Aus dem Stoff werden Hollywood-Filme gemacht: Ein Brite liegt tot im Hotel. Ein Polizeichef verrät im US-Konsulat seinen Mordverdacht. Ein ehrgeiziger Spitzenpolitiker stolpert über den Skandal. Gerüchte über Machtkampf und Militärputsch halten ein Milliardenvolk in Atem.

Einschränkungen im Internet

Der Skandal an der Spitze der Kommunistischen Partei Chinas schlägt große Wellen. Mit den bisher schärfsten Einschränkungen für Diskussionen im Internet versucht die Zensur seit dem Wochenende, wilde Putschgerüchte und Spekulationen über Risse in der Führung einzudämmen. Viele der 200 Millionen Nutzer der Twitter-ähnlichen "Weibo"-Kurznachrichtendienste waren geschockt. Einige Beobachter werteten die konzertierte Zensuraktion aber auch als Signal, dass die Parteispitze nach langem Tauziehen vielleicht endlich Einigkeit über das weitere Vorgehen erzielt hat.

Die Ermittlungen in dem schier unglaublichen Politkrimi um den vor zwei Wochen gestürzten Spitzenpolitiker Bo Xilai wurden noch ausgeweitet. Der mysteriöse Tod eines britischen Unternehmensberaters mit engen Beziehungen zu Bos Familie löste neue Verdächtigungen aus. Neil Heywood soll um seine Sicherheit gefürchtet haben, nachdem er sich mit Bo Xilais Frau überworfen habe, berichtete das "Wall Street Journal". Der 41-Jährige wurde Mitte November tot in seinem Hotelzimmer in Chongqing (Tschungking) gefunden. Die Polizei attestierte "übermäßigen Alkoholkonsum" und äscherte ihn ohne Autopsie ein. Das britische Außenministerium bat um eine nähere Untersuchung.

Bo Xilai und Frau in Peking unter Hausarrest?

Der als Parteichef von Chongqing abgesetzte Spitzenpolitiker Bo Xilai sowie seine Frau Gu Kailai sollen derweil in Peking unter Hausarrest stehen. Der "Prinzling" ist Sohn des Revolutionsveteranen Bo Yibo (1908-2007), der einst zu den "acht Unsterblichen" der kommunistischen Machtelite gehörte und unter Mao Finanzminister gewesen war. Die Absetzung des charismatischen Polit-Stars, der in dem Generationswechsel im Herbst eigentlich in das höchste Machtgremium - den neunköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros - aufrücken sollte, löste schwere Spannungen in der Führung aus.

Mindestens ein Mitglied des Ständigen Ausschusses, der mächtige und für den Sicherheitsapparat zuständige Zhou Yongkang, soll gegen Bos Absetzung gestimmt haben. Beobachter glauben, dass dieser seltene Dissens und Bo Xilais gute Kontakte zum Militär die Putschgerüchte ausgelöst haben könnten. "Es ist eine bizarre Vorstellung, die sich mit besten Hollywood-Produktionen messen lassen kann", kommentierte ein Mitglied einer einflussreichen chinesischen Familie die neuen Enthüllungen.

Auslöser des Thrillers war der ehemalige Polizeichef von Chongqing, Wang Lijun. Er hatte Anfang Februar um ein Gespräch im britischen Konsulat gebeten, tauchte aber nicht auf. Stattdessen flüchtete der als "Super-Bulle" bekannte Weggefährte des Parteichefs von Chongqing am 6. Februar ins 300 Kilometer entfernt gelegenen amerikanische Konsulat in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, weil er um sein Leben fürchtete.

Toter Brite verhalf Sohn in Eliteschule Harrow

Der frühere Polizeichef habe angegeben, Bo Xilai von dem Verdacht berichtet zu haben, dass der Brite vergiftet worden sein könnte, berichtete das "Wall Street Journal". Auch nach anderen, ebenfalls unbestätigten Berichten soll der Verdacht einer möglichen Verwicklung seiner Frau in den Tod Heywoods zu dem Zerwürfnis zwischen den beiden geführt haben. Der Polizeichef habe Material vorgelegt, um eine sichere Ausreise in die USA auszuhandeln. Die USA gaben ihm aber kein Asyl. Nach einem Tag begab er sich in die Hände der Parteizentrale.

Nichts scheint bewiesen, doch der Mangel an Informationen nährt die Spekulationen. Auch die dubiose Rolle des Briten wirft Fragen auf. Heywood lernte die Familie in den 90er Jahren kennen, als Bo Xilai noch Bürgermeister der Hafenstadt Dalian (früher Lüda) war. Über Beziehungen verhalf Heywood dem Sohn Bo Guagua 2001 in die britische Eliteschule Harrow, wo andere Kinder sonst bei ihrer Geburt schon angemeldet werden müssen. Der Unternehmensberater selbst war mit einer Chinesin verheiratet, hat zwei kleine Kinder und lebte zuletzt in Peking.

Als Berater für ausländische Firmen soll Heywood Treffen mit Bo Xilai arrangiert haben, der von 2004 bis 2007 auch Handelsminister war. Es gibt den vagen Verdacht, dass er der Familie geholfen haben könnte, einen Teil ihres Vermögens ins Ausland zu schaffen. Der Brite trat als Unternehmensberater auf und sammelte spezielle Informationen über chinesische Firmen. Interessantes Detail: Heywood arbeitete auch für die britische Firma Hakluyt, die sich auf solche "Business Intelligence" spezialisiert hat und von früheren Mitgliedern des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 gegründet worden war. (APA, 02.04.2012)