Seit der Unabhängigkeit des Senegal 1960 hat es keinen einzigen gewaltsamen Umsturz gegeben.

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Macky Sall (li.) mit Youssou N'Dour.

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Der neue senegalesische Präsident Macky Sall ist eine "gute Wahl", meint der senegalesische Autor und Würdenträger Cheikh Hamidou Kane. Kane setzt große Hoffnung in den 50-jährigen Ingenieur, der mit seinem Mentor und Ex-Präsidenten Abdoulaye Wade schon vor Jahren brach, weil er dessen autoritäre Politik nicht mittragen wollte. Im Gespräch mit derStandard.at rechnet Kane mit dem seit zwölf Jahren regierenden Wade ab, dessen größter Fehler sei gewesen, jegliche Initiative seines Umfelds im Keim zu ersticken.

derStandard.at: Am vergangenen Wochenende ging Macky Sall als Sieger aus der Stichwahl gegen den bisherigen Präsidenten Abdoulaye Wade hervor. War die Wahl vollkommen fair? Was sagten die Beobachter im Land?

Kane: Die Wahlen sind fair abgelaufen, ja. Das haben internationale und nationale Wahlbeobachter bestätigt. Auch schon während Wades zwölfjähriger Präsidentschaft war die sehr junge Zivilgesellschaft sehr stark. Sie hat während seiner Präsidentschaft die Rolle von Watchdogs eingenommen. Die Bevölkerung des Senegal ist es außerdem gewohnt zu wählen. In dieser Hinsicht kann das Land ein Vorbild sein. Seit der Unabhängigkeit des Senegal 1960 hat es zum Beispiel keinen einzigen gewaltsamen Umsturz gegeben.

derStandard.at: Ist Macky Sall in Ihren Augen eine gute Wahl?

Kane: Ja. Und zwar aus zwei Gründen: Er war zwar Wegbegleiter Wades in Zeiten, als seine Präsidentschaft auf einen falschen Weg geriet. Aber ihre Wege trennten sich, weil Sall mit Wades Politik nicht mehr einverstanden war. Diese Tatsache lässt hoffen. Außerdem hat Sall an den nationalen Gesprächen zwischen 2008 und 2011 teilgenommen, an denen auch die gesamte senegalesische Bevölkerung teilnahm. Nur Wade und seine Partei wollten nicht Teil dieses Prozesses sein.

Während dieser zweieinhalb Jahre versuchten NGOs, Jugendgruppen, Oppositionsgruppen, religiöse Führer, Meinungsführer und die gesamte Zivilgesellschaft, die Jahre der Unabhängigkeit zu reflektieren und ihre Lehren daraus zu ziehen. Was war gut, was schlecht und was ist daraus zu lernen? Macky Sall war zwar erst nach dem Bruch mit Wade Teil dieser Gespräche, allerdings hat er es sich zum Ziel gesetzt, die Ergebnisse in seine Arbeit als Präsident einfließen zu lassen.

derStandard.at: Was waren die größten Fehler Wades, die es zu verhindern gilt?

Kane: Erstens dachte Wade, dass die Macht, die ihm das Amt verlieh, ihm persönlich gehöre. Er vereinte viel zu viel Macht in einer Person, seine Amtsführung war nicht transparent und Korruption prägte seine Amtszeit. Außerdem machte er Anstalten, seinen Sohn als Nachfolger zu positionieren. Sein Hauptfehler war es allerdings, alle Initiativen und Ideen seiner Minister, des Nationalrats, des Premierministers im Keim zu ersticken. Das ist für mich unverständlich und in meinen Augen seine größte Niederlage. In einem Land wie dem Senegal, wo es so viele gut ausgebildete Menschen gibt, ist das Verschwendung von geistigen Ressourcen.

derStandard.at: Seit Juni 2011 protestierten zahlreiche Senegalesen trotz Demonstrationsverbots immer wieder gegen Wade, weil das Oberste Gericht ihm gestattet hatte, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Haben die Demonstrationen Wades Ende eingeleitet?

Kone: Ja, die Demonstrationen haben definitiv einen großen Teil dazu beigetragen, dass Wade von der Bevölkerung nicht wiedergewählt wurde. Die Bewegung hat aber vor allem die Jugend getragen, eine wichtige Gruppe war "Y'en a Marre" (etwa "Genug ist genug", Anm.), zu der sich etliche Rapper, Hip-Hopper und andere Musiker zusammenschlossen. (Aus dieser Gruppe kam auch die Hymne der Bewegung, Anm.)

Musiker wie sie oder wie Youssou N'Dour, Autoren haben die Proteste getragen. Aber auch was Medien- und Meinungsfreiheit betrifft hat der Senegal im Vergleich eine lange Tradition. Die Presse konnte Wades Amtsauffassung nicht länger akzeptieren und hat das auch kundgetan. Wades Regime versuchte natürlich, die Journalisten einzuschüchtern und die Pressefreiheit einzuschränken. Es hat zahlreiche Attacken auf Redaktionsgebäude und auch auf Journalisten gegeben. Obwohl man wusste, wer dafür verantwortlich war, wurden diese Personen nie belangt, geschweige denn vor Gericht gestellt.

derStandard.at: Während der Demonstrationen sind auch Menschen ums Leben gekommen. Macky Sall hat sich zurückhaltend auf die Frage geäußert, ob er die Verantwortlichen belangen wird. Was meinen Sie?

Kane: Er sollte das unbedingt tun, denn die Jugend wird das von ihm fordern. Er sollte sich hüten, diese Leute laufen zu lassen.

derStandard.at: Macky Sall hat schon Reformen in der Wirtschaft, im Gesundheitssystem, im Bildungssystem angekündigt. Was sind da die größten Probleme?

Kane: Seit Monaten steht der Bildungsbetrieb an den Schulen und den Universitäten. Wir haben im Senegal aber eine breite Palette an "Notfallthemen". Ein sehr drastisches Beispiel dafür ist die Dürre in der Sahelzone, der eine Hungersnot zu folgen droht. Die Lebensmittelknappheit in dem Gebiet ist mittlerweile eklatant. Es besteht unmittelbarer Handlungsbedarf. Wade hat den Schwerpunkt seiner Infrastrukturprojekte auf den urbanen Bereich gelegt, der Agrarbereich wurde vollkommen vernachlässigt. Sall hat bereits Hilfsansuchen an internationale Organisationen geschickt. Positiv ist, dass die internationale Gemeinschaft die Wahl von Sall zum Präsidenten begrüßt hat.

derStandard.at: Wade wurde auch dafür kritisiert, dass er nichts zur Lösung des Konflikts in Casamance beigetragen hat.

Kane: Das Thema sollte unter Sall nun auch mit internationaler Hilfe angegangen werden. Sall hat schon Kontakte geknüpft mit den Vertretern der Rebellion und will das Problem neuerlich angehen. Einige Führer der Rebellion haben auch schon zu verstehen gegeben, dass sie mit Sall als neuem Präsidenten die Hoffnung auf eine Beilegung des Konflikts verbinden. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 29.3.2012)