+ + + Pro: Der Begriff ist unschuldig

"Stopp dem falschen Gerede vom Migrationshintergrund!", fordert SOS Mitmensch von Sebastian Kurz und anderen österreichischen Politikern. Aufgeregt und verärgert liest sich der mit Ausrufen und rhetorischen Fragen gespickte Text der Petition. Was die Initiatoren und Unterzeichner dadurch erreichen wollen: eine Politik ohne Beschuldigungen, die Probleme nicht einer bestimmten Bevölkerungsgruppe unterjubelt. Das Sprachrohr des migrantischen Wutbürgers?

Man stelle sich nur vor, wir hören alle auf, den Begriff "Mensch mit Migrationshintergrund" zu verwenden: was dann? Es würde entweder ein neuer unzutreffender Begriff entstehen oder die öffentliche Diskussion verstummen. Beides ist nicht wünschenswert. Aber wahrscheinlich ist diese Forderung auch nur ein Aufhänger, mit dem die Autoren Aufmerksamkeit für ihre berechtigten Forderungen erlangen wollen. Vielleicht meint SOS Mitmensch einfach, dass mehr Sensibilität und Genauigkeit in der Sprache bei Migrationsthemen gefragt wären. Da wäre es aber gut, auf den eigenen Rat zu hören. Dass "es nervt", ist nämlich kein konstruktiver politischer Beitrag. Auch Worthülsen wie die "undemokratische Scheinpolitik der Verantwortlichen" sowie redundante und sperrige Formulierungen wie "auseinanderdividierte Menschen" tun einem Diskussionsbeitrag, der sich um sprachliche Korrektheit bemüht, nicht gut.

Die Petition liest sich, als habe sie jemand mit Schaum vor dem Mund geschrieben, und vergreift sich nicht nur im Ton, sondern ist auch ihrer Zeit weit voraus: Dass Politiker den Begriff Migrationshintergrund richtig verwenden, liegt leider noch in ferner Zukunft. Derzeit sprechen Politiker nämlich mehrheitlich noch immer von Fremden, Zugewanderten, Immigranten, Asylwerbern und Flüchtlingen.

Der Begriff an sich kann nichts für seinen Missbrauch. Vielleicht flutscht "Migrationshintergrund" einem nicht leicht über die Zunge, er ist jedenfalls akkurater und neutraler als seine oben genannten Vorgänger. Was die Unterzeichner wohl wirklich kritisieren wollen: dass in Österreich aus sozialen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Themen Migrationsthemen gemacht werden. Dass es keinen sensiblen und differenzierten Umgang mit den Begriffen und der Thematik gibt, dass trotz aller politisch korrekter Migrationshintergründe immer noch das Wort Ausländer verwendet wird - manchmal sogar als Synonym. Und dass die Migrationshintergründe sprachlich immer dort lauern, wo vordergründig Probleme sind, dass selten Positives assoziiert wird. Das alles hat aber wenig mit dem Begriff an sich zu tun, sondern mit dem Stellenwert der Migration in Politik und Medien - ein nichtalpiner Sündenbock. Dies sollte ganz klar und nicht erst in den FAQ zur Petition als Ziel der Attacke zu erkennen sein.

Lange Jahre wurde das Thema Migration entweder ignoriert oder mit noch weniger Sensibilität behandelt - heute hingegen ist die Zeit des Overkills gekommen. In der Zukunft sollte es selbstverständlich sein, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft gleiche Chancen haben. Dann wird das Gerede vom Migrationshintergrund nicht mehr nötig sein. Wir sind auf dem Weg dorthin, aber wir schaffen es nur, wenn wir die Dinge heute beim Namen nennen, Diskriminierung aufdecken und Benachteiligung thematisieren können. Wir sind alle müde und wollen von Integration und Migrationshintergründen nichts mehr wissen. Aber damit wir es nicht mehr hören müssen, müssen wir es endlich (zu Ende) aussprechen. (Olja Alvir, daStandard.at, 28.3.2012)


- - - Kontra: Der Begriff wird politisch instrumentalisiert

Absurd, politisch "über-korrekt", zu affektiert und zu harsch - das alles wurde schon mit der Petition "Stopp dem falschen Gerede vom Migrationshintergrund" von SOS Mitmensch in Verbindung gebracht. Kritiker der Petition werfen ein, dass der Terminus Migrationshintergrund ja eingeführt wurde, um andere abwertende Begriffe wie "Ausländer" zu vermeiden, und fragen genervt, welchen Begriff man stattdessen für Menschen nichtösterreichischer Herkunft verwenden solle. Damit wären wir beim Hauptanliegen der Initiatoren und Erstunterzeichner der Petition, denn warum muss immer wieder auf die "andere" Herkunft verwiesen werden? Weil man vielleicht per se davon ausgeht, dass diese Menschen andere und gemeinsame Lebensrealitäten aufgrund ihres "Migrationshintergrundes" haben und nicht etwa aufgrund ihrer individuellen Lebensgeschichten und Persönlichkeiten?

Alles, was sie im Leben jemals tun (oder nicht tun) werden, wird folglich vom Migrationshintergrund abhängig gemacht, egal ob und welche Migrationserfahrung sie haben. Wie ein dunkler Schatten verfolgt und definiert dieser Migrationshintergrund die unterschiedlichsten Menschen mit unterschiedlichsten Lebenserfahrungen und unterschiedlichsten Lebensansichten. Alles, was sie tun, wird auf ihre Herkunft, ihre "Mentalität", ihre "Kultur" reduziert, und alle werden sie in Grüppchen, die scheinbar so anders sind als Menschen ohne Migrationshintergrund und mutmaßlich über irgendwelche Gemeinsamkeiten verfügen, die sie von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden, subsumiert und kategorisiert.

Angeprangert wird auch der inflationäre Gebrauch des Terminus "Migrationshintergrund" in der Politik. Besonders Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz wird hier in die Mangel genommen, weil dieser von Menschen mit Migrationshintergrund (mehr) Leistung verlange, aber nicht von den "Mehrheitsösterreichern". Den Kurz'schen Lieblingsslogan "Integration durch Leistung" verstehen die Initiatoren der Petition als "Diktat der Nichtakzeptanz und Geringschätzung". Was mit Missbrauch gemeint ist? Meines Erachtens folgende, wiederholt auftauchende (mehr oder weniger indirekte) Konnotationen:

Schulschwänzen: Migrationshintergrund ist schuld.
Schlechte Noten: Migrationshintergrund ist schuld.
Arbeitslosigkeit: Migrationshintergrund ist schuld.
Geringes Bildungsniveau: Migrationshintergrund ist schuld.
Schlechte PISA-Ergebnisse: Migrationshintergrund ist schuld.
Kriminalität: Migrationshintergrund ist schuld.
Nachbarschaftsquerelen: Migrationshintergrund ist schuld.

Die Kritik an der Instrumentalisierung des Begriffs Migrationshintergrund zu (wahl)politischen Zwecken ist daher berechtigt. Der Terminus wird in der Politik vorwiegend dann verwendet, wenn es darum geht, die "Ausländer" politisch korrekt anzuschwärzen, um so soziale Schieflagen zu verdecken oder sich vor der eigenen Verantwortung für eine wirkliche Reformpolitik zu drücken.

Stattdessen wieder dieser ominöse Migrationshintergrund, der scheinbar nur Probleme macht, für die die Politik aber eh immer die "richtige" Lösung hat. (Welcher Regierungspolitiker spricht ein Problem an, ohne die Lösung parat zu haben?) Im Text der Petition ist die Rede vom Migrationshintergrund als "Spielball einer falschen Politik" und davon, dass willkürlich Gruppen geschaffen werden, "die dann als 'Problemgruppen' gelten". Die Rechnung dieser wahlpolitischen "Migranten-Problem-Karte" zahlen diejenigen mit Migrationshintergrund, wobei viele von den "Migrationshintergrunds-Betroffenen" mit dem Begriff nicht viel anfangen können und nicht darauf reduziert werden wollen. Und eben darum geht es ja auch in der Petition.

Warum ist man dazu verdammt, sich andauernd mit der Herkunft (der Eltern) auseinandersetzen zu müssen oder mit der Abschüttelung eines zwar unsichtbaren, aber immer an einem klebenden kulturellen, ethnischen oder religiösen Stempels, der einen auch noch mit anderen unbekannten Menschen derselben scheinbar homogenen "Gruppe" auf Lebzeiten verbindet? (Güler Alkan, daStandard.at, 28.3.2012)