Im Felsengrab der heiligen Flora wurde ein sensationeller Fund gemacht: die Gartenkreiszeichen, welche im frühen Mittelalter die Tierkreiszeichen ersetzen sollten. Doch dazu kam es nie, lesen Sie, weshalb:
Jänner, der Bibliothekar: Stets bemüht, die Gartenbuchsammlung qualitativ zu erweitern, stöbert der Bibliothekar ruhelos durch Einrichtungshäuser, Buchgeschäfte und Internetforen. Hat der Bibliothekar ein neues, kaufenswertes Gartenbuch ausgemacht, bringt ihn nichts von seinem Weg, es zu erwerben, ab. Der Bibliothekar weiß, was er will, und tut es auch.
Februar, die Träumerin: Klimabedingt zur Untätigkeit gezwungen, verbringt die Träumerin viel Zeit mit dem Sinnieren über das kommende Gartenjahr. Ihre Stärke ist das Vorwegnehmen unterschiedlicher Gartentätigkeiten im vorgestellten Raum und deren Bewertung. Vom Gemüt jedoch stets ein wenig nachlässig, versäumt es die Träumerin oftmals, Pläne zu verwirklichen.
Erdenpackl für Erdenpackl
März, der Atlas: Gleichsam dem griechischen Vorbild, welches bekanntlich den Planeten Erde auf seinen Schultern stämmte, stämmt der Atlas Erdenpackl für Erdenpackl in seinen Kofferraum. Unbeirrt geht der Atlas seiner wichtigsten Tätigkeit nach, der Futterbeschaff für seine keimenden Pflanzen. Jedoch von einer gewissen Geizigkeit getrieben, sollte der Atlas auch einmal zu hochwertiger Erde greifen. Der Erfolg wäre ihm sicher.
April, die Gartenschere: Unter all den Gartenkreiszeichen ist die Gartenschere die durchtriebenste. Prinzipiell stutzend bis vernichtend tätig, setzt die Gartenschere wesentliche Akzente im ewigen Lauf der Gartenkreiszeichen. Ihr Werk entscheidet oftmals das gesamte Gartenjahr, und an dieser Herausforderung zerbricht sie mitunter.
Mai, der Prasser: Der Prasser ist bekannt für sein launiges Kaufverhalten. Gleichsam einer Biene, die von Blume zu Blume hastet, treibt es den Prasser von Gärtnerei zu Gärtnerei, um dort Neues für seine Beete zu finden und um oftmals horrende Summen zu erwerben. Ein wenig Zurückhaltung würde jedem Prasser und seinem Garten guttun.
Schnüfflerin und Träumerin
Juni, die Schnüfflerin: Geschlossene Augen und geweitete Nüstern - so sieht man die Schnüfflerin über ihren Rosen chemosensorisch kontemplieren. Als akzentuiert feinsinniger Mensch, ist der Schnüfflerin der Geruch oftmals wichtiger als die Erscheinung. Und so ist sie auch im Umgang mit Menschen. Scheu, zurückgezogen und sehr bedacht darauf, das Fluidum der Umgebung wahrzunehmen und sich nötigenfalls abzukapseln. Die Schnüfflerin und die Träumerin sind itzo ideale Paare.
Juli, der Protzer: Mit nur wenig Rücksicht versucht der Protzer seinen Garten als den schönsten der näheren Umgebung dastehen zu lassen. Blütenfülle, Höhenwuchs und Rankpracht sind ihm wichtiger als Konzept, Stil und Atmosphäre. Er gilt als der Leistungssportler unter den Gartenkreiszeichen und findet selten Freunde.
August, der Gießer: Prinzipiell ein fauler Mensch, der lieber in der Wiese liegt als diese zu pflegen, wird der Gießer am zeitigen Morgen aktiv. Kanne für Kanne schleppt er zu den Beeten, um diese für einen langen Sonnentag mit feuchtem Nass auszurüsten. Da er auch mit dem Schlauch gut umzugehen weiß, ist er ein gerngesehener Gast bei seinen Nachbarinnen.
September, die Knipserin: Unablässig streift die Knipserin durch ihre Rabatten und knipst alles Verblühte mit Schere oder Fingernägeln ab. Ähnlich der Gartenschere wirkt sie regulierend, als sehr oberflächlicher Mensch ist ihr aber nur die Erscheinung wichtig. Für Struktur fehlt ihr jedes Talent.
Entschlummern
Oktober, der Seufzer: Sorge ist das Konzept des Seufzers. Stets besorgt und die Jahreszeit gewahr, durchstreift er den Garten und kommentiert das langsame Entschlummern deutlich hörbar. Und selbst vor der üppigsten Blühpracht, die der Oktober noch hervorbringen kann, empfindet er nicht Genuss, sondern Sorge. Er sieht nur das Vergängliche und braucht daher viel Zuspruch.
November, die Saubermacherin: Nichts ist der Saubermacherin so zuwider wie ein unordentlicher Garten. Sie verbringt am liebsten damit ihre Zeit, die Blumentöpfe zu reinigen, das Laub zu rechen und dem Garten jene Ordentlichkeit zu verpassen, mit der sie ihn beruhigt in die Winterruhe schicken kann. Zu Recht als Pedantin verschrien, sollte die Saubermacherin auch einmal Loslassen lernen bzw. einmal den Gießer einladen.
Dezember, der Betrachter: Ohne Aufgabe, steht der Betrachter oftmals im Garten, schweigt den Schnee an und sucht mit seinen Augen nach einem Auftrag. Da dieser jedoch ausbleibt, gilt der Betrachter zu Recht als stiller, unauffälliger Geselle, der durchaus einmal unter die Leute gehen sollte. Er harmoniert übrigens hervorragend mit Seufzern. (Gregor Fauma, Rondo, DER STANDARD, 30.03.2012)