Orientierungshilfen für Journalisten im U-Ausschuss-Foyer: Anfüttern mit Obst, ...

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Anleitung zum Abservieren,...

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...Finger von Stefan Petzner auf Beweismaterial (Einladung zur Saujagd).

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Wolfgang Müller-Funk hinterfrägt die Empörungslust der Medien und der Parteipolitik.

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Zur Klarstellung vorweg: Ich habe nichts übrig für Korruption, weder für die per Geldübergabe noch für die per Ämtervergabe. Und es ist gut und richtig, dass sie publik und womöglich auch bestraft wird.

Je länger der U-Ausschuss aber andauert und je mehr die Berichterstattung von tatsächlichen oder vermeintlichen Enthüllungen dominiert wird, desto weniger kann ich die freudige Erwartung, dass die Skandalisierung der gegenwärtigen Politik einen kräftigen demokratischen Reformschub mit sich bringen wird, teilen. Das liegt nicht nur an der seltsamen Koalition, die sich da zusammengefunden hat - vom grünen Gnadenlos Peter Pilz, über Profil und den Boulevard bis zu den blau-orangen Zuchtmeistern, die es den "Altparteien" und dem "System" "zeigen" wollen; das hat auch mit den fatalen Seiten der Skandalisierung an sich zu tun. Anders als es der Aufdeckungsjournalismus suggeriert, sprechen nämlich die Tatsachen nicht nur für sich. sondern erhalten erst durch ihre Interpretation im politischen Kontext Bedeutung und Gewicht. Ohne die Telekom-Affäre wären etwa die "Enthüllung" einer womöglich nicht ganz koscheren Finanzierung eines Verbandsblatts oder der Nachweis, wer bei wem welchen Bock geschossen hat, wahrscheinlich Lappalien geblieben, Jetzt mutieren sie zur Causa prima der Innenpolitik.

Der Skandalisierungsdiskurs erzeugt einen medialen Rausch, der das populäre Bild von der "schmutzigen Politik" endlos vervielfältigt und ein Klima der Verdächtigung erzeugt: Vernadern wird zur vornehmsten Aufgabe selbst ernannter Tugendwächter. Einer, der ganz zu Unrecht als Protagonist einer unmoralischen Politik in die Annalen eingegangen ist, hat das auf den Punkt gebracht, indem er meinte, dass Anklagen der res publica nützen und Verleumdungen ihr schaden: "Zwischen beiden ist der große Unterschied, dass man bei Verleumdungen keinen Zeugen braucht und es überhaupt keine Möglichkeit zur Nachprüfung ihrer Richtigkeit gibt."

Die Funktionsweise der modernen Medien hat diesen von Niccolò Machiavelli beschriebenen Sachverhalt zugespitzt: Die medial inszenierte, nicht selten von Neid begleitete Verdächtigung kommt einer symbolischen Hinrichtung gleich, die nie wieder zu korrigieren ist, wie Meinhard Rauchensteiner an dieser Stelle ganz zu Recht im Hinblick auf die Causa Matt, einem Nebenschauplatz der gegenwärtigen Skandalisierungswelle, geschrieben hat ("Denuntiantentum als Mittel der Demokratie-Hygiene?", 17. 3.). Dass es im übrigen stets mit rechten Dingen zugeht, wie man uns versichert, wenn vertrauliche Informationen in die Öffentlichkeit gelangen, darf nicht nur in diesem Fall bezweifelt werden.

Cui bono?

Wem nützt diese Skandalisierung? Darauf gab die grüne Ausschussvorsitzende Gabriela Moser bei einem Fernsehgespräch unlängst die entwaffnend treuherzige Antwort, sie erwarte Stimmengewinne für ihre Partei. Da könnte sie sich allerdings arg täuschen. Viel näher liegt wohl die Vermutung, dass dieses Strategie Wasser auf die Mühlen jener Parteien leitet, denen bereits die Themen abhandengekommen waren und die nun absurderweise beim "Aufdecken" eifrig mitmischen, so als ob just die politischen Neureichs aus FPÖ und BZÖ mit der Affäre rein gar nichts zu tun gehabt hätten.

Kleine Ergänzung zu besagtem TV-Gespräch: Frau Moser vertrat dabei auch die Ansicht, dass ihr U-Kollege Amon sich aus dem Ausschuss zurückziehen müsse, weil sich die ÖVP als eine staatstragende Partei verstehe. Muss man daraus den Schluss ziehen, dass die Grünen sich nicht als staatstragend empfinden? Ist das die gemeinsame Basis jener obskuren Oppositionskoalition zwischen FPÖ; BZÖ und Grün, die wir schon seit geraumer Zeit erleben (müssen) und die sich in der Tat vom " staatstragenden" Kurs, für den einst van der Bellen gestanden ist, längst verabschiedet hat?

Mein Unbehagen gründet aber noch in etwas Zweitem: Könnte es nicht sein, dass das tägliche Starren auf täglich neue Facetten des "Anfütterns" andere, möglicherweise wichtigere Themen verdeckt? Wird gegenwärtig nicht alle gesellschaftliche Energie und mediale Aufmerksamkeit in diesem Land vollständig vom "Korruptionssumpf" aufgesogen? Vergessen sind die Sanierung des Staatshaushalts, notwendige Neuorientierungen in der Wirtschaft und vor allem die Reform des bürokratischen und strukturell korruptionsanfälligen Staats- und Verwaltungsapparats. Strengere Antikorruptionsgesetze, die womöglich das Kind mit dem Bad ausschütten, werden z. B. nichts an jenen geldlosen Tauschgeschäften ändern, die noch immer bei vielen, alten wie neuen "proporzionellen" Besetzungen vor allem im öffentlichkeitsnahen Bereich - siehe ORF - wirksam sind. Derlei Fragen sind den Skandalisierungsstrategen offenkundig zu mühsam, die Hoffnung auf kurzfristige Vorteile ist da strategisch plausibler. Ergo: Die nächste Enthüllung kommt bestimmt -irgendwann aber auch der Katzenjammer. (Wolfgang Müller-Funk, DER STANDARD, 28.3.2012)