Bild nicht mehr verfügbar.

Eva Joly im Wahlkampf.

Foto: AP/dapd/Michel Euler

Sie war eine ausgezeichnete Untersuchungsrichterin. Unerschrocken und unkorrumpierbar verfolgte Eva Joly (68) die Exponenten großer Wirtschafts- und Politskandale. Viele Mächtige zitterten vor der hartnäckigen, aus Norwegen stammenden Magistratin, die vor 50 Jahren als Au-pair-Mädchen nach Paris gekommen war. Ohne Gro Eva Farseth, wie sie in ihrem früheren Leben hieß, hätte es rund um die Schmiergeldzahlungen des Elf-Aquitaine-Konzerns - eine der größten Affären der französischen Nachkriegszeit - wohl keine Verurteilungen abgesetzt. Nach den Schuldsprüchen musste sich Joly sogar nach Norwegen absetzen, um möglichen Racheakten zu entgehen.

Zurück in Frankreich, stieg sie in die Politik ein. Ende 2011 wurde sie eher überraschend Spitzenkandidatin der Grünen für die Präsidentschaftswahl. In der internen Wahl gewann sie gegen den agilen und medienversierten Umweltreporter Nicolas Hulot. Rückblickend erweist sich ihre Nominierung aber als ein gewaltiger Casting-Fehler. Ihre Fernsehauftritte vermitteln Hühnerhaut. Sie spricht zwar ein grammatikalisch korrektes Französisch, bringt es aber mit einem so starken Akzent, dass die Franzosen genau hinhören müssen, um sie überhaupt zu verstehen.

Sie trotzdem ins Rennen zu schicken war ein mutiger Entscheid einer Partei, die sich wenig um die Regeln des Polit- und Medienbetriebs schert. Anders als etwa die deutschen Grünen gehen "les Verts" mit einem Amateurismus zu Werke, der fast schon wieder sympathisch wirkt. Bloß kommen sie damit auf keinen grünen Zweig: Joly dümpelt bei zwei Prozent Umfragestimmen. Zum Vergleich: Bei den Europawahlen 2009 hatte "Europe Ecologie-les Verts" (EELV) über 16 Prozent der Stimmen erhalten.

Von außen betrachtet macht Joly die originellsten Vorschläge des Wahlkampfs:

  • Damit alle Religionen gleich behandelt werden, sollen auch Juden und Muslime je einen jährlichen Feiertag erhalten.
  • Die Truppenparade am Nationalfeiertag, dem Quatorze Juillet, will sie durch einen "Bürgerumzug" ersetzen.
  • Den permanenten Sitz Frankreichs im UNO-Sicherheitsrat und das damit verbundene Vetorecht will sie zugunsten einer Europastimme in New York aufgeben.

Bei den Franzosen kommen solche Vorschläge schlecht an. Viele Kandidaten und Politkonkurrenten reagieren nur mit Spott, andere machen Wortspiele mit "étranger" (ausländisch) und "étrange" (seltsam). Auch Karl Lagerfeld mokierte sich mit seinem Teutonenakzent über Jolys Ausdrucksschwierigkeit in der Sprache Molières und Voltaires:

 

Wie in diesem Video der Grünen ersichtlich, versucht ihre Partei, das Blatt umzudrehen und Jolys Akzent als einen Beitrag zur Reichhaltigkeit des Immigrationslandes Frankreich darzustellen.

Die Kandidatin reagiert aber zunehmend gereizt. Auf eine Journalistenfrage, was sie zum Kommentar der (inzwischen aus dem Rennen geschiedenen) Umweltkandidatin Corinne Lepage meine, sie vernachlässige ökologische Themen, erwiderte sie nur: Je l'emmerde.

 

Mit diesem Fluch, der hier nicht übersetzt sein soll, bewies sie zwar gute französische Sprachkenntnis. Später, als auch gestandene Parteiexponenten wie José Bové, Daniel Cohn-Bendit und Noël Mamère auf Distanz gingen, musste sie aber zugeben, dass ihr gesamter Wahlkampf "schlecht" sei.

Am Wochenende stürzte Eva Joly in einem Pariser Kino eine Treppe hinunter und verletzte sich am Kopf. Den Montag verbrachte sie im Spital. Zäh und mutig, wie sie ist, will sie ihren Wahlkampf aber auch mit einem Kopfverband weiterführen.

 

Vielleicht wird sie am 22. April einen Mitleidsbonus erhalten. Mehr liegt nicht mehr drin. Originell, widerspenstig, schräg und ziemlich "anders", sind die französischen Grünen noch wirkliche Blumenkinder. Bloß nimmt sie niemand ernst. Dabei hätten sie mit Fukushima eine großartige Chance gehabt, sich in diesem Wahlkampf als starke politische Kraft zu etablieren. (Stefan Brändle, derStandard.at, 3.4.2012)