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Das Haus in Toulouse, in dem der mutmaßliche Serienmörder am Donnerstag von Spezialeinheiten getötet wurde.
Für Nicolas Sarkozy kommt die Rückkehr der Sicherheitsthematik zu einem günstigen Zeitpunkt.
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Die Umfrage war in den Vortagen erstellt worden, wurde aber just zum Ende der Mordtragödie publik: Präsident Nicolas Sarkozy führt erstmals im ersten Wahlgang mit zwei Punkten Vorsprung vor seinem sozialistischen Herausforderer François Hollande. Für die Stichwahl wird Hollande nach wie vor mit 54 Prozent als Sieger gehandelt, doch gilt diese Vorhersage wegen der unklaren Wählerwanderungen als weniger sicher.
Im Fernsehen überholte der Sozialist jedoch den Amtsinhaber: Hollande trat am Donnerstag als erster vor die Kameras, um den Einsatz der Elitepolizisten in Toulouse zu begrüßen. Die bürgerliche Regierungspartei UMP kritisierte sogleich, dass dem Staatschef in solchen Affären das erste Wort zustehe. Sarkozy erklärte in gemessenem Ton, es sei "alles getan" worden, um Mohammed Merah einem Prozess zuzuführen; man habe aber keine weiteren Leben riskieren können.
Sarkozys Konsequenzen
Zugleich kündigte er neue Maßnahmen an: Wer im Internet zu Hass und Gewalt aufrufe oder diese Seiten regelmäßig konsultiere, werde gerichtlich verfolgt. Zu untersuchen sei ferner, ob radikale Fundamentalisten in den Gefängnissen missionierten.
Diese Ankündigung bringt inhaltlich kaum Neues: Hassprediger können mit der bestehenden Gesetzgebung verfolgt werden; und dass die Islamisten in französischen Haftanstalten sehr präsent sind, ist seit langem bekannt.
Sarkozy reagiert mit dieser Ankündigung auf Vorwürfe der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen, die Behörden hätten Merah zu wenig kontrolliert und den Islamismus in Frankreich allgemein "unterschätzt". Der Staatschef betont damit selber das Thema innere Sicherheit. Das erlaubt es ihm, von den wirtschaftlichen Fragen abzulenken, die den Wahlkampf bisher geprägt hatten - und bei denen Sarkozy eine umstrittene Bilanz vorzuweisen hat.
Die von allen Kandidaten mehr oder wenig konsequent befolgte Wahlkampfpause ging am Donnerstag abrupt zu Ende. Einzelne Kandidaten hielten abends bereits Wahlmeetings ab. UMP-Chef Jean-François Copé warf dem Mittepolitiker François Bayrou sowie Hollande vor, sie hätten die "Trauerzeit nicht respektiert". Sprecher des sozialistischen Bewerbers reagierten empört über die "totale Niederträchtigkeit" und meinten: "Schande über Copé, der noch während des Polizeieinsatzes polemisiert."
Die unwirsche Reaktion des Hollande-Lagers dürfte auch daher rühren, dass Sarkozy nun während mehrerer Tage die Rolle des beschützenden und konsensuellen Staatspräsidenten spielen konnte, während Hollande sich auf eher substanzlose und ungehört verhallende Erklärungen beschränken musste. "Die Republik ist immer stärker", meinte er im offensichtlichen Versuch, Sarkozy dessen Wahlslogan vom "starken Frankreich" nicht allein zu überlassen. Expremier Laurent Fabius kündigte für den Fall eines linken Wahlsieges einen harten Kurs bei der Bekämpfung der Kriminalität an, um Sarkozy das Thema nicht allein zu überlassen.
Fürs erste werden die Sicherheitsexperten des Parti Socialiste aber genau prüfen, was der Geheimdienst von dem Täter im Vor aus gewusst hatte oder hätte wissen müssen. Sollte sich zeigen, dass die Polizei unter dem Sarkozy-Vertrauten und Innenminister Claude Guéant allzu viele Indizien übersehen hatte, könnte sich der Erfolg bei der Suche nach dem Täter und damit für den Staatschef ebenso schnell in einen wahlpolitischen Bumerang verwandeln. (Stefan Brändle aus Paris /DER STANDARD, 23.3.2012)