Bild nicht mehr verfügbar.

Die Stadtplanung der Zukunft: Stararchitekt Antoine Grumbach will die Banlieues entlasten und Paris entlang der Seine bis zum Ärmelkanal reichen lassen. 

Foto: ap/dapd/Antoine Grumbach

Aha, ein Neuer, ein Unbekannter im Viertel - das sagen die Blicke der afrikanischen Kassierinnen und der Kopftuch tragenden Kundinnen, wenn man als Auswärtiger den Supermarkt Simply in Bagneux, südlich von Paris, betritt. Die Blicke sagen auch: bitte keine Fragen. Zum Beispiel, wo der Prokofiev-Wohnblock ist. Wenn sich ein Fremder, zumal ein Weißer, danach erkundigt, kann er nur ein Polizist oder ein Journalist sein.

Die triste Prokofiev-Anlage, benannt nach dem russischen Komponisten, erlangte vor sechs Jahren traurige Berühmtheit. In diesem 60 Meter langen Gebäuderiegel war 2006 Ilan Halimi, ein junger jüdischer Verkäufer, zwecks Lösegelderpressung gefangen gehalten und tagelang gefoltert worden. Von Brand- und Stichwunden übersät, wurde sein sterbender Körper an einem Bahngleis gefunden. Sein grausamer Tod schockierte ganz Frankreich. Bagneux trägt seither das Stigma, Schauplatz dieser Entführung gewesen zu sein.

Und hier herrscht auch heute noch eine fühlbare Spannung. Sechs Jahre sind vergangen, der Täter Youssouf Fofana und die Mitglieder seiner "gang des barbares" sitzen längst in Haft, aber die Passanten gehen mit schnellem Schritt und gesenktem Blick vorüber. Ein Bursche, der vor der Garage sein Triumph-Motorrad putzt, erwidert den Gruß nicht.

Vielleicht hat die Affäre von Toulouse die alten Narben von Bagneux neu aufgerissen. Fofana und Mohammed Merah hatten einen ähnlichen Werdegang: Beide hatten Probleme in der Schule, mit der Arbeit, mit dem Vater, beide waren Kleinkriminelle, suchten ihr Heil im Koran und knöpften sich Juden vor.

"Das ist tabu"

Erst ein paar Straßenzüge weiter, in der Rue Frédéric Chopin, die Wohntürme sind hier ebenso hoch, ist ein Paar bereit zum Reden. Der aus Senegal stammende Mann meint, man sollte "diese Affären" nicht aufbauschen. "Fofana hing einfach herum wie Merah, mehr nicht. Die reichten nicht einmal an die Chefs der Drogenbanden heran. Die sind um einiges gefährlicher." Immerhin haben beide Menschenleben auf dem Gewissen. "Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist", antwortet der junge Mann schulterzuckend. "Bei denen stimmte etwas im Kopf nicht. An ihrem Viertel lag es jedenfalls nicht." Mehr ist nicht zu erfahren; die stumme Begleiterin, eine "Gallierin", wie die weißen Französinnen hier genannt werden, drängt zum Weitergehen.

Zurück zu Prokofiev in der Rue Mozart. Drei Burschen mit Kapuzenshirts kommen auf der ganzen Gehsteigbreite entgegen. Ein noch minderjähriger Maghrebiner reagiert auf den Gruß und nimmt seinen iPod-Kopfhörer ab. Merah? "Damit haben wir nichts zu tun. Bist du Journalist? Ich kenne die Journalisten, ihr wollt uns ständig was anhängen." Und Fofana? Sein Blick verdunkelt sich noch mehr. "Das ist tabu", sagt er und hastet seinen zwei Freunden nach. "Das geht uns wirklich nichts an, verstehst du?", ruft er noch zurück.

Im Schatten des Wohnblocks putzt eine ältere Frau mit Papiertüchern die Scheiben ihres Toyota. Hat sie keine Angst vor solchen Kids? "Warum denn, hier ist doch alles friedlich", meint sie. Für weitere Auskünfte sei die Polizei zuständig, informiert sie. Und wie denkt sie über Fofana? "Der war nicht einmal von hier. Das ist wie ein Blitz über uns gekommen", meint die vor fünfzig Jahren aus Madagaskar eingereiste Großmutter. "Aber darüber wollen wir nicht mehr reden."

Und Toulouse - stammte Merah nicht aus einem ähnlichen Viertel? "Der war doch noch ein Kind. Man hätte ihn nicht so alleinlassen sollen", meint sie, um unwirsch anzufügen: "Sie werden sehen, jetzt beginnt alles wieder von vorn; schon heißt es wieder, in der Banlieue wohnen nur Terroristen. Das wiederholt sich hier alle paar Jahre. Nein, reden wir nicht davon. Haben Sie zufällig noch ein Papiertaschentuch?" (DER STANDARD, 3.4.2012)