Oskar ist ein Vorzeigehund. Im Erste-Hilfe-Kurs üben die Teilnehmer an ihm, Verbände anzulegen sowie Temperatur und Puls zu messen.

Foto: derStandard.at/Julia Schilly

Nicole Kavka stemmt ihren Australian Shepherd auf die Schultern. Verletzte Hunde dieser Größe kann man auf diese Art weiter und schneller tragen. Dieser Handgriff ist auch für Rettungsteams wichtig.

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Die richtige Fixierung, um den Hund oder die Katze zu untersuchen: Die Seite mit dem Herz sollte eigentlich oben liegen, die unteren Extremitäten werden gehalten und durch die Unterarme werden Hüfte und Schulter des Tieres zusätzlich fixiert um das Tier sicher verarzten zu können.

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Die Kür im Verbandanlegen: Vom Schwanz rutscht der Verband schnell runter. Tierärztin Slavik-Malleczek zeigt daher einen Trick vor.

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Der Verband wird noch einmal vor die Beine geschlungen.

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Viel Grün für Oskars Geduld.

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Oskar schnauft. Bein und Schlappohr sind schon dick verbunden, jetzt fehlt noch der buschige Schwanz. Dabei ist der Hund gar nicht verletzt. Wie ein überdimensionaler Teddybär liegt er auf einem Behandlungstisch und blinzelt fragend mit seinem einen verbliebenen Auge zu seiner Besitzerin. Doch noch muss der gutmütige Oskar durchhalten, schließlich hat er einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Zwölf Tierbesitzer scharen sich in der Kleintierklinik Breitensee im 14. Wiener Gemeindebezirk um Tierärztin Daniela Slavik-Malleczek, um vier Stunden lang alles über Erste Hilfe bei Tieren zu lernen. Ergänzend werden die grundlegenden Handgriffe am Vorzeigehund geübt.

Ein verletztes Bein muss bis über die Pfote eingewickelt werden, damit es nicht zum Lymphstau kommt. "Sonst entsteht eine dicke Löwenpfote", sagt die Vortragende. Zwischen die Zehen wird Watte gelegt, damit die Krallen sich nicht in das Fleisch bohren können. Der Hund zuckt, zwischen den Zehen ist er besonders kitzlig. "Oskar ist ein alter Hase", beruhigt seine Besitzerin. Mit sechs Wochen hatte der herrenlose Hund einen Unfall, sein Leben hing an einem seidenen Faden. Das Kiefer war gebrochen, das Maul aufgerissen, er verlor ein Auge.

Der Vierbeiner war in einer derart schlechten Verfassung, dass die Tierärzte beratschlagten, ihn von seinem Leiden zu erlösen. "Bald haben wir aber bemerkt, dass er noch einen starken Lebenswillen hatte. Trotz seiner Verletzungen hat er mit großem Appetit gefressen - obwohl ihm das Essen durch den offenen Gaumen wieder bei der Nase herausgekommen ist." Er erholte sich, und eine Mitarbeiterin nahm Oskar schließlich als ihren eigenen Hund auf. "Seither ist er unser treuester Mitarbeiter in den Erste-Hilfe-Kursen", sagt Slavik-Malleczek und schmunzelt.

"Hausverstand und Courage"

Der Hund ist also das beste Beispiel, dass sich schnelles und richtiges Handeln bei verletzten Tieren auszahlt, auch wenn die Lage ausweglos scheint. "Hausverstand und Courage", schärft die Veterinärmedizinerin ihren Zuhörern immer wieder ein. Die Tierärztin liefert ein Beispiel: "Mit einem Hund einer gewissen Größe kommen Sie nicht weit, wenn Sie ihn im Arm halten. Es ist besser, das Gewicht mit den Schultern zu tragen." Und das wird gleich geübt: Teilnehmerin Nicole Kavka stemmt beherzt ihren Australian Shepherd Nanouk auf ihre Schultern.

Slavik-Malleczek erzählt während des Abends auch von Notfällen in der Tierklinik Breitensee: "Ein Hund wurde am Wienfluss von einem Biber angefallen. Der hat so gezielt zugebissen, dass die Drosselvene aufgeschlitzt wurde. Wir mussten nähen." So eine interspezifische Reiberei in freier Natur ist aber eher die Ausnahme. Häufig gesehen am Behandlungstisch sind zum Beispiel Verletzungen durch Steckerl. "Bitte werfen Sie keine Stöcke. Wir haben die Worst Cases in der Notfallklinik und wissen, was passieren kann." Sie zeigt Bilder eines Hundes, der sich einen unterarmlangen Stock in das Maul bohrte. So etwas sollten die Besitzer auf keinen Fall selbst entfernen.

Blutige Schüttbilder im Behandlungszimmer

Es komme auch immer wieder vor, dass Tennisbälle zu Prellungen am Auge führen oder im Hals stecken bleiben. "Der Heimlichgriff funktioniert auch beim Tier", sagt die Ärztin. Besonders eindrucksvoll sind Verletzungen am Kopf, die vielleicht gar nicht so dramatisch sein müssen. Die Vortragende berichtet aus der Praxis: "An den Ohren bluten Hunde besonders stark. Wenn sie sich dann schütteln, hatten wir schon einige Nitsch-Bilder an den Wänden."

Eine möglicherweise folgenschwere Verletzung, die den Tierärzten im Raum Wien manchmal unterkommt, wird durch den unscheinbaren "Schliefhansl" hervorgerufen. Die Mäusegerste kann sich mit ihren Ähren, die Widerhaken haben, in die Pfoten der Tiere hineinbohren. Sie wurde aber auf der Pathologie sogar schon in der Rückenmuskulatur und im Herzbeutel gefunden. Nach Spaziergängen rund um solche Felder sollte daher das Tier sorgfältig untersucht werden.

Beurteilung des Zustands des Tiers

Oft ist es aber kein dramatischer Unfall, der das Tier in Gefahr bringt. Um schnell zu erkennen, ob etwas organisch nicht in Ordnung ist, hilft es, sich an fünf Punkte einer Checkliste zu halten: Atmung, Kreislauf, Schleimhäute, Körpertemperatur und Hautelastizität. Zunächst muss man bei seinem Haustier den Puls im sogenannten Schenkelkanal finden. Dazu stellt man sich hinter den Hund und fasst die Innenfläche der Oberschenkel. Alle Kursteilnehmer drücken zu diesem Zweck an Oskar herum.

Bei Verletzungen in diesem Bereich kann auch an der Zungeninnenfläche oder den Lippen gemessen werden. Der Puls sollte bei Druckverstärkung der Finger kräftig antworten. Verschwindet der Puls, ist das ein Zeichen etwa für einen Kollaps, Schock oder Blutverlust. Im Idealfall sollte das Herz bei großen Hunden 60- bis 80-mal, bei kleinen Hunden 80- bis 120-mal und bei Katzen 108- bis 132-mal pro Minute schlagen.

Die Beobachtung der Atmung ist ein weiterer Anhaltspunkt. Flache, vielleicht sogar gehetzte Bauchatmung ist wie beim Menschen ein Zeichen für starke Schmerzen im Brustraum. Die Normalwerte bei Hunden betragen je nach Rasse, Größe und Konstitution zehn bis 40 Atemzüge pro Minute. Bei Katzen sind es 20- bis 30-mal Ein- und Ausatmen pro Minute. Eine verlangsamte Atmung kann zum Beispiel ein Hinweis auf eine Vergiftung sein.

Danach geht es Oskar an das Maul: Slavik-Malleczek zieht Lefzen hoch und legt die Schleimhäute frei. Sie zeigt den Test zur Kapillarfüllungszeit vor: Drückt man auf das Zahnfleisch, sollte der weiße Punkt bei einem Hund mit stabilem Kreislauf nach etwa zwei Sekunden gleich wieder verschwinden. Gerötete Schleimhäute sind ein Hinweis auf eine Infektion, blaue deuten auf Herz- oder Lungenerkrankungen hin und gelbe auf Leber- oder Bluterkrankungen. "Blassrosa ist der Idealzustand. Aber es gibt auch Hunderassen, die haben eine bestimmte Pigmentierung. Oskar ist im Maul eher gelblich. Meistens lässt sich aber sogar in einer ganz dunklen Schnauze ein rosa Fleck finden." Mund-zu-Mund-Beatmung funktioniert bei Hund und Katz etwas anders als bei den Menschen: Das Maul wird zunächst gereinigt, danach geschlossen, die Lefzen drübergelegt und in die Nase geblasen.

Die wohltemperierte Katze

Um Berührungsängste mit delikaten Stellen abzubauen, wird im Kurs Fiebermessen geübt. Dazu wird der Schwanz gehoben und ein eingefettetes Thermometer höchstens zwei Zentimeter tief in das After eingeführt. Bruchsichere Digitalthermometer eignen sich dazu am besten. "Aber bitte nur, wenn das Tier ruhig ist und nicht zappelt", appelliert Slavik-Malleczek. Hunde bis zu sieben Kilogramm Körpergewicht sollten 38 bis 39, größere Hunde höchstens 38,5 Grad Körpertemperatur haben. Katzen haben im Idealfall eine Temperatur von 38 bis 39,3 Grad. Anders als beim Menschen sind aber schon geringfügige Abweichungen ein Zeichen für Fieber und ein Tierarzt sollte kontaktiert werden. Der letzte Punkt auf der Checkliste ist die Hautelastizität. Bei Flüssigkeitsverlust durch Durchfall oder Nierenprobleme gleitet die Hautfalte knapp hinter dem Nacken nur langsam wieder zurück.

Die Magendrehung ist bei einigen Hunderassen ein gefürchtetes Problem. Sie muss möglichst rasch behandelt werden. Slavik-Malleczek erklärt die Diagnose: "Das Tier hat eine hochrote Schleimhaut, atmet flach und verändert auch die Form des Leibs." Sie empfiehlt, bei gefährdeten Rassen schon vorab mit dem Tierarzt abzuklären, wie im Notfall vorgegangen wird, um wertvolle Organisationszeit zu sparen.

Im Haustier "herumbohren"

Um die Haustiere zu kennen, empfiehlt die Veterinärmedizinerin, Hund und Katze von klein auf regelmäßig spielerisch zu untersuchen und ihnen Verbände anzulegen: "Bohren Sie vom Welpenalter an regelmäßig in ihrem Tier herum." Das ist keineswegs eine lästige Schikane für den tierischen Mitbewohner. Im Gegenteil: Dadurch kann sich sowohl der Halter mit Eigenheiten vertraut machen als auch das Tier an die Handgriffe gewöhnt werden. Im Notfall empfindet es dann nichts zusätzlich Schockierendes zu Krankheit oder Verletzung. (Julia Schilly, derStandard.at, 2.4.2012)