Jens Hoffmann: Menschen, die primär suizidal sind, würden eher schneller aufgeben, als es Mohamed M. getan hat.

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Der Psychologe Jens Hoffmann studiert Amokläufer und Attentäter von Berufs wegen. Bei dem mutmaßlichen Toulouser Attentäter Mohamed M. deute vieles auf eine narzisstische, eventuell psychopathische Persönlichkeitsstruktur hin, sagt Hoffmann im Gespräch mit derStandard.at. Auch die "Shoot-out"-Selbstinszenierung am Ende verweise auf persönliche Motive. Die angeblichen politischen Motive würde dem Täter nur als Vehikel zur Selbstinszenierung dienen.

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derStandard.at: Der mutmaßliche Attentäter bekannte sich in einem Anruf bei einem französischen Fernsehsender. In einem umfangreichen und gewählt formulierten Gespräch informierter er die Journalistin in vielen Details über seine Taten und dass das noch nicht das Ende der Serie sei. Warum hat er das getan?

Hoffmann: Erst einmal ist es sehr zielorientiert, dafür zu sorgen, dass man als richtiger Urheber solcher Attentate identifiziert wird. Eine Strategie ist es natürlich, dass man detailliert seine Taten schildert. Was wir häufig sehen, ist, dass sich bei solchen Attentätern eine politische Motivation mit einer persönlichen Motivation vermischt. Es kann auch sein, dass eine narzisstische Dynamik bei Mohamed M. eine Rolle spielt. Wir sehen regelmäßig bei diesem Tätertypus, dass die Idee, ein bekannter Terrorist zu sein, der Furcht verbreitet, als aufwertend empfunden wird. Dieser Typus genießt es also, ein negativer Held zu sein, und geht davon aus, dass er auch nach seinem Tod jemand Besonderes sein wird.

derStandard.at: Kalkulierte er seinen Tod mit ein?

Hoffmann: Er hat das zumindest als Option gesehen. Ich bin mir aber unsicher, ob es Teil seines Plans war. Schließlich hat er doch sehr lange in diesem Haus ausgeharrt. Menschen, die primär suizidal sind, also keinen Lebensmut haben, depressiv sind, würden schneller aufgeben.

derStandard.at: In seinem Gespräch mit der Journalistin und mit der Polizei erwähnt Mohamed M., dass er plante, weiter zu töten. Ein unrealistischer Plan ab dem Zeitpunkt, an dem man sich zu erkennen gibt, oder?

Hoffmann: Einige dieser Täter haben Größenfantasien und denken gar nicht weiter nach. Dadurch, dass er in relativ kurzer Zeit ungehindert relativ viele Morde begehen konnte, hatte er vermutlich den Eindruck, dass er auch weiter damit durchkommt.

derStandard.at: Apropos Größenfantasien: Angeblich hat er die Taten auch gefilmt und wollte die Videos ins Internet stellen.

Hoffmann: Das ist leider eine unselige Entwicklung, die wir in den letzten Jahren bei Amokläufen oder terroristischen Attentaten verstärkt beobachten können. Auch Anders Breivik hat ja versucht, seine Taten zu filmen. Das ist ihm zum Glück nicht gelungen. Damit sollen mehrere Effekte erzielt werden: Einerseits wollen die Täter dadurch sich selbst und ihrer "Heldentat" ein Denkmal setzen. Es verleiht ihnen ein Gefühl von Macht und Kontrolle. Andererseits kann eine filmische Dokumentation auch als bewusste Einladung für eventuelle Nachahmungstäter gesehen werden.

derStandard.at: Sie erwähnten eine Kombination aus persönlichen und politischen Motiven, die bei diesem Tätertypus ausschlaggebend ist. Kann man sagen, ob eine dieser Komponenten überwiegt?

Hoffmann: Das ist schwierig zu sagen. Mein Eindruck ist aber schon, dass vieles bei diesem Täter auf eine narzisstische, eventuell psychopathische Persönlichkeitsstruktur hindeutet. Auch die "Shoot-out"-Selbstinszenierung am Ende deutet auf einen starken persönlichen Anteil hin.

Er wirkt zumindest nicht wie jemand, der gut in eine Terrororganisation eingegliedert ist. Wir sehen oft bei diesen einzeln vorgehenden Tätern, auch wenn sie zum Teil in Organisationen waren, dass sie sich nicht gut ein- oder unterordnen können. Sie sind zu selbstbezogen, zu "grandios" in ihren Augen. Sie nutzen die politische Sache nur als Vehikel, wie wir es auch bei Breivik in Norwegen gesehen haben. Für eine Gruppenaktion sind solche Typen häufig nicht geeignet.

derStandard.at: Aus dem Umfeld solcher Täter hört man häufig Sätze wie "Er war ganz normal", "Das hätten wir uns nie gedacht". Schaffen solche Attentäter es tatsächlich, sich unauffällig zu verhalten?

Hoffmann: Es muss nicht jeder Täter ein Monster oder dauernd aggressiv sein. Manche dieser Täter, gerade wenn sie eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur haben, haben ein Talent zur Selbstdarstellung. Aber Mohamed M. hat ja sehr wohl antisoziales Verhalten und Grenzüberschreitungen gezeigt.

derStandard.at: Nun werden wieder Forderungen nach politischen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund laut. Welche Rolle spielt eine gescheiterte Gesellschaftspolitik in solchen Fällen?

Hoffmann: Solche Taten sind natürlich hauptsächlich individuell begründet und nicht nur gesellschaftlich. In Deutschland zum Beispiel, vermutlich auch in anderen Ländern, haben wir aber seit dem 11. September 2001 verstärkt die Situation, dass die Bevölkerungsgruppe der Muslime als Ganze unter Generalverdacht steht und nicht wertgeschätzt wird. So eine negative Identität drückt natürlich und kann bei einigen wenigen Rachefantasien beflügeln.

derStandard.at: Wie soll man in so einer Situation als Staat reagieren?

Hoffmann: Sarkozys Statement, Religion und Terrorismus nicht zu vermischen, halte ich für sehr wichtig. Die "Überislamisierung" solcher Taten und die Dämonisierung des Islams halte ich für ein großes Problem. (Teresa Eder, Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 22.3.2012)