Die Aktion "Frühlingswind" soll die Kritiker vor dem Machtwechsel zum Schweigen bringen.
Auf Millionen chinesischer Mikrobloggern ging virtuell eine kalte Dusche nieder. Als sie sich am Wochenende in die beiden größten Kurznachrichtendienste des "Weibo" einloggen wollten, wie die twitterähnlichen Portale von Sina.Com und Tencent QQ heißen, fanden sie eine ernüchternde Botschaft vor: Bis zum Ende der Feiertage des Totengedenkfestes dürften sie keine Online-Debatten mehr führen. Die Kommentarfunktion für alle Mikroblogs werde bis zum heutigen Dienstag blockiert. Online seien "zu viele schädliche Gerüchte und rechtswidrige, gefährliche Nachrichten" verbreitet worden. Sina.Com müsse die Drei-Tage-Sperre nutzen, um ihr Kurznachrichtennetz "aufzuräumen".
Doch nicht nur das: Radios und Morgenzeitungen meldeten, dass über Nacht 16 Internetseiten geschlossen und sechs Personen wegen "Gerüchtemacherei" festgenommen worden seien. Sie hätten erfundene Nachrichten über Putschversuche in Peking und den "Einmarsch von Armeetruppen" verbreitet. Drohend hieß es, dass auch Mikroblogger, die die Gerüchte weitergeleitet hätten, von der Polizei "vorgeladen und erzogen wurden".
Mitten in der Krise seiner höchsten Führung schlägt das Partei-Imperium gegen das Internet zurück. Zwar sind die Reihen nach außen hin wieder geschlossen, die Führung laboriert aber noch am Machtkampf um den abgesetzten Parteichef des südwestchinesischen Stadtstaates Chongqings, Bo Xilai.
Saubermann-Image
In einem mysteriösen Provinzskandal war der mächtige Politbürofunktionär über den "Landesverrat" seines engsten Gefolgsmannes gestolpert, des Polizeichefs von Chongqing,Wang Lijun. Mit skrupellosen "Anti Mafia"-Kampagnen hatte Wang mit der Korruption in Chongqing aufgeräumt - und nebenbei auch mit Gegnern Bos. Er verschaffte Bo das Image eines Saubermanns und Volkstribuns. Wang und Bo überwarfen sich aber aus unbekannten Gründen, wurden zu Todfeinden.
Als Mitwisser vieler Geheimnisse über Bo und dessen Seilschaften suchte Wang Anfang Februar um Asyl beim US-Konsulat in Chongqing an, stellte sich dann aber Chinas Sicherheitsbehörden. Bo Xilai wies alle Verantwortung für Wang von sich. Von Premier Wen Jiabao kam Kritik, einen Tag später war Bo abgesetzt. Seither ist dieser in Pekinger Gewahrsam verschwunden.
Die Parteispitzen hüllen sich nach dem dramatischen Finale in Schweigen. Sie ließen aber zwei Wochen lang zu, dass das Internet zum Tummelplatz teils absurder Gerüchte über innerparteiliche Machtkämpfe wurde. Kritische Blogger vermuten Kalkül dahinter. Die Partei-Propagandisten hätten einen legitimen Vorwand, das Internet, zu dem heute 515 Millionen Chinesen Zugang haben, und die Mikroblogs, die über 300 Millionen nutzen, zu zensieren.
Am Wochenende gaben die Behörden zu, dass sie längst dabei sind. Seit 14. Februar hätten sie eine Kampagne unter dem Stichwort Chun Feng (Frühlingswind) gestartet. 1065 Internetkriminelle aller Art seien festgenommen worden, 967 davon offiziell verhaftet. Die Polizei ließ 208.000 Kurznachrichten löschen und verwarnte oder bestrafte die Betreiber von 3117 Webseiten. Seit 16. März sei die Namensnennung für Mikroblogger zwingend. So hat Chinas höchste Parteiführung einen Hebel gefunden, um die Mikroblogger vor dem im Oktober unter höchster Geheimhaltung geplanten Machtwechsel unter Kontrolle zu bringen. Die Gerüchte kommen Peking offenbar wie gerufen. (Johnny Erling aus Peking /DER STANDARD, 3.4.2012)