sich eben ergeben.

derStandard.at: Messner und Sie haben auf Sherpas verzichtet. Wie war das möglich?

Habeler: Messner und ich wollten die Zweierseilschaften perfektionieren. Man braucht nicht viel, ein paar Gaskartuschen, einen Schlafsack, ein winziges Zelt und ein bisschen was zum Essen. Man isst in der Höhe kaum, die Nahrungsaufnahme beschränkt sich im Wesentlichen auf Flüssigkeit, Suppen, ein Stück Brot oder Käse meinetwegen. Vieles der Ausrüstung trägt man am Körper, den Rest hat man in einem kleinen Rucksack. Das Besondere an den Besteigungen von Messner und mir war eben die Tatsache, dass wir alles selbst geschleppt und den westalpinen Stil nach Asien exportiert haben. Voraussetzungen sind: gute Kondition, Vertrauen in den Partner, Schnelligkeit und die Bereitschaft, umdrehen zu können. Das konnte Messner und das habe auch ich gewusst. Es geht nicht darum, wie ein Depperter zu powern, sondern darum, über die Lagerkette möglichst schnell zum Gipfel und wieder zurück zu kommen. Nimmt man keinen Sauerstoff mit, so erspart man sich einiges. Die zwei Sauerstoffflaschen, die Regulatoren und der ganze Krimskrams wiegen pro Mann zehn Kilo.

derStandard.at: Verspürten Sie auch den Reiz, alle 14 Achttausender zu besteigen?

Habeler: Nein, das hat mich nie gereizt! Ich bin nie ein Sammler gewesen. Ich bin Bergführer geworden und begeisterter Bergsteiger und gehe oft auf die gleichen Gipfel. Bei Reinhold war das ein bissl anders, er hat sich das zum Ziel gesetzt. Er hätte mich sicher gerne dabei gehabt, aber ich hatte auch meine Familie und ich musste unbedingt wieder zurückkommen. Das war wichtig. Später haben sich dann noch weitere Achttausender ergeben, der Nanga Parbat (1985), der Cho Oyu (1986) und der Kantschenzönga (1988), aber das ist nicht so wichtig.

derStandard.at: Demnach beneiden Sie auch Messner oder Gerlinde Kaltenbrunner für das, was sie erreicht haben, nämlich alle 14 Achttausender, nicht wirklich, oder?

Habeler: Keineswegs. Ich kenne den Reinhold natürlich gut, die Gerlinde kenne ich sowieso schon sehr lang. Ich schätze es sehr, was sie geleistet hat, das steht ohnehin außer Streit. Ich glaube, dass sich Höhenbergsteiger, die schon ein bisschen in der Nähe des Wahnsinns sind, da nehme ich mich auch nicht aus, nicht wirklich beneiden, die freuen sich. Mit Bedauern nimmt man zur Kenntnis, dass immer wieder etwas passiert, so wie jetzt mit Gerfried Göschl. Das hat einfach nicht wollen sein. Die Höhe ist ein Luder, die Höhe ist gefährlich, der mangelnde Sauerstoffdruck ein schleichendes Gift. Man kriegt das auch nicht richtig mit. Daher ist der Instinkt auch so wichtig. Wenn es wirklich ans Eingemachte geht, dann ist es gescheiter zurückzugehen. So wirklich wilde Hunde waren wir nicht, wir haben versucht, das Ganze realistisch zu sehen.

derStandard.at: Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Berg-Tourismus am Everest?

Habeler: Der Everest ist heute nicht mehr der gleiche Berg wie 1978. Der Berg ist sozusagen gefesselt. Der Normalweg ist heute ein Klettersteig. Fixseile wurden von unten bis zum Gipfel angebracht. Man hängt sich ein und schiebt sich hinauf. Wenn das Wetterfenster passt, dann sind schon mal hundert Leute gleichzeitig unterwegs, die alle Sauerstoff aus Flaschen nehmen. Wenn jetzt einer ohne zusätzlichen Sauerstoff unterwegs ist, dann hat er ein großes Problem, weil er nicht überholen kann und oftmals warten muss. Diese Problematik gibt es auch am Cho Oyu. Das einzig Positive daran ist, dass die Sherpas, die sich auf gut Deutsch den Hintern aufreißen, Geld verdienen können. Wenn man sich überlegt, dass es kolportierte 60.000 Dollar pro Mann kostet, den Everest zu besteigen, dann ist das schon ein Wahnsinn. Das alles gab es Gott sei Dank 1978 noch nicht, wir hatten Ruhe, waren frei und konnten uns am Berg bewegen, wie wir wollten. Das waren große Vorteile.

derStandard.at: Auf Ihrer Website findet sich das Zitat: "Der Everest ist nicht besiegt, nicht bezwungen worden. Er hat mich lediglich geduldet. Und wenn sich überhaupt von einem Sieg sprechen lässt, dann höchstens von einem Sieg über den eigenen Körper, über die Angst." Können Sie diese Strapazen und Ängste näher beschreiben?

Habeler: Ich habe damals gleich nach der Besteigung ein Buch mit dem Titel "Der einsame Sieg" geschrieben. Einen Berg kann man nicht besiegen, siegen kann man nur über den inneren Schweinehund. Das hat auch Viktor Frankl schon so treffend ausgedrückt, als er schrieb: "wer ist jetzt stärker, ich oder ich?" Reinhold war der Mastermind, das möchte ich klar sagen. Damals ging es darum, dass ich mir gesagt habe, ich schaffe das, ich kriege das hin. Ängste sind meist nur dann vorhanden, wenn man passiv ist. Wenn ich irgendwo im Zelt liege, draußen bei -35 Grad ein verheerender Sturm tobt, dann habe ich Angst vor dem nächsten Tag. Wenn dann aber die Sonne aufgeht oder ich weitermachen kann, ich also aktiv werde, dann ist die Angst weg, dann freut man sich über die eigene Leistungsfähigkeit, die prächtigen Farben, die man da oben sieht. Angst hat man natürlich schon auch, wenn man zum Beispiel am Nanga Parbat die gefährlichen Lawinenhänge quert.

derStandard.at: Die Suche nach dem vermissten Gerfried Göschl, der die erste Winterüberquerung des Hidden Peak schaffen wollte, wurde abgebrochen. Sie haben den Berg selbst bestiegen. Wie hoch haben Sie die Erfolgschancen dieses Unternehmens im Vorfeld eingeschätzt?

Habeler: Das ist eine tragische Geschichte. Für ihn selbst ist es vielleicht nicht so tragisch. Wenn etwas passiert, dann hockt man sich hin und erfriert. Das ist ein Tod, der nicht weh tut. Aber für die Leute zu Hause ist es am schlimmsten, das ist das große Problem.

Am Everest ist die Niederschlagsmenge nie so groß. Ganz im Westen des Karakorums aber kann es über Nacht schon mal einen Meter Schnee herhauen. Genau das ist vermutlich auch Gerfried zum Verhängnis geworden. Es ist wahrscheinlich, dass ihnen der viele Schnee, die Kälte und der Sturm einen bösen Streich gespielt haben. Wenn es einen Meter geschneit hat, dann muss man im Zelt bleiben, weil man nicht weiter gehen kann, wenn man bis zum Bauch einsinkt. Reinhold und ich haben die Wettersituation im Vorfeld immer am Höhenmesser abgelesen. Man kann sehr wohl erkennen, wie das Wetter am nächsten Tag wird, heutzutage noch viel genauer als früher. Ich will jetzt nicht besonders gescheit sein, aber ein Wettersturz kündigt sich eigentlich immer an und dann muss man schnell absteigen. Aber es kann auch passieren, dass man in den Sog hineingerissen wird, wenn man knapp unter dem Gipfel ist und noch vor Einbruch der Schlechtwetterfront versucht, rauf zu gehen.

derStandard.at: Sollte man von Winterbesteigungen von Achttausendern ob der zu erwartenden Kälte und Stürme nicht generell abraten?

Habeler: Sollte man, aber es ist eben eine Steigerung der momentan erreichten alpinen Ziele und es funktioniert ja auch manchmal. Das Winterbergsteigen im Karakorum ist viel schlimmer, als im Bereich des Everest. Es ist wahnsinnig kalt und die Stürme sind auch entsprechend. Das Winterbergsteigen ist aktuell ein Thema, aber es ist immens gefährlich. Bei -50 Grad kann man am Berg nichts mehr machen und man bekommt Probleme mit dem Zeitfaktor. Im Winter sind die Chancen, einen kalten Achttausender zu besteigen, eher gering. Die Polen und Tschechen haben mit Winterbesteigungen begonnen, weil die Gebühren im Winter wesentlich geringer sind. Aber die argen Minustemperaturen lähmen dich. Natürlich hat man heute eine gute Ausrüstung, die Daunenkleidung ist o.k., aber das Schuhwerk ist immer noch im Argen und die Kälte ist eine tödliche Gefahr.

derStandard.at: Ist Höhenbergsteigen nicht in gewisser Weise ein Spiel mit dem Tod und hat ein Extrembergsteiger ein anderes Verhältnis zum Tod als ein "gewöhnlicher" Mensch?

Habeler: Das könnte man schon so sagen, weil er dem Klabautermann in extremen Situationen schon zugeschaut hat. Man hat als extremer Bergsteiger vermutlich schon einen anderen Zugang zum Leben in den ewigen Jagdgründen, als jemand, der schon Angst hat, wenn er vor die Tür raus geht. Aber die von manchen Psychiatern nachgesagte Todessehnsucht ist natürlich ein Blödsinn. Man macht sich nicht gleich in die Hose, wenn etwas schief geht, man erlernt eine gewisse Gelassenheit zu bewahren. Viele meiner Bergkameraden sind mittlerweile gestorben, teilweise am Fels, teilweise im Eis, manche im Bett. Ich freue mich, dass ich noch da sein darf und ich freue mich über die vielen Schutzengel, die ich hatte.

derStandard.at: Beim Husten in großer Höhe soll es auch schon Rippenbrüche gegeben haben. Haben Sie Ihre extremen Abenteuer ohne bleibende Schäden wie abgefrorene Zehen überstanden?

Habeler: Gott sei Dank ja. Mir tut auch nichts weh, weder Kreuz, noch Knie, noch Hüfte und ich werde heuer 70. Aber ich war nie schwer, war immer ein schlechter Esser, das dürfte sich auch positiv ausgewirkt haben. Und der Vorbereitung habe ich immer wahnsinnig viel Zeit eingeräumt. Die Kondition, die emotionelle Freude und die Freundschaft zu den Kollegen muss passen. Die Kameradschaft geht am Everest langsam verloren, aber in den normalen Bergen wird geholfen, wenn jemand zu Schaden kommt, da braucht man gar nicht reden. Das ist eine Tugend, die nicht ganz verloren geht, so hoffe ich.

derStandard.at: Haben Sie selbst lebensbedrohliche Situationen am Berg erlebt?

Habeler: Ich bin 1984 mit einer Seilschaft in den Zillertaler Bergen von einer Lawine erfasst worden und runtergeflogen. Das war nach dem Versuch, den K2 zu besteigen. Ich bin nach Hause gekommen, habe gewusst, den K2 habe ich überlebt, die heimatlichen Berge sind easy, da kann uns nichts passieren. Durch die Unachtsamkeit eines zweiten Bergführers sind wir dann aber 380 Meter im Couloir hinuntergestürzt. Es hat uns regelrecht herumgeschleudert. Unterwegs habe ich versucht, mit dem Seil Halt an den Felsen am Rand zu finden um das ganze Fuhrwerk zu stoppen, was mir jedoch nicht gelungen ist. Wir waren dann alle mehr oder weniger unter dem Schnee begraben und einzementiert. Ich konnte mich ebenso wie der zweite Bergführer befreien und da wir alle angeseilt waren, konnten wir unsere drei Gäste rasch finden und ausgraben. Weil es Neuschnee war, sind wir auf dem Schneepolster abgerutscht. Zum Glück hatten wir keine Steigeisen an, sonst hätten wir uns gegenseitig aufgespießt. Abgesehen von Abschürfungen und Prellungen ist niemand von uns zu Schaden gekommen. Da hatten wir das Glück unseres Lebens.

derStandard.at: Beim Klettern haben Sie auch einen Absturz glimpflich überstanden ...

Habeler: Das war in der Mauk-Westwand am Wilden Kaiser, ein paar Wochen bevor ich mit Reinhold zum Hidden Peak flog. Ich bin mit der sehr talentierten italienischen Bergsteigerin Tiziana Weiss aufgestiegen und habe aus eigener Unachtsamkeit einen Griff ausgewählt, der ausgebrochen ist. Ich schlug nur einmal kurz auf, bin die ganze Seillänge also rund 50 Meter runtergefallen und dann draußen hängen geblieben. Dabei ist mir nichts passiert, außer dass ich einen Schock hatte. Ich konnte mich aus dieser misslichen Lage retten, Tiziana war schlimm im Gesicht und auch an den Händen verletzt, weil sie versucht hat, das Seil und somit mich noch zu halten. Dabei hat sie sich das ganze Fleisch von den Fingern abgeschert. Tiziana war damals sehr enttäuscht, dass der Habeler runterfliegt. Relativ kurz darauf ist sie aber bei einem Abseilmanöver aus fünf, sechs Metern zu Tode gestürzt.

derStandard.at: Muss sich ein Extrembergsteiger heutzutage immer extremere und lebensbedrohlichere Ziele auswählen um Sponsoren und neue Herausforderungen zu finden?

Habeler: Das ist schwierig. Es gibt heute super Bergsteiger und Kletterer und die brauchen Sponsoren, weil das alles viel Geld kostet. Ich glaube zwar nicht, dass es die Sponsoren davon abhängig machen, ob das Ziel oder der Gipfel erreicht wird, aber man muss beim Bergsteigen oft über sich hinauswachsen. Mittlerweile ist die Dichte sehr groß und die Leute sind sehr gut. Man braucht sich nur die Freerider anschauen, die die Felsen runterspringen, das ist ein Wahnsinn. Um Aufmerksamkeit zu erregen, wird man etwas tun müssen, was noch wilder und gefährlicher ist.

derStandard.at: Bergsteiger wollen immer weiter und höher hinaus. Ähnelt Bergsteigen nicht einem Suchtverhalten, vielleicht der Sucht nach Adrenalin?

Habeler: Das kann schon sein, ich habe es immer von der positiven Seite her betrachtet. Bergsteigen macht ein bissl süchtig, weil man mehr machen möchte und steiler klettern möchte. Reinhold und ich haben damals eine tolle Zeit gehabt, weil wir Neuland vorgefunden haben, nicht diese unglaublich extremen Sachen machen mussten, die heute gemacht werden, wenn jemand in zweieinhalb Stunden ohne Seil durch die Eiger Nordwand klettert. Das ist für mich schwer nachvollziehbar. Das sehen viele junge Leute und denken sich, hoppla, das kann ich auch, aber wie viel Training und Überwindung es braucht, ein ganz guter Kletterer zu werden, an das denken sie nicht.

derStandard.at: Die Berge und das Gehen sind Ihre Leidenschaften. Die Gründe dafür?

Habeler: Gehen ist die natürlichste Bewegung und man nimmt sehr viel wahr, weil man Zeit hat. Beim Gehen spüre ich meine Muskeln und es macht mir großen Spaß, wenn ich aufsteige oder spure. Die Muskeln werden angespannt und können dann wieder entspannen. Ich kann stehen bleiben, wann ich will und in die Landschaft schauen. Und das Gehen erfolgt in einer Geschwindigkeit, die dem Körper am besten zuträglich ist. Das Gehen ist Balsam für die Seele, aber ich bin kein guter Spaziergänger, das kann ich nicht verputzen. Ich denke beim Gehen schon an den alpinen Raum, an Hütten, Gipfel, Gletscher. Gehen ist Erholung. Es waren übrigens nicht die Leute aus den Bergen, die begonnen haben, die Berge zu erschließen, sondern die Leute aus Städten wie Wien, München oder Dresden, die den Wert des Gebirges erkannt haben. Man kann sich zurückziehen, Ruhe haben und sich erholen, weil da oben meist das Smartphone nicht mehr geht. Wichtig ist auch, dass man körperlich gefordert ist und wenn man nicht über Gebühr gefordert ist, dann schadet das auch dem Geist nicht. Wenn man es richtig angeht, dann passiert sehr viel Positives. Das Gebirge ist in der Tat ein Jungbrunnen.

derStandard.at: Inwieweit hat sich das Material in den letzten Jahrzehnten verändert und welchen Anteil hat es an den heutigen Gipfelsiegen?

Habeler: Man darf das nicht überschätzen. Das Material ist nur so gut wie der, welcher es benützt. Das wird heute manchmal vergessen. Die Seile sind schon entscheidend besser geworden, keine Frage, auch die Steigeisen, die Eisklettergeräte, die Pickel, die Helme, die Sicherungsbehelfe und das Schuhwerk sind viel besser geworden. Das Zwiebelschalen-Prinzip gegen die Kälte hat früher aber auch schon funktioniert. Heute ist die Ausrüstung viel leichter und nebenbei auch bunter. Viele argumentieren heute, dass sie ein Telefon mithaben und die Bergrettung anrufen können, wenn etwas passiert, aber das setzt voraus, dass man auch Empfang hat. Der wichtigste Teil beim Bergsteigen ist immer noch der Mensch und der muss besser sein als die Ausrüstung.

derStandard.at: Extrembergsteiger vollbringen außergewöhnliche Leistungen. Da drängt sich rasch die Vermutung auf, dass diese nicht nur durch Spaghetti und Müsliriegel möglich werden. Ist Doping in Bergsteigerkreisen ein Thema?

Habeler: Zu unserer Zeit war es das sicher nicht. Wir haben hin und wieder einen Schluck Schnaps getrunken. Die Leute, die ich kenne, die haben mit Sicherheit nicht gedopt. Als Hermann Buhl 1953 den Nanga Parbat bestieg, war er 49 Stunden vom letzten Lager bis zum Gipfel und wieder retour unterwegs und hat damals Pervitin, das auch schon im Krieg verwendet wurde, genommen. Buhl hat erwähnt, dass er ohne Pervitin nicht mehr zurückgekommen wäre. Wir haben uns aber eigentlich nie getraut. Ich weiß auch nicht, was es zu unserer Zeit gegeben hätte. (Thomas Hirner, derStandard.at, 22.3.2012)