Susanne Bisovskys Kreationen lehnen sich an historische Trachten an - interpretieren sie aber wie hier das Bescherkind der Sorben in unkonventioneller Weise.

Foto: Peter Olschinsky & Verena Weiss

Die Modemacherin Susanne Bisovsky beschäftigt sich seit ihrem Studium an der Wiener Angewandten mit Trachten. Ihr Wiener Salon befindet sich in der Seidengasse 13 im 7. Gemeindebezirk. In der Wiener Kunsthalle läuft ab 4. Mai ihre Ausstellung "Mit-Gift". bisovsky.com

Foto: Udo Titz

Der in Wien lebende Filmemacher Othmar Schmiderer drehte in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Dokumentar- und Spielfilme. Sein jüngstes Projekt "Stoff der Heimat", ein Dokumentarfilm über die Tracht, läuft ab 13. April im Wiener Stadtkino. othmarschmiderer.at, stadtkinowien.at

Foto: Schmiderer

STANDARD: Herr Schmiderer, Sie haben einen Film über die Tracht gedreht. Warum?

Othmar Schmiderer: Die Tracht ist nach wie vor ein Thema des Alpenraums. Ich bin selbst auf dem Land aufgewachsen, meine Kindheitserinnerungen sind eng mit der Tracht verknüpft. Meine Mutter hat ein Dirndl getragen, ich selbst Lederhosen. Allerdings war die Tracht in meiner Jugend im Pinzgau der 50er- und 60er-Jahre noch stark einer nationalsozialistischen Instrumentalisierung unterworfen. Diesem ambivalenten Gefühl wollte ich auf die Spur kommen.

STANDARD: Dieses ambivalente Gefühl gegenüber der Tracht prägt auch Ihre Arbeit, Frau Bisovsky, oder?

Susanne Bisovsky: Ich bin eine andere Generation als Othmar Schmiderer, in meiner Generation hat die Tracht bereits eine romantisierende Übersetzung erfahren. Sie war nicht mehr so klar von den Nazis belegt, Tracht stand in den 70er-Jahren für Sommerfrische, man zog sich ein Dirndl zum Heurigen an.

STANDARD: Romantisierend, das klingt eigentlich positiv. Woher dennoch die Ambivalenz?

Bisovsky: Während meines Studiums habe ich bemerkt, dass es eine Geschichte hinter der Romantik-Tracht gibt, die viel weiter zurück, viel tiefer geht. An der Uni rümpfte man die Nase, als ich mich mit der Tracht beschäftigt habe. Das war in den 90ern überhaupt nicht chic. An der Modeklasse der Universität für angewandte Kunst hat sich das erst unter Helmut Lang verändert, der sich auch stark mit der Tracht beschäftigt hat.

STANDARD: Was war das Faszinierende?

Bisovsky: Die Langlebigkeit gegenüber dem schnellen Rhythmus in der Mode. Aber in erster Linie natürlich die Attraktivität des Kleidungsstücks. Die optischen Gegebenheiten, das spannende Innenleben der Teile, die Geschichte des getragenen Objektes.

Schmiderer: Das ist das Besondere an diesem Kleidungsstück. Ich bin erst im Laufe der Dreharbeiten draufgekommen, wie differenziert das Thema ist. Gleichzeitig war ich schockiert, wie oberflächlich damit umgegangen wird. Was für ein Kitsch zum Beispiel unter dem Thema Landhausmode produziert wird! Gehen Sie einmal auf eine Trachtenmesse! Das Wort Tracht wird auch meistens komplett falsch verwendet.

STANDARD: Und zwar?

Schmiderer: Da wird alles vermischt, ein Dirndl ist zum Beispiel keine Tracht! Trachten sind sehr stark mit bestimmten Volks- und Berufsgruppen verbunden und gehen historisch viel weiter zurück als das Dirndl. Trachten haben eine Identität, eine Authentizität. Davon wissen wir heute kaum mehr etwas. Es gibt natürlich auch schöne Dirndln, aber sie sind eben keine Trachten.

Bisovsky: Auf diese Unterscheidung lege ich auch großen Wert. Ich habe mich selbst jahrelang kaum um den Kontext gekümmert, in dem ich arbeite. Das politische Drumherum habe ich weggeschoben, das hätte meine Arbeit blockiert. Bis ich irgendwann draufkam, dass so etwas wie ein Original-Dirndl oder eine Original-Tracht nicht existiert. Es ist eine Erfindung der Nazi-Zeit.

STANDARD: Wie ist das zu verstehen?

Bisovsky: Damals hat die Volkskundlerin Gertraud Pesendorfer die Vielfältigkeit der unterschiedlichen Trachten und Dirndl vereinfacht. Sie hat einige wenige Grundfigurinen geschaffen. Wer heute von "Original-Tracht" spricht, beruft sich vielleicht unwissentlich darauf. Dabei ist das eine Konstruktion aus den 30er-Jahren. Bereits damals war das eine Folge der Romantisierung der Tracht. Städter, die aufs Land gefahren und dort zur Schneiderin gegangen sind, haben sich Dirndl nach diesen Vorbildern machen lassen. Daraus entstanden dann als Gegenreaktion die "deutschen" Trachten und Dirndln.

STANDARD: Was waren die "Erfindungen" Pesendorfers?

Bisovsky: Dass zum Beispiel die weiße Bluse zum Dirndl getragen wird. Das hat es vorher nie gegeben. Das war einfach nur praktisch. Allgemein gab es eine Reduktion der Vielfalt, das Dirndl ist aus Grundkomponenten zusammengewürgt worden.

STANDARD: Womit beschäftigt man sich heute, wenn man sich mit den Originalen beschäftigen möchte?

Bisovsky: Mir gefällt der Satz, dass die Tracht die langsamere Schwester der Mode ist. Sie hat sich immer weiterentwickelt. In den 80ern kam die Landhausmode auf, heute bestehen die Schürzen bei vielen Anbietern aus 1000 Prozent Polyester und aufgebügelten Fake-Strasssteinen. Eine andere Form von Landhausstil, die unerträglich ist. Meine Sicht auf die Tracht ist eine des Schürfens, des Abtastens von Entwicklungen.

STANDARD: In der Mode ist heute doch auch alles erlaubt. Warum bei der Tracht nicht?

Bisovsky: Mir gefällt einerseits die ironische Sichtweise auf das Thema, keine Frage, andererseits sollte die Vielfalt nicht verlorengehen.

Schmiderer: Mit der Beschäftigung mit der Tracht geht auch immer eine verborgene Identitätssuche einher, was ja per se nichts Schlechtes ist, aber bei mir steigt dann doch auch immer wieder ein unangenehmes Gefühl hoch.

STANDARD: Sie meinen, die Welt ist unübersichtlich geworden, dank der Tracht wissen wir aber, wo wir herkommen, wo unsere Heimat ist. Das hat doch auch einen angenehmen Aspekt, oder?

Schmiderer: Das Problem ist und war der Ausschluss, der dabei passiert. Jene, die eine Tracht tragen, gegen jene, die keine Tracht tragen. Da spielen immer wieder rassistische Aspekte mit.

STANDARD: Das können Randgruppen aber auch für ihre Zwecke einsetzen. In Ihrem Film, Herr Schmiderer, porträtieren Sie auch eine Gruppe schwuler Trachtträger aus Bayern. Sie haben sich die Tracht einfach angeeignet.

Schmiderer: Ja, das war ein positiver Glücksfall.

Bisovsky: Das ist eine tolle Sache. Was mich allerdings fertigmacht, ist, dass ein Dirndl immer so lustig sein muss. Ein Dirndl, da bin ich sexy, da hab ich Ausschnitt, da bin ich gut drauf, da ist man immer so überdrüber. Es wird nicht als normales Kleidungsstück getragen, außer in manchen Gegenden wie dem Ausseerland. Das Dirndl ist Anlassmode geworden, ein Ausnahmekleidungsstück.

STANDARD: Ist es bei der Geschichte der Tracht und des Dirndls nicht gerade wünschenswert, dass man sehr unbefangen damit umgeht?

Bisovsky: Ich versuche das in meiner Arbeit durchaus. Das Berchtesgadener Jackerl zum Beispiel ist ein seinerzeit auch von den Nationalsozialisten belegtes Kleidungsstück. Ich habe das Jackerl mit der grün-rot-grün-gestreiften Passe in meine jetzige Kollektion aufgenommen. Ich denke, man muss es wieder auf die Straße bringen, damit es nicht immer im selben Eck verbleibt. Ich weigere mich, gewisse Dinge, die ästhetisch oder technisch außerordentlich sind, aus geschichtlichen Gründen nicht anzufassen oder einzelne Farben aus der Farbpalette zu streichen.

Schmiderer: Es sollte endlich ein Diskurs über die Tracht, und was damit verbunden ist, geführt werden, den hat es bei uns leider nur in beschränktem Maße gegeben.

STANDARD: Es fällt auf, dass das Wissen um die Tracht nicht nur auf rechter, sondern auch auf linker Seite sehr einseitig ist.

Schmiderer: Vorurteile gibt es auf beiden Seiten. Man kann natürlich auch als Linker Tracht tragen, das ist in erster Linie eine Frage des Selbstbewusstseins.

Bisovsky: Es gibt zum Beispiel Menschen, die in Paris oder London einen Hubertusmantel tragen - weil sie es chic finden. Aber bei uns? Mit einem Hubertusmantel outet man sich als erzkonservativ. Vielleicht ist es manchmal auch ganz gut, wenn man etwas doch nicht macht.

Schmiderer: Es gibt eine Art von Kleidung, die der konservativen Ecke zugerechnet wird. Wir haben in Salzburg mit Landeshauptfrau Burgstaller gesprochen. Leider, sagte sie, haben wir die Tracht den Konservativen überlassen. Schade eigentlich. Aber das lässt sich nicht so schnell wiedergutmachen. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 30.3.2012)