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"Europas fiskale Probleme sind viel größer als jene der USA"

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DER STANDARD: Die Weltkonjunktur springt nicht an, die Prognosen bleiben trübe. Wie tief ist die Krise der Weltwirtschaft?

Rogoff: Wir erleben das Echo des Platzens der größten Aktienblase aller Zeiten, und wir wissen nicht, wie lange das dauern wird. Eigentlich wären die USA wieder bereit für einen Investitionsschub, die Entwicklung der Produktivität ist ausgezeichnet, und es gibt keinen Grund, warum wir nicht in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts wieder gutes Wachstum sehen sollten, vielleicht auch schon früher. Die höheren Militärausgaben und Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus sind allerdings eine Art Steuer, die rund einen Viertelprozentpunkt Wachstum im Jahr kostet.

DER STANDARD: Platzt nach der Aktienblase die Immobilienblase, vor allem in den USA?

Rogoff: Es gibt Grund zur Besorgnis. In den USA sind die realen Wohnkosten seit dem letzten Höchststand Ende der achztiger Jahre um 30 Prozent gestiegen, in Großbritannien sogar um 70 Prozent. Die aggressive Zinspolitik in vielen Ländern unterstützt die Hauspreise, aber irgendwann werden Zinsen wieder steigen. Das stellt ein Risiko dar, wenn auch ein nicht so großes wie einst die Aktienblase.

DER STANDARD:  In den USA senkt George W. Bush die Steuern und erhöht die Ausgaben, in der EU wird weiter gespart. Was ist der bessere Weg?

Rogoff: Europas fiskale Probleme sind viel größer als jene der USA. Denn die kurzfristige Fiskalpolitik ist nicht so wichtig. Das wahre Problem sind die langfristigen Trends bei Pensionen und Gesundheit. Der Streit um Budgetdefizite ist nur ein Vorgeplänkel für die große demografische Umwälzung, die viele europäische Länder trifft. In manchen Ländern wird der Anteil der Sozialabgaben am BIP um sechs bis acht Prozentpunkte steigen müssen, und es ist nicht klar, ob die junge Generation diese tragen wird. Österreich hat hier eines der weltweit größten Probleme.

DER STANDARD: Die Antwort sind radikale Pensionsreformen?

Rogoff: Man muss das Pensionsalter erhöhen und vielleicht auch die Zahlungen einschränken. Aber das ist politisch nicht einfach, weil es immer Verlierer gibt. Das muss sensibel geschehen und geht nicht immer auf einen Schlag.

DER STANDARD: Die Defizite der Bush-Regierung sind also kein Problem?

Rogoff: Doch, denn die USA geben eine ihrer Stärken und ihre Flexibilität dadurch auf, vor allem weil es keinen Anker für langfristige Nachhaltigkeit beim Budget gibt. Das größere Problem aber ist das externe Defizit. Es ist nicht haltbar, dass die USA jedes Jahr Kapital im Ausmaß von fünf Prozent ihres BIP importieren müssen und 60 Prozent der weltweiten Ersparnisse aufsaugen. Wenn in einer solchen Situation auch der Staat zum Schuldner wird, dann wird es noch schlimmer.

DER STANDARD: Wird der schwache Dollar dieses Problem lösen?

Rogoff: Der Dollar hat sich in die richtige Richtung bewegt, aber es dauert einige Jahre, bis das durchschlägt. Und wir wissen nicht, ob der Wechselkurs so bleibt.

DER STANDARD: Doch der starke Euro verstärkt die Deflationsgefahr in Deutschland, vor der Sie gewarnt haben.

Rogoff: Deutschland ist ein Sonderproblem, denn es hat schon sehr lange kein echtes Wachstum gesehen, es gibt potenziell gefährliche Schwächen im Bankwesen, große Probleme im Arbeitsmarkt und die ersten Zeichen von Deflation. Aber Deutschland ist noch lange nicht dort, wo Japan ist, und es wird dort auch nicht hinkommen, weil es die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger nicht zulassen werden. Ein Mittel dagegen wäre, wenn die Europäische Zentralbank ihr Inflationsziel von ein bis zwei Prozent auf 2,5 Prozent heben würde. Das wird besonders wichtig, wenn einmal die neuen EU-Staaten dem Euro beitreten, denn für solche Schwellenländer ist eine Inflation von drei oder vier Prozent nicht zu hoch. Wir kennen die Wirkung von Deflation nicht genug, als dass wir sie riskieren dürften.

DER STANDARD: Als neue Zinssenkungen der EZB?

Rogoff: Ihre Zinspolitik ist eigentlich recht expansiv - wenn auch nicht für Deutschland. Das Problem sind die langfristigen Zinsen, und die hängen mit der Inflationserwartung zusammen. Das ist zu einem guten Teil ein Kommunikationsproblem.

DER STANDARD:  Sollte man den Stabilitätspakt aufgeben?

Rogoff: Ich glaube, wenn man den Pakt flexibel genug interpretiert, dann muss man sich nicht von ihm verabschieden. Das Problem des Stabilitätspaktes ist, dass er viel zu viel Gewicht auf kurzfristige Ziele setzt, und das verführt zu Maßnahmen wie Steueramnestien und Einmalverkäufen. Die fundamentalen Probleme werden dadurch nicht gelöst. (Eric Frey, DER STANDARD Print-Ausgabe, 17.6.2003)