In Sachen Einführung intelligenter Stromzähler ("Smart Meter") gibt es weiterhin verhärtete Fronten. Wie berichtet, besteht ein strikter Zeitplan: Die Einführungs-Verordnung, die Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) schon vor Monaten in Begutachtung schickte, sieht vor, dass in mehreren Schritten bis 2018 in 95 Prozent der heimischen Haushalte intelligente Stromzähler vorzufinden sein sollen. Die Verordnung sollte schon längst in Kraft sein, ist es aber noch nicht.
Unter anderem deshalb, weil es weiterhin schwere datenschutzrechtliche Bedenken dagegen gibt. Die Mietervereinigung startete eine Unterschriftenaktion gegen die ihrer Ansicht nach außerdem überstürzte Einführung durch das Wirtschaftsministerium. Denn die EU schrieb ein solche enges Korsett jedenfalls nicht vor: Laut den europäischen Vorgaben sollten lediglich 80 Prozent an Versorgungsdichte bis 2020 erreicht werden.
Energiebeirat tagte
Zuletzt hatte der Minister angekündigt, die Verordnung nach Befassung des "Energiebeirats" neuerlich in die Wege zu leiten. Das ist ein Gremium, in dem unter anderem Vertreter von Sozialpartnern, Bundesländern und Energieversorgern sitzen und das grundsätzlich lediglich beratende Funktion hat. Am vergangenen Dienstag fand die entsprechende Sitzung statt; Teilnehmer berichten, dass es bloß einen Austausch von Meinungen gegeben habe, sozusagen ein Abklopfen der jeweiligen Standpunkte.
Ausgeräumt wurden dabei keine der zahlreichen Bedenken. Eher im Gegenteil: Datenschützer sind weiterhin schwerst besorgt.
"Vermurkstes Gesetz"
Hans Zeger, Vorsitzender der ARGE Daten und Mitglied des Datenschutzrats im Bundeskanzleramt, fordert nun vom Gesetzgeber klipp und klar, "zwei Schritte zurück" zu machen: Schon das Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ELWOG) im Jahr 2010 sei nämlich "vermurkst" worden, so Zeger am Freitag im Gespräch mit derStandard.at. Mit diesem Gesetz wurden die Grundlagen für die Einführung der intelligenten Stromzähler geschaffen, präzisiert wurden die Regelungen später in der "Intelligente Messgeräte- Anforderungs-Verordnung" (IMA-VO) vom Oktober 2011; mit der aktuell debattierten Einführungs-Verordnung sollte im Großen und Ganzen nur noch der Zeitplan festgelegt werden.
Als Beispiel für die fehlerhafte Umsetzung führt Zeger an, dass in der Anforderungs-Verordnung stehe, dass die Verschlüsselung "dem Stand der Technik entsprechen" müsse. "Das ist falsch", sagt der Experte dazu, denn: "Genau das gehört ins Gesetz geschrieben, nicht in die Verordnung. Wie man's konkret macht, das gehört in die Verordnung hinein."
Für ihn besteht nun "die Gefahr, dass durch den raschen Einführungsdruck eine Infrastruktur geschaffen wird, die man später nicht mehr los wird". Es gebe nämlich noch keine vernünftigen technischen Standards, diese seien frühestens für das Jahr 2014 in Aussicht. Zu diesem Zeitpunkt sollten laut Mitterlehners Fahrplan bereits 15 Prozent der Haushalte mit intelligenten Stromzählern versorgt sein.
Der Datenschutz war bei der Gesetzwerdung des ElWOG 2010 ohnehin noch kein Thema: "Man hat das damals ausschließlich als energie- bzw. eichrechtliches Problem gesehen." Erst später sei klar geworden, dass intelligente Stromzähler auch "weitreichende Grundrechtsauswirkungen" mit sich bringen.
Fernabschaltung als Bedrohungspotenzial
Die "größte Gefahrenstelle" lauert für Zeger ohnehin in der Fernabschaltung der Stromzähler, die die Anforderungs-Verordnung auf Wunsch der Netzbetreiber explizit vorsieht: "Wenn man es schafft, viele dieser Geräte unter Kontrolle zu bekommen, dann kann man so auch die Netze beeinflussen." Gäbe es etwa plötzlich zuviel Strom im Netz, weil zuwenig Abnehmer vorhanden sind, könne eine gefährliche Überspannung die Folge sein. "Reihenweise würden die Haushaltsgeräte wegbrennen", sagt Zeger.
Für den großen "Einführungs-Druck" macht der ARGE-Daten-Obmann übrigens insbesondere den oberösterreichischen Landes-Energieversorger Energie AG verantwortlich: Dort seien schon 100.000 intelligente Stromzähler installiert, ohne dass es die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen gebe - "stranded investments in zweistelliger Millionenhöhe", meint der Datenschutz-Experte schlicht dazu.
AK-Energieexperte verlangt "breite Diskussion"
Er verlangt vom Gesetzgeber ein "ordentliches, allgemein gehaltenes Gesetz". Die beiden Verordnungen sollten wieder außer Kraft gesetzt bzw. verschoben werden, "bis technische Standards geschaffen sind". Überdies gibt es erst seit kurzem neue Empfehlungen "zu Vorbereitungen für die Einführung intelligenter Messsysteme", herausgegeben von der EU-Kommission, in denen den Mitgliedsländern unter anderem genaue "Datenschutzfolgenabschätzungen" ans Herz gelegt werden und "gemeinsame Mindestfunktionsanforderungen" an die Stromzähler gestellt werden.
Diese Empfehlungen zumindest eingehend zu debattieren, das verlangt auch AK-Energieexperte Dominik Pezenka. Denn neben den auch aus seiner Sicht noch "vielen offenen Fragen" stört es ihn besonders, dass es bisher zu keiner breiten öffentlichen Diskussion über die Einführung gekommen ist. "Das ganze Projekt steht und fällt aber mit der Akzeptanz der Konsumentinnen und Konsumenten", sagt er zu derStandard.at.
E-Control: Parallelbetrieb vermeiden
Diskussionsbedarf sieht man bei der E-Control weniger, die Regulierungsbehörde steht im Wesentlichen hinter dem vorgegebenen Zeitplan. "Eine Ausrollung von Smart Meter zu 95 Prozent ist notwendig. Wenn man weniger nimmt, laufen das alte und das neue System parallel - das wird zusätzliche Kosten verursachen", sagt E-Control-Vorstand Martin Graf zu derStandard.at. Die große Kostenlawine - Kritiker sprachen von mehr als zwei Milliarden Euro - sieht er nicht: "Wir rechnen mit Investitionskosten zwischen 800 Millionen und 1,1 Milliarden Euro. Mit dem jetzigen Messentgelt von max. 2,40 Euro pro Monat könnte man diese Kosten aber bereits decken."
Generell sei das "Smart Metering" für die Verbraucher eine gute Sache. Derzeit komme es nämlich de facto nur alle drei Jahre zu einer verpflichtenden Ablesung des tatsächlichen Verbrauchs.
Das sieht grundsätzlich auch die Arbeiterkammer so: "Die Fernauslesefunktion ist, was die Datenbringung für die Abrechnungslegung anlangt, gegenüber dem derzeitigen Modus Operandi der 'Verbrauchsschätzung' oder der 'rechnerischen Ermittlung der Verbrauchswerte' ein Vorteil", schrieb sie in ihrer Stellungnahme.
2019 als Zeitpunkt angepeilt
Auch in die andere Richtung würden die besseren Kontrollmöglichkeiten Früchte tragen, sagt E-Control-Chef Graf: In Italien habe man beispielsweise mit den intelligenten Zählern "den Stromdiebstahl in den Griff bekommen".
Laut Kreisen involvierter Personen könnte sich übrigens zumindest beim Zeitplan ein kleiner Kompromiss abzeichnen: Die 95-prozentige De-facto-Volleinführung auf dem heimischen Markt könnte nicht schon für 2018, sondern "erst" für 2019 vorgeschrieben werden. (Martin Putschögl, derStandard.at, 30.3.2012)