Sarah Spiekermann

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Es ist 7.49 Uhr am Münchner Flughafen. In zwei Minuten geht die Bahn. Vor den Fahrkartenautomaten tummeln sich die frustrierten Reisenden. Nur die Hälfte kommt gut mit ihnen klar. Die meisten älteren Leute haben Angst vor ihnen, brauchen Hilfe. Ich bete, dass die Dame vor mir Bescheid weiß. Sie scheint mit Rigorosität den lahmen Touchscreen zu bedrücken. Man muss nur drei- bis viermal drücken und mit dem Finger wischen und zwischendurch ein bisschen fluchen, bis der abgenutzte Startknopf endlich loslegt. Und dann geht es los: Die dumme Maschine lässt einen erst mal den Zielort eingeben. Was für ein Schwachsinn, fahren doch ohnehin 99 Prozent der Leute, die an diesem Automaten ihr Ticket kaufen, in die Münchner Innenstadt. 

Rutschende Finger

Die Dame kämpft wieder mit dem Touchpad. Aus Versehen ist der rutschende Finger auf einen falschen Buchstaben gekommen. Jetzt werden nur noch lauter Städte und Buchstaben zur Auswahl gestellt, wo sie gar nicht hinwill. Verzweiflung. Abbruch. Okay, es geht noch mal neu los. Sie weiß jetzt, mit welchem sanften Druck sie gezielt das Touchpad bearbeiten muss, um eine Reaktion zu erhalten. Sie sieht jetzt sogar ganz links außen die unauffällige Option, einen Knopf zu drücken, der direkt München-Hauptbahnhof anzeigt. Bestens. Die Falle mit dem Zielbahnhof ist damit erst mal umschifft. 

Ich, die hinter ihr stehe, habe jetzt noch 90 Sekunden, um die Bahn zu bekommen. Sonst muss ich 20 Minuten auf die nächste S-Bahn warten und bin zu spät ... Anyways. Die Dame drückt. Nur noch ein Hindernis. Ich linse über ihre Schulter. Fatal: Sie hat angegeben, dass sie nicht nur hin-, sondern auch zurückfahren will. Wohl wusste sie, dass sie in nunmehr 60 Sekunden denselben Zug nehmen will wie ich. Aber: Sie hatte sich noch keine Gedanken gemacht über die Rückreise. Wie viel Uhr? Keine Ahnung. Option "offen" gibt es nicht. Sie überlegt. Überlegen dauert leider länger als Drücken. Sie kann sich nicht entscheiden. Ich werde unruhig. Am liebsten würde ich ihr einen Vorschlag machen; an ihrer Statt auf irgendeinen dieser Züge drücken. Aber das geht ja nicht. Ich muss meinen steigenden Ärger zügeln. Yoga sagt: durchatmen.

Rechnet sich das?

Noch 50 Sekunden, bis mein Zug abfährt. Endlich zahlt die Dame. Sie hat das Bargeldmenü gewählt. Ein Glück, sonst würde die PIN-Abfrage noch mal zwei Minuten kosten und mein Zug wäre selbst bei Verspätung weg. Aber: Der 10-Euro-Schein wird nicht angenommen. Er kommt wieder raus. Sie versucht es noch mal. Auch nicht. Okay. Sie hat genügend Kleingeld. Schmeißt 2-Euro-Groschen rein. Aber hups. Wieder nichts. Wir kennen alle den Trick: Der Groschen wird dann angehaucht oder es wird ein bisschen am Automaten gekratzt. Super. Jetzt funktioniert's. Die Dame kriegt ihr Ticket gedruckt. Nein. Zwei Belege: einen Fahrschein und einen Beleg.

Wozu? Keine Ahnung. Sie macht sich davon. Sie hat noch zehn Sekunden, bis ihr Zug weg ist. Ich hab's aufgegeben. Meine Wartezeit kann ich dafür nutzen, mich zu fragen, warum so viele Leute ihre Jobs wegen der Automaten verlieren und schon verloren haben. Als Betriebswirtschaftlerin kann ich mich fragen, ob sich die Automaten rechnen. Hm, für den Betrieb vielleicht. Der zahlt ja nicht das Arbeitslosengeld. Für die Volkswirtschaft? I am not sure ...