Bild nicht mehr verfügbar.

"Wenn die Fahndungsfehler im Wahlkampf Thema werden, kann Nicolas Sarkozy sagen, was er will, es wird ihm schaden", sagt SWP-Forscher Asiem El Difraoui im Interview.

Foto: REUTERS/France Television

Bild nicht mehr verfügbar.

Mohamed Merah gehört seiner Ansicht nach zu den "marginalisierten europäischen Jugendlichen, die auf Sinnsuche sind und sich von den Gesellschaften Europas entfremdet fühlen".

Foto: EPA/FRANCE 2 TELEVISION/HANDOUT EDITORIAL

"Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber die meisten islamistischen Terroristen haben etwas mit Salafisten zu tun gehabt."

Foto: www.swp-berlin.org

Mohamed Merah, der mutmaßliche Serienmörder von Toulouse, nannte sich selbst einen Islamisten, der mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida in Verbindung steht. Im Gespräch mit einer französischen Journalistin in der Nacht vor dem Polizeieinsatz kündigte er an, ein Video seiner Taten ins Internet zu stellen. Der deutsche Nahost-Experte Asiem El Difraoui hat dieser Tage Stress. Alle paar Minuten läutet sein Handy, seine Meinung ist gefragt. Seit Jahren erforscht er den Jihadismus im Internet, die Propaganda des islamistischen Terrors und den Einfluss der Salafisten in europäischen Moscheen. Auf der Website der renommierten Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik hat er erst im Februar ein Konvolut über die Web-Krieger veröffentlicht. Im Gespräch mit derStandard.at erzählt El Difraoui, der in Paris und Berlin lebt, vom propagandistischen Wirken der Gotteskrieger on- und offline.

***

derStandard.at: Als Reaktion auf die Anschlagsserie von Toulouse hat Frankreichs wahlkämpfender Präsident Nicolas Sarkozy angekündigt, Hassprediger im Internet stärker zu verfolgen. Bringt das etwas?

Asiem El Difraoui: Das ist reine Wahlkampfmanipulation. Frankreich hat genau wie Deutschland schon jetzt sehr harte Gesetze gegen Rassenhass und Aufrufe zu Gewalt. Diese Gesetze reichen völlig aus, um entsprechende Internetprediger zu bestrafen. Wer sich mit dem jihadistischen Internet beschäftigt hat, weiß, dass diese radikalen Webseiten seit Jahren von US-amerikanischen, europäischen und israelischen Behörden gehackt, gesperrt und infiltriert werden. Es ist aber nichts einfacher, als ein paar IP-Adressen zu ändern und die Server in die USA auszulagern, wo die größten jihadistischen Seiten untergebracht sind. Um gegen den Jihad vorzugehen, hilft vor allem Prävention, was aber eine langfristige Sache ist.

derStandard.at: Mohamed Merah soll weitgehend ohne jihadistische Strukturen gehandelt haben. Wie wird man denn zum Jihadisten?

El Difraoui: Oft einmal gehen diese Leute in einschlägige salafistische Moscheen. Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber die meisten islamistischen Terroristen haben etwas mit Salafisten zu tun gehabt. Das kann auch sehr schnell gehen, bis man indoktriniert ist mit Konzepten, die von Juden und Christen als Feinden der Muslime sprechen und muslimische Soldaten als Ungläubige bezeichnen. In diesen Moscheen wird ein mentales Gerüst geschaffen und der Hass auf den Westen und mit diesem kooperierende Regimes im Nahen Osten geschürt. Wenn man sich lange genug in diesen Kreisen aufgehalten hat, kann man sich von mittlerweile Dutzenden jihadistischen Organisationen, die dann ein militärisches Basistraining ermöglichen, angezogen fühlen. Ob der junge Toulouser auf Weisung gehandelt hat oder ganz alleine, weiß man noch nicht. 

derStandard.at: Ist es denkbar, dass er nur von Internetpropaganda radikalisiert wurde?

El Difraoui: Es gibt dieses Modewort von den jungen, einsamen Wölfen, die nur durch das Internet radikalisiert wurden. Diesen Typus gibt es nicht sehr häufig, aber er ist wohl einer, der von Jihadisten wie Al-Kaida mit Propaganda gefördert wird. Ein jemenitischer Ableger von Al-Kaida hat etwa in seinem Hochglanzmagazin "Inspire" junge europäische Muslime an die Waffen gerufen, auf dass sie die "Herzen der Feinde terrorisieren". Ob das alleine durch diese Propaganda klappt oder ob es doch eine Art Weisung gab, ist eine der entscheidenden Fragen. Ich bin mir aber sicher, dass Mohamed Merah einiges an Training an der Waffe erhalten hat. Sonst kann man nicht drei Soldaten gezielt und kaltblütig per Kopfschuss erschießen, das ist nicht so einfach wie im Film.

derStandard.at: Mohamed Merah ist also der Propaganda von Al-Kaida aufgesessen?

El Difraoui: Ich würde mich da nicht auf Al-Kaida festlegen, klar ist aber, dass generell jihadistische Propaganda gegriffen hat. Es gibt diese Bewegung jetzt seit 30 Jahren, und auch wenn sie zuletzt operativ geschwächt wurde, hat sie in all den Jahren doch einen festen ideologischen Korpus geschaffen, der nun überall im Internet erhältlich ist. Per Trial-and-Error-Methode wurde all diese Propaganda erprobt, das heißt, Al-Kaida und Konsorten wissen, was wirkt. Der Jihadismus ist an den anderen Fronten gescheitert, er hat es weder vermocht, die muslimischen Massen zu mobilisieren und Palästina zu befreien, noch hat er arabische Regimes gestürzt. Mit seinem ideologischen Korpus schafft er es aber immer noch, einzelne Muslime zu erreichen. Die größte und traurigste Leistung des globalen Jihadismus ist, dass diese Propaganda nicht mehr aus dem Internet wegzubekommen ist.

derStandard.at: Wird der Attentäter von Toulouse künftig in einschlägigen Kreisen als "Märtyrer" gefeiert?

El Difraoui: Das kann gut sein. Er hat sich nicht gestellt, hat weitergekämpft, hat nicht aufgegeben bis zum Tode. Das könnte reichen, um in den jihadistischen Märtyrerkult aufgenommen zu werden. Es gehört zu den Erfolgen der jihadistischen Propaganda, dass sie einen völlig unislamischen Märtyrerkult etabliert hat. Märtyrertum hat im Islam überhaupt nichts mit Selbstmord zu tun.

derStandard.at: Was sind das für Leute, die der salafistischen Ideologie mitten in Europa anhängen?

El Difraoui: Man weiß schon sehr lange, dass Salafisten massiv in französischen Gefängnissen rekrutieren, wo ja auch Mohamed Merah einsaß. In einem Land, wo ein Großteil der Bevölkerung im Strafvollzug muslimischen Ursprungs ist, ist das eine sehr gefährliche Sache. Die Salafisten predigen dort eine Art Heilslehre, wonach die Sünden der Gefangenen vergeben werden, so sie gläubige Muslime würden. Der Salafismus ist nun einmal leider auch aufgrund saudischer Gelder seit vielen Jahren die am schnellsten anwachsende muslimische Strömung, auch in Europa.

Diese vereinfachte Glaubenslehre erreicht natürlich Leute aus dem kleinkriminellen Milieu sehr schnell. Man merkt das natürlich auch an der Qualität der Terroristen, etwa am Frankfurter Flughafenattentäter Arid U. oder eben an Mohamed Merah aus Toulouse. Die jihadistische Propaganda richtet sich nicht mehr nur an Leute wie die 9/11-Attentäter, die studiert hatten und mehrere Sprachen konnten, sondern an marginalisierte europäische Jugendliche, die auf Sinnsuche sind und sich von den Gesellschaften Europas entfremdet fühlen.

derStandard.at: Kann sich Sarkozy nun, wo der Serienmörder tot ist, einer erfolgreichen Terrorbekämpfung rühmen?

El Difraoui: Das glaube ich nicht. Man muss sich vorstellen, welche Fahndungspannen es gegeben hat, etwa dass es eine Woche gedauert hat, bis die Behörden die IP-Adresse, die der Mörder beim Motorradkauf verwendet hat, einem Wohnort zuordnen konnten. Die französischen Geheimdienste waren sich ihrer Sache lange Zeit sicher, weil sie eben vorgaben, mehr Erfahrung mit islamistischem Terror zu haben als alle anderen.

Frankreich wurde schon lange vor dem 11. September 2001 angegriffen, durch eine Air-France-Flugzeugentführung und das Attentat von St. Michel auf die Metro von Paris 1993. Die Dienste haben sich bisher immer damit gebrüstet aus diesen Erfahrungen gelernt und viele arabischsprachige Mitarbeiter in ihren Reihen zu haben. Toulouse ist eine Riesenschlappe für die französischen Schlapphüte. Wenn diese Fahndungsfehler im Wahlkampf Thema werden, kann Sarkozy sagen, was er will, es wird ihm schaden. Wenn allerdings Francois Hollande (der sozialistische Präsidentschaftskandidat, Anm.) zu sehr darauf anspielt, kann sich die Stimmung auch genauso schnell gegen ihn richten. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 23.3.2012)