
Das richtige Instrument bei der Bewältigung der Mangelwirtschaft? Werbesujet eines IT-Konzerns aus den 50er-Jahren.
Ein Esel und sechs Pferde tragen ein Dutzend Reiter auf einen hohen Berg. Obwohl der Esel keinen Sattel hat, trägt er allein gleich sechs der Reiter, mitunter auch mehr. Wenn der Esel bockt, gibt es eine Grundsatzdiskussion zwischen den Pferden, den Reitern, dem Reisebüro und den Zuschauern. Dann wird die Entscheidung vertagt und die Reise fortgesetzt.
Absurdes Theater? Mitnichten. Der Esel ist in diesem Fall die Fakultät für Informatik an der Technischen Universität Wien. An sieben Universitäten werden in Österreich Informatik-Studien angeboten, aber mehr als 50 Prozent der Studierenden wählen die TU Wien - über 1000 Studienanfänger jährlich. Der gute Ruf der TU Wien wird zum Fluch für das Studium, denn auf 52 habilitierte Professoren kommen fast 7000 Studierende; ein solches Verhältnis wäre bei anderen international führenden Universitäten undenkbar. Alle wissen, dass Mangelwirtschaft an Universitäten dem Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort schadet, die Innovationskraft unserer Gesellschaft untergräbt und den wissenschaftlichen Nachwuchs ins Ausland treibt. Wie ist es trotzdem zu dieser Situation gekommen?
1) Es gibt in Österreich Aufnahmeverfahren für Fachhochschulen, künstlerische Universitäten, Medizinische Universitäten und Sportstudien ebenso wie Sporthauptschulen, die Feuerwehr, den Schützenverein und die Polizei. Nur nicht für die Universitäten. Begriffe wie Eignung, Kapazitäten und Kostenwahrheit finden in Österreich nur dort Anwendung, wo es ums Singen und Springen geht. Vereinfacht: Wer an der Fachhochschule nicht genommen wird, kommt dann eben an die Universität. Der Widerspruch zum Auftrag einer wissenschaftlichen Bildung an den Universitäten kümmert scheinbar nur wenige.
2) Die Politik ersetzt inhaltliche Diskussion über die Ziele und den Sinn dieses Systems durch reflexartige Wiederholung plakativer Standpunkte zu Studiengebühren (Lieblingsthema rechts der Mitte) und dem freien Hochschulzugang (Lieblingsthema links der Mitte). Beide Standpunkte sind - obwohl "engagiert" geführt - oberflächlich: Studiengebühren in bisheriger Höhe sind ein Tropfen auf den heißen Stein und reichen bei weitem nicht aus. Und statt frei ist der Hochschulzugang in Österreich bloß zufällig, siehe oben.
3) In der MINT-Masse-Initiative 2011 (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung gingen von dem 40-Millionen-Budget mit 1,8 Millionen weniger als 5 Prozent an das einzige MINT-Massestudium in Österreich - der Informatik der TU Wien. Was sollen wir von der neuen Universitätsmilliarde erwarten? Die prominent angekündigte Töchterle-Milliarde für drei Jahre deckt nach Abzug aller Sonderprojekte und Finanzierungen nicht einmal die jährliche Inflation ab. Österreich bräuchte eine solche Millliarde jedes Jahr um das auch von der österreichischen Bundesregierung unterzeichnete EU-Ziel von 2 Prozent des BIPs für den Hochschulsektor zu erreichen.
Ein Vergleich der ETH Zürich mit der TU Wien deckt das Ungleichgewicht auf: An der ETH werden mit einem jährlichen Budget von ca. 890 Mio. Euro 16.000 Studierende betreut, an der TU Wien jedoch 25.000 Studierende mit einem Budget von 190 Mio. Euro. Die Schweiz ermöglicht es gleich zwei großzügig dotierten ETHs in Zürich und Lausanne, die Rolle der Schweiz als internationaler Innovationsführer zu stärken - das ebenfalls wohlhabende Österreich verspielt seine Zukunft.
Die Fakultät für Informatik an der TU Wien ist die größte europäische Informatikfakultät - nach der Zahl der Studierenden und nicht der Lehrenden. Misst man unsere Verantwortung an der Zahl unserer Studierenden und der Bedeutung von IKT für den Wirtschaftsstandort, tragen wir mehr Last als manche österreichische Universität.
Die aktuelle Diskussion über die Finanzierung und Situation an den Universitäten deckt solche konkreten Tatsachen nicht auf. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: es geht a) um die Ziele und Bedeutung der universitären Forschung und Lehre für Gesellschaft und Wirtschaft, b) die dafür notwendige Qualität und damit zusammenhängende Kapazitäten und c) um die Frage der Finanzierung. Beantwortet man diese einfachen Punkte nicht, bekommt man das zu Beginn skizzierte absurde Theater.
Dabei ist das Problem der Finanzierung besonders ärgerlich, weil im Bankenbereich ein Vielfaches an Geld zur Verfügung gestellt wird - innerhalb weniger Tage und ohne öffentliche Diskussion. Banken gelten als systemrelevant, weil sie als Kreditgeber Investitionen in die Zukunft ermöglichen. Aber Universitäten und ihre AbsolventInnen sind doch gleichfalls Investitionen in die Zukunft, ganz besonders in Gebieten wie der Informatik. Aber anstatt die Universitäten und das Interesse der Studierenden als Chance zu begreifen, verschwendet Österreich sein wirkliches Talent - seine Köpfe und Intelligenz. (Helmut Veith und Hannes Werthner, DER STANDARD, 29.3.2012)